Das 30. Kapitel: Wie man nach und nach einen Rausch bekommt, und endlich ohnvermerkt blind-voll wird
Bei dieser Mahlzeit (ich schätze, es geschieht bei andern auch) trat man ganz christlich zur Tafel, man sprach das Tischgebet sehr still, und allem Ansehen nach auch sehr andächtig: Solche stille Andacht kontinuierte so lang, als man mit der Supp und den ersten Speisen zu tun hatte, gleichsam als wenn man in einem Kapuziner-Konvent gessen hätte; aber kaum hatte jeder drei oder viermal ›Gesegne Gott‹ gesagt, da wurde schon alles viel lauter. Ich kann nicht beschreiben, wie sich nach und nach eines jeden Stimm je länger je höher erhob, ich wollte denn die ganze Gesellschaft einem Orator vergleichen, der erstlich sachte anfänget und endlich herausdonnert: Man brachte Gerichte, deswegen Vor-Essen genannt, weil sie gewürzt und vor dem Trunk zu genießen verordnet waren, damit derselbe desto besser ginge: item Bei-Essen, weil sie bei dem Trunk nicht übel schmecken sollten, allerhand französischer Potagen und spanischer Olla Potriden zu geschweigen; welche durch tausendfältige künstliche Zubereitungen und ohnzählbare Zusätze dermaßen verpfeffert, überdummelt, vermummt, mixtiert und zum Trunk gerüstet waren, dass sie durch solche zufällige Sachen und Gewürz mit ihrer Substanz sich weit anders verändert hatten, als sie die Natur anfänglich hervorgebracht, also dass sie Cnaeus Manlius selbsten, wenn er schon erst aus Asia kommen wäre und die besten Köch bei sich gehabt hätte, dennoch nicht gekennet hätte. Ich gedachte: Warum wollten diese einem Menschen, der sich solche und den Trunk dabei schmecken lässt (wozu sie denn vornehmlich bereitet sind), nicht auch seine Sinne zerstören und ihn verändern, oder gar zu einer Bestia machen können? Wer weiß, ob Circe andere Mittel gebraucht hat als eben diese, da sie des Ulyssis Gefährten in Schwein verändert? Ich sah einmal, dass diese Gäst die Trachten fraßen wie die Säu, darauf soffen wie die Kühe, sich dabei stellten wie die Esel, und alle endlich kotzten wie die Gerberhund! Den edlen Hochheimer, Bacharacher und Klingenberger gossen sie mit kübelmäßigen Gläsern in Magen hinunter, welche ihre Wirkungen gleich oben im Kopf verspüren ließen. Darauf sah ich mein Wunder, wie sich alles veränderte; nämlich verständige Leut, die kurz zuvor ihre fünf Sinn noch gesund beieinander gehabt, wie sie jetzt urplötzlich anfingen närrisch zu tun und die albersten Ding von der Welt vorzubringen; die großen Torheiten die sie begingen, und die großen Trünk, die sie einander zubrachten, wurden je länger je größer, also dass es schien, als ob diese beiden um die Wett miteinander stritten, welches unter ihnen am größten wäre, zuletzt verkehrte sich ihr Kampf in eine unflätige Sauerei. Nichts Artlichers war, als dass ich nicht wusste, woher ihnen der Dürmel kam, sintemal mir die Wirkung des Weins oder die Trunkenheit selbst noch allerdings unbekannt gewesen, welches denn lustige Grillen und Phantasten-Gedanken in meinem merklichen Nachsinnen setzte, ich sah wohl ihre seltsamen Minas, ich wusste aber den Ursprung ihres Zustands nicht. Bis dahin hatte jeder mit gutem Appetit das Geschirr geleert, als aber die Mägen gefüllt waren, hielt es härter als bei einem Fuhrmann, der mit geruhtem Gespann auf der Ebne wohl fortkommt, am Berg aber nicht hotten kann. Nachdem aber die Köpf auch toll wurden, ersetzte ihre Unmöglichkeit entweder des einen Courage, die er im Wein eingesoffen; oder beim andern die Treuherzigkeit, seinem Freund eins zu bringen; oder beim dritten die teutsche Redlichkeit, ritterlich Bescheid zu tun: Nachdem aber solches die Länge auch nicht bestehen konnte, beschwor je einer den andern bei großer Herren und sonst lieber Freund oder bei seiner Liebsten Gesundheit, den Wein maßweis in sich zu schütten, worüber manchem die Augen übergingen und der Angstschweiß ausbrach; doch musste es gesoffen sein: ja man machte zuletzt mit Trommeln, Pfeifen und Saitenspiel Lärmen, und schoß mit Stücken dazu, ohn Zweifel darum, dieweil der Wein die Mägen mit Gewalt einnehmen musste. Mich verwundert', wohin sie ihn doch alle schütten könnten, weil ich noch nicht wusste, dass sie solchen, ehe er recht warm bei ihnen ward, wiederum mit großem Schmerzen aus ebendem Ort hervorgaben, wohinein sie ihn kurz zuvor mit höchster Gefahr ihrer Gesundheit gegossen hatten.
Mein Pfarrer war auch bei dieser Gasterei, ihm beliebte sowohl als andern, weil er auch so wohl als andere ein Mensch war, ein Abtritt zu nehmen. Ich ging ihm nach, und sagte: »Mein Herr Pfarrer, warum tun doch die Leut so seltsam? woher kommt es doch, dass sie so hin und her torkeln? mich dünkt schier, sie seien nicht mehr recht witzig, sie haben sich alle satt gessen und getrunken, und schwören bei Teufelholen, wenn sie mehr saufen können, und dennoch hören sie nicht auf, sich auszuschoppen! müssen sie es tun, oder verschwenden sie Gott zu Trutz aus freiem Willen so unnützlich?« »Liebes Kind«, antwortet' der Pfarrer, »Wein ein, Witz aus! Das ist noch nichts gegen das, das künftig ist. Morgen gegen Tag ists noch schwerlich Zeit bei ihnen voneinander zu gehen, denn wenn schon ihre Mägen gedrungen voll stecken, so sind sie jedoch noch nicht recht lustig gewesen.« »Zerbersten denn«, sagte ich, »ihre Bäuch nicht, wenn sie immer so unmäßig einschieben? können denn ihre Seelen, die Gottes Ebenbild sind, in solchen Mastschweinkörpern verharren? in welchen sie doch, gleichsam wie in finstern Gefängnissen und ungeziefermäßigen Diebstürmen, ohn alle gottseligen Regungen gefangen liegen? Ihre edlen Seelen, sage ich, wie mögen sich solche so martern lassen? sind nicht ihre Sinne, welcher sich ihre Seelen bedienen sollten, wie in dem Eingeweid der unvernünftigen Tier begraben?« »Halts Maul«, antwortet' der Pfarrer, »du dürftest sonst greulich Pumpes kriegen, hier ist kein Zeit zu predigen, ich wollts sonst besser als du verrichten.« Als ich dieses hörte, sah ich ferner stillschweigend zu, wie man Speis und Trank mutwillig verderbte, unangesehen der arme Lazarus, den man damit hätte laben können, in Gestalt vieler hundert vertriebener Wetterauer, denen der Hunger zu den Augen herausguckte, vor unsern Türen verschmachtete, weil naut im Schank war.
Das 31 Kapitel: Wie übel dem Simplicio die Kunst misslingt, und wie man ihm die klopfende Passion singt
Als ich dergestalt mit einem Teller in der Hand vor der Tafel aufwartete, und in meinem Gemüt von allerhand Tauben und merklichen Gedanken geplagt wurde, ließ mich mein Bauch auch nicht zufrieden, er kurret und murret ohn Unterlaß, und gab dadurch zu verstehen, dass Bursch in ihm vorhanden wären, die in freie Luft begehrten; ich gedacht, mir von dem ungeheuren Gerümpel abzuhelfen, den Paß zu öffnen, und mich dabei meiner Kunst zu bedienen, die mich erst die vorig Nacht mein Kamerad gelehret hatte; solchem Unterricht zufolg hub ich das linke Bein samt dem Schenkel in alle Höhe auf, drückte von allen Kräften was ich konnte, und wollte meinen Spruch ›Je pète‹ zugleich dreimal heimlich sagen; als aber der ungeheure Gespan, der zum Hintern hinauswischte, wider mein Verhoffen so greulich tönete, wusste ich vor Schrecken nit mehr was ich täte, mir wurde einsmals so bang, als wenn ich auf der Leiter am Galgen gestanden wäre, und mir der Henker bereits den Strick hätte anlegen wollen; und in solcher jählingen Angst so verwirret, dass ich auch meinen eigenen Gliedern nicht mehr befehlen konnte, maßen mein Maul in diesem urplötzlichen Lärmen auch rebellisch wurde, und dem Hintern nichts bevorgeben noch gestatten wollte, dass er allein das Wort haben, es aber, das zum Reden und Schreien erschaffen, seine Reden heimlich brummeln sollte, derowegen ließ solches dasjenige, so ich heimlich zu reden im Sinn hatte, dem Hintern zu Trutz überlaut hören, und zwar so schrecklich, als wenn man mir die Kehl hätte abstechen wollen: je greulicher der Unterwind knallete, je grausamer das ›Je pète‹ oben herausfuhr, gleichsam als ob meines Magens Ein- und Ausgang einen Wettstreit miteinander gehalten hätten, welcher unter ihnen beiden die schrecklichste Stimm von sich zu donnern vermochte. Hierdurch bekam ich wohl Linderung in meinem Eingeweid, dagegen aber einen ungnädigen Herrn an meinem Gouverneur; seine Gäst wurden über diesem unversehenen Knall fast wieder alle nüchtern, ich aber, weil ich mit aller meiner angewandten Mühe und Arbeit keinen Wind bannen können, in eine Futterwanne gespannet und also zerkarbeitscht, dass ich noch bis auf diese Stund daran gedenke. Solches waren die erste Bastonaden die ich kriegte, seit ich das erstemal Luft geschöpft, weil ich dieselbe so abscheulich verderbt hatte, in welcher wir doch gemeinschaftlicher Weis leben müssen, da brachte man Rauchtäfelein und Kerzen, und die Gäst suchten ihre Bisemknöpf und Balsambüchslein, auch sogar ihren Schnupftobak hervor, aber die besten aromata wollten schier nichts erklecken. Also hatte ich von diesem Actu, den ich besser als der beste Komödiant in der Welt spielte, Friede in meinem Bauch, hingegen Schläg auf den Buckel, die Gäst aber ihre Nasen voller Gestank, und die Aufwärter ihre Mühe, wieder einen guten Geruch ins Zimmer zu machen.
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