Niemand, stellte Colonel Selig mit Interesse fest, vermochte sich auch nur im Geringsten für Panoramen, Missgeburten oder Indianer zu begeistern. Das Etablissement war wie ausgestorben. Es sah aus wie nach Feierabend, oder als ob einer Feuer gerufen habe. Verwundert verweilte der Tourist eine Weile bei dem so genannten Wolfsjungen, einem bepelzten Burschen mit fernem Blick, der vor einer afrikanischen Kulisse dämmerte und Seligs Tierliebe ansprach; aber dann sah er ein paar Leute rennen und rannte ihnen neugierig hinterher.
Alle Welt drängte sich in einem Nebenraum. Selig konnte nichts sehen. Er beobachtete den Pulk und wartete, ob er sich nicht ein wenig verschöbe. Rufe wurden laut, »ich will auch, ich will auch«. Lange ging nichts voran. Endlich kehrten die ersten Zuschauer nach genossener Attraktion zurück in die Halle. Selig blickte in ihre Gesichter, Männer, Frauen und Kinder, ach so, dachte Selig, ein Hypnotiseur. Sein Geschäftssinn, kurz in Urlaub, kehrte zurück. Den will ich haben, dachte Colonel Selig. Ich entlasse alle, die ich habe, und engagiere stattdessen den. Ich fahre mit ihm nach Abilene. Den Wolfsjungen nehme ich auch mit. Den müssen die hypnotisierten Weiber küssen, das gibt Applaus. Selig straffte seine Schultern und wartete geduldig weiter.
Es handelte sich indes nur um drei brusthohe, verschlossene Holzschränkchen. An ihren Seiten waren Schnörkel, obenauf je ein Feldstecher montiert. Dort schauten die Leute hinein. Wer an der Reihe war, verließ die wogende Menge und begab sich in ein stilles Zwiegespräch mit dem freiwerdenden Apparat, der ihn sofort anzusaugen schien, sodass er wie gelähmt verharrte, verkrampft und verzückt. Nach einer längeren Weile, wenn er den Apparat wieder verließ – niemals freiwillig, erst wenn ihn jemand fortzerrte und auch dann nicht ohne Gegenwehr –, hatte er rote Druckstellen um beide Augen, einen schwankenden Gang und die Aura eines Neugeborenen: hilflos, frisch, erschrocken. Gleich fangen sie an zu weinen, dachte Selig. Na sowas. Potz Teufel. Und er drängelte sich vor.
In den Schränkchen sah man Fotografien, die sich zuckend und hampelnd bewegten. Im ersten versuchte sich ein Muskelmann in Pose zu setzen. Im zweiten unternahmen Mädchen eine Kissenschlacht. Im dritten knutschte jemand seine hässliche Frau. Die Maschinen waren, scheint’s, elektrisch, oder jemand, der unter den Bohlen versteckt war, trieb sie an. Sie schnauften leise. Das Ding hieß Kinetoskop, stand dabei. Es war patentiert. Auch das stand dabei. Erfunden hatte es Edison, der schließlich alles erfand.
William Selig schaute gründlich in alle drei Schränkchen hinein. Keine Verklärung ergriff ihn. Kein Säuglingsgefühl suchte ihn heim. Aha, dachte Selig. Und: Das ist es. Und: Das muss raus aus der Kiste. Das muss an die Wand. Das braucht ein Theater. Das braucht Musik. Das braucht Cowboys, Indianer und Löwen. Er strich seinen Schnurrbart mit dieser fast vergessenen Geste, wie damals, bevor alles schiefging, damals, als er in Colfax den Feuerkopf-Trick erfand. Dann ging er und suchte das Management. Er redete auf das Management ein, bis man ihm, weil er so ein netter Mann war, nach Feierabend erlaubte, in ein Kinetoskop hineinzuschauen. Es bestand innen aus zwei Dutzend Spulen, über die fotografische Streifen liefen; nicht halb so kompliziert wie ein gut gepolstertes Sofa. William Selig schaute eine geschlagene Stunde lang das Kinetoskop von innen an, bis er dem Management nicht mehr sympathisch war. Dann ging er in eine Kirche, beten.
Er machte sich nicht die Mühe, seine Minstrel-Show aufzulösen oder auszuzahlen. Er holte den Planwagen nicht ab und auch nicht seine Habseligkeiten. Mit seinem letzten Geld kaufte er eine Eisenbahnkarte und fuhr damit heim nach Chicago. Dabei strich er sich dauernd den Schnurrbart. Denn endlich hatte Colonel Selig herausgefunden, was alle Menschen glücklich macht, und fühlte sich nun zuständig dafür.
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