Also führete man mich in die Stadt, und jedermann lief zu, als wenn ein Meerwunder auf die Schau geführt würde; und gleichwie mich jedweder sehen wollte, also machte auch jeder etwas Besonders aus mir, etliche hielten mich für einen Spionen, andere für ein Unsinnigen, andere für ein wilden Menschen, und aber andere für ein Geist, Gespenst oder sonst für ein Wunder, welches etwas Besonders bedeuten würde: Auch waren etliche, die hielten mich für ein Narren, welche wohl am nächsten zum Zweck geschossen haben möchten, wenn ich den lieben Gott nicht gekennet hätte.
Das 20. Kapitel: Was gestalten er, um von dem Gefängnis und der Folter errettet worden
Als ich vor den Gubernator gebracht wurde, fragte er mich, wo ich herkäme? Ich aber antwortet, ich wüßte es nicht. Er fragt' weiter: »Wo willst du denn hin?« Ich antwortet abermal: »Ich weiß nicht.« »Was Teufel weißt du denn«, fragte er ferner, »was ist denn dein Hantierung?« Ich antwortet noch wie vor, ich wüßte es nicht. Er fragte: »Wo bist du zu Haus?« und als ich wiederum antwortet, ich wüßte es nicht, verändert' er sich im Gesicht, nicht weiß ich, obs aus Zorn oder Verwunderung geschah? Dieweil aber jedermann das Böse zu argwöhnen pflegt, zumalen der Feind in der Nähe war, als welcher allererst, wie gemeldt, die vorige Nacht Gelnhausen eingenommen und ein Regiment Dragoner darin zuschanden gemacht hatte, fiel er denen bei, die mich für einen Verräter oder Kundschafter hielten, befahl darauf, man sollte mich besuchen; als er aber von den Soldaten von der Wacht, so mich zu ihm geführet hatten, vernahm, dass solches schon beschehen, und anders nichts bei mir gefunden worden wär als gegenwärtiges Büchlein, welches sie ihm zugleich überreichten, las er ein paar Zeilen danach, und fragte mich, wer mir das Büchlein geben hätte? Ich antwortet, es wäre von Anfang mein eigen gewesen, denn ich hätte es selbst gemacht und überschrieben. Er fragte: »Warum eben auf birkenen Rinden?« Ich antwortet: »Weil sich die Rinden von andern Bäumen nicht dazu schicken.« »Du Flegel«, sagte er, »ich frage, warum du nicht auf Papier geschrieben hast?« »Ei«, antwortet ich, »wir haben keins mehr im Wald gehabt.« Der Gubernator fragte: »Wo? in welchem Wald?« Ich antwortet wieder auf meinen alten Schrot, ich wüßte es nicht.
Da wandte sich der Gubernator zu etlichen von seinen Offiziern, die ihm eben aufwarteten, und sagte: »Entweder ist dieser ein Erzschelm, oder gar ein Narr! zwar kann er kein Narr sein, weil er so schreibt«; und indem als er so redet', blättert' er in meinem Büchlein so stark herum, ihnen mein schöne Handschrift zu weisen, dass des Einsiedlers Brieflein herausfallen musste, solches ließ er aufheben, ich aber entfärbte mich darüber, weil ich solches für meinen höchsten Schatz und Heiligtum hielt; welches der Gubernator wohl in acht nahm, und daher noch ein größern Argwohn der Verräterei schöpfte, vornehmlich als er das Brieflein aufgemacht und gelesen hatte, denn er sagte: »Ich kenne einmal diese Hand, und weiß, dass sie von einem mir wohlbekannten Kriegsoffizier geschrieben worden ist, ich kann mich aber nicht erinnern, von welchem?« so kam ihm auch der Inhalt selbst gar seltsam und ohnverständlich vor, denn er sagte: »Dies ist ohne Zweifel eine abgeteilte Sprach, die sonst niemand verstehet, als derjenige mit dem sie abgeredt worden.« Mich aber fragte er, wie ich hieße? und als ich antwortet: »Simplicius«, sagte er: »Ja ja, du bist eben des rechten Krauts! fort, fort, dass man ihn alsobald an Hand und Fuß in Eisen schließe.« Also wanderten beide obgemeldten Soldaten mit mir nach meiner bestimmten neuen Herberg, nämlich dem Stockhaus zu, und überantworteten mich dem Gewaltiger, welcher mich seinem Befehl gemäß, mit eisernen Banden und Ketten an Händen und Füßen, noch ein mehrers zierte, gleichsam als hätte ich nicht genug an denen zu tragen gehabt, die ich bereits um den Leib herum gebunden hatte.
Dieser Anfang mich zu bewillkommen, war der Welt noch nicht genug, sondern es kamen Henker und Steckenknecht, mit grausamen Folterungs-Instrumenten, welche mir, ohnangesehen ich mich meiner Unschuld zu getrösten hatte, meinen elenden Zustand allererst grausam machten: »Ach Gott!« sagte ich zu mir selber, »wie geschieht mir so recht, Simplicius ist darum aus dem Dienst Gottes in die Welt gelaufen, damit ein solche Mißgeburt des Christentums den billigen Lohn empfange, den ich mit meiner Leichtfertigkeit verdienet habe. O du unglückseliger Simplici! wohin bringt dich deine Undankbarkeit? Siehe, Gott hatte dich kaum zu seiner Erkenntnis und in seine Dienst gebracht, so läufst du hingegen aus seinen Diensten, und kehrest ihm den Rücken! Hättest du nicht mehr Eicheln und Bohnen essen können wie zuvor, deinem Schöpfer ohnverhindert zu dienen? Hast du nicht gewusst, dass dein getreuer Einsiedel und Lehrmeister die Welt geflohen, und sich die Wildnis auserwählt? O blindes Bloch, du hast dieselbe verlassen, in Hoffnung, deinen schändlichen Begierden (die Welt zu sehen) genug zu tun. Aber nun schaue, indem du vermeinest, deine Augen zu weiden, musst du in diesem gefährlichen Irrgarten untergehen und verderben. Hast du unweiser Tropf dir nicht zuvor können einbilden, dass dein seliger Vorgänger der Welt Freude um sein hartes Leben, das er in der Einöde geführt, nicht vertauscht haben würde, wenn er in der Welt den wahren Frieden, eine rechte Ruhe und die ewige Seligkeit zu erlangen getraut hätte? Du armer Simplici, jetzt fahr hin, und empfange den Lohn deiner gehabten eitelen Gedanken und vermessenen Torheit. Du hast dich keines Unrechts zu beklagen, auch keiner Unschuld zu getrösten, weil du selber deiner Marter und darauf folgendem Tod entgegen bist geeilet.« Also klagte ich mich selber an, bat Gott um Vergebung, und befahl ihm meine Seel: Indessen näherten wir dem Diebsturm, und als die Not am größten, da war die Hilf Gottes am nächsten; denn als ich mit den Schergen umgeben war, und samt einer großen Menge Volks vorm Gefängnis stund, zu warten bis es aufgemacht und ich hineingetan würde, wollte mein Pfarrherr, dem neulich sein Dorf geplündert und verbrannt worden, auch sehen, was da vorhanden wäre (denn er lag zunächst dabei auch im Arrest). Als dieser zum Fenster aussah und mich erblickte, rief er überlaut: »O Simplici bist dus?« Als ich ihn hörte und sah, konnte ich nichts anders, als dass ich beide Händ gegen ihn aufhub, und schrie: »O Vater! o Vater! o Vater!« Er aber fragte, was ich getan hätte? Ich antwortet, ich wüßte es nicht, man hätte gewißlich mich darum daher geführt, weil ich aus dem Wald entlaufen wäre: Als er aber vom Umstand vernahm, dass man mich für einen Verräter hielt, bat er, man wollte mit mir einhalten, bis er meine Beschaffenheit dem Herrn Gouverneur berichtet hätte, denn solches würde beides zu meiner und seiner Erledigung taugen, und verhüten, dass sich der Herr Gouverneur an uns beiden nicht vergreifen würde, sintemal er mich besser kenne, als sonst kein Mensch.
Das 21. Kapitel: Das betrügliche Glück gibt Simplicio einen freundlichen Blick
Ihm wurde erlaubt, zum Gubernator zu gehen, und über ein halbe Stund hernach wurd ich auch geholt, und in die Gesindstube gesetzt, allwo sich schon zween Schneider, ein Schuster mit Schuhen, ein Kaufmann mit Hüten und Strümpfen, und ein anderer mit allerhand Gewand eingestellt, damit ich ehest gekleidet würde; da zog man nur den Rock ab, samt der Ketten und dem härenen Hemd, auf dass die Schneider das Maß recht nehmen könnten; folgends erschien ein Feldscherer, mit scharfer Laugen und wohlriechender Seifen, und eben als dieser seine Kunst an mir üben wollte, kam ein anderer Befehl, welcher mich greulich erschreckte, weil er lautet', ich sollte mein Habit wieder anziehen; solches war nicht so bös gemeint, wie ich wohl besorgte, denn es kam gleich ein Maler mit seinem Werkzeug daher, nämlich mit Minien und Zinnober zu meinen Auglidern, mit Lack, Endig und Lasur zu meinen korallenroten Lippen, mit Auripigmentum, Rausch-schütt und Bleigelb zu meinen weißen Zähnen, die ich vor Hunger bleckte, mit Kienruß, Kohlschwärz und Umbra zu meinen gelben Haaren, mit Bleiweiß zu meinen gräßlichen Augen, und mit sonst vielerlei Farben zu meinem wetterfarbigen Rock, auch hatte er eine ganze Hand voll Pinsel. Dieser fing an mich zu beschauen, abzureißen, zu untermalen, den Kopf über eine Seite zu hängen, um seine Arbeit gegen meine Gestalt genau zu betrachten; bald ändert' er die Augen, bald die Haar, geschwind die Naslöcher, und in Summa alles, was er im Anfang nicht recht gemacht, bis er endlich ein natürliches Muster entworfen hatte, wie Simplicius eins war: Alsdann durfte allererst der Feldscherer auch über mich herwischen, derselbe zwagte mir den Kopf und richtet' wohl anderthalbe Stund an meinen Haaren, folgends schnitt er sie ab auf die damalige Mode, denn ich hatte Haar übrig. Nachgehends setzt' er mich in ein Badstüblein, und säubert' meinen mageren ausgehungerten Leib von mehr als drei- oder vierjähriger Unlust: Kaum war er fertig, da bracht man mir ein weißes Hemd, Schuhe und Strümpf, samt einem Überschlag oder Kragen, auch Hut und Feder, so waren die Hosen auch schön ausgemacht, und überall mit Galaunen verbrämt, allein manglets noch am Wams, daran die Schneider zwar auf die Eil arbeiteten; der Koch stellet' sich mit einem kräftigen Süpplein ein, und die Kellerin mit einem Trank: Da saß mein Herr Simplicius wie ein junger Graf, zum besten akkommodiert. Ich zehrte tapfer zu, ohnangesehen ich nicht wusste, was man mit mir machen wollte, denn ich wusste noch von keinem Henkermahl nichts, dahero tat mir die Erkostung dieses herrlichen Anfangs so trefflich kirr und sanft, dass ichs keinem Menschen genugsam sagen, rühmen und aussprechen kann; ja ich glaube schwerlich, dass ich mein Lebtag einzigesmal eine größere Wollust empfunden, als eben damals. Als nun das Wams fertig war, zog ichs auch an, und stellte in diesem neuen Kleid ein solch ungeschickte Postur vor Augen, dass es sah wie ein Trophaeum, oder als wenn man ein Zaunstecken geziert hätte, weil mir die Schneider die Kleider mit Fleiß zu weit machen mussten, um der Hoffnung willen die man hatte, ich würde in kurzer Zeit zulegen, welches auch bei so gutem Futter augenscheinlich geschah. Mein Waldkleid, samt der Ketten und allem Zugehör, wurde hingegen in die Kunstkammer zu andern raren Sachen und Antiquitäten getan, und mein Bildnis in Lebensgröß danebengestellt.
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