Welche Form der Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgie und Geriatrie die höchste Effektivität zeigt, ist noch unklar. In einer Meta-Analyse finden sich Hinweise darauf, dass die günstigsten Effekte auf das Überleben dann zu erwarten sind, wenn die postoperative Betreuung auf einer von einem Geriater geleiteten Station erfolgt (Moyet et al. 2019), während dies in einer zweiten Meta-Analyse nicht bestätigt werden konnte (Grigoryan et al. 2014). Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Frage der besten Form der Kooperation also noch nicht abschließend zu beantworten.
Neben der Mortalität untersuchten einige Studien auch den Einfluss eines orthogeriatrischen Co-Managements auf das Institutionalisierungsrisiko. Dabei scheint ein orthogeriatrisches Co-Management auch einen günstigen Einfluss auf die poststationäre Institutionalisierungsrate zu haben (Wang et al. 2015; Nordström et al. 2018).
Die zurückliegenden Studien zum Effekt eines orthogeriatrischen Co-Managements betreffen ganz überwiegend Patienten mit Hüftfrakturen. Die bisherige Evidenz legt aber nahe, dass sich ein orthogeriatrisches Co-Management auch bei Patienten mit anderen Frakturtypen wie Becken- oder Oberarmfrakturen günstig auswirkt.
Aktuelle Studien zeigen, dass das orthogeriatrische Co-Management die Funktionalität bei Patienten mit proximaler Femurfraktur verbessern und das Risiko einer Institutionalisierung oder zu versterben vermindern kann.
Bachmann S, Finger C, Huss A, et al. Inpatient rehabilitation specifically designed for geriatric patients: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2010;340:c1718.
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Nordström P, Michaëlsson K, Hommel A, Norrman PO, Thorngren KG, Nordström A. Geriatric Rehabilitation and Discharge Location After Hip Fracture in Relation to the Risks of Death and Readmission. J Am Med Dir Assoc. 2016 Jan;17(1):91.e1–7.
Nordström P, Thorngren KG, Hommel A, Ziden L, Anttila S. Effects of Geriatric Team Rehabilitation After Hip Fracture: Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. J Am Med Dir Assoc. 2018 Oct;19(10):840–845.
Pajulammi HM, Pihlajamäki HK, Luukkaala TH, Jousmäki JJ, Jokipii PH, Nuotio MS. The Effect of an In-Hospital Comprehensive Geriatric Assessment on Short-Term Mortality During Orthogeriatric Hip Fracture Program-Which Patients Benefit the Most? Geriatr Orthop Surg Rehabil. 2017 Dec;8(4):183–191.
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II Einführung in die Orthogeriatrie
1 Definition der Orthogeriatrie
2 Epidemiologie und Kosten orthogeriatrischer Eingriffe
3 Herausforderungen in der Betreuung orthogeriatrischer Patienten
1 Definition der Orthogeriatrie
Dieter C. Wirtz und Bernd Kladny
»Älter werden an sich ist keine Erkrankung, die es zu behandeln gilt, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung, der die moderne Medizin in Deutschland durch neue, seniorenspezifische Versorgungsformen entgegnen kann und muss. Geriatrische Patienten sind keine alten Erwachsenen, sondern stellen ein eigenes Patientengut dar.«
(Franz Müntefering, Vizekanzler a. D. der Bundesrepublik Deutschland; Vorsitzender der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e. V.)
Bis heute gibt es keine klare und einheitliche Definition von orthogeriatrischen Patienten. Die nationale als auch internationale Literatur liefert unterschiedliche Ansätze hierzu. Im internationalen Sprachgebrauch ist die Definition des orthogeriatrischen Patienten (»orthogeriatric«) nahezu ausschließlich traumatologisch belegt, zum größten Teil sogar ausschließlich bezogen auf ältere Patienten (mind. 70 Jahre) mit prox. Femurfrakturen bzw. Schenkelhalsfrakturen. Patienten, die nicht-traumatologisch bedingte Erkrankungen des Bewegungsapparates vorweisen, werden in der Regel nicht als orthogeriatrische Patienten, sondern als ältere (»elderly«) oder gebrechliche (»frail«) Patienten bezeichnet (Sabharwal und Wilson 2015; Hoogendijk et al. 2019).
Allen Definitionen ist jedoch gemeinsam, dass es sich bei diesen älteren Patienten um eine Hochrisikogruppe handelt, bei der vergleichsweise geringfügige Veränderungen im Gesundheitszustand zu wesentlichen Beeinträchtigungen bisher alltagsrelevanter Aktivitäten führen (Hoogendijk et al. 2019; Pilotto et al. 2020). Neben dem Alter (≥ 70 Lebensjahre) gilt für die Einordnung in das geriatrische Patientengut das Vorliegen von sog. geriatrietypischen Multimorbiditäten. Die in Deutschland übliche Definition einer geriatrietypischen Multimorbidität erfolgt auf Basis der Ausarbeitungen der deutschen geriatrischen Fachgesellschaften und den Ergebnissen der sog. Essener Konsensus-Konferenz (2003) mit Festlegung von insgesamt 13 geriatrietypischen Multimorbiditätserkrankungen (GTMK) (
Tab. 1.1). Entsprechend dieser Konsensus-Empfehlung gilt ein Patient mit 70 Jahren und älter dann als geriatrisch, sobald mindestens zwei GTMK nachweisbar sind und damit ein erhöhter Versorgungsbedarf gegeben ist (Borchelt et al. 2004).
Eine andere – in der Literatur durchaus gängige – Definition des geriatrischen Patienten berücksichtigt allein das biologische Alter, unabhängig von dem Vorliegen einer geriatrietypischen Multimorbidität. Hier wird das Alter von mind. 80 Jahren festgelegt, da in dieser Altersgruppe aufgrund der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität per se mit einem erhöhten Risiko für schwere Krankheitsverläufe und dem Auftreten von Komplikationen sowie dem Verlust der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus ausgegangen werden muss (Sieber 2007).
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