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Kloster Fischingen
Im Kloster, alles neu renoviert, gibt es Hotel- und Seminarbetrieb, Kirche, Kapellen, Klosterladen, Klosterwerkstatt und vieles mehr. An der Rezeption werde ich freundlich empfangen, und meine Wünsche nach Dusche, Bett und Essen können alle erfüllt werden. Einzel- und Doppelzimmer sind komplett belegt, ich werde deshalb im Mehrbettzimmer „Jakobus“ untergebracht mit ca. zwölf Stockbetten. Ich bin jedoch heute allein hier und brauche keine fremden Schnarchtöne zu befürchten. Die Duschräume sind vom Feinsten, sogar eine Waschmaschine ist vorhanden.
Vor dem Abendessen mache ich noch einen kleinen Rundgang ums Haus und in die Kirche, bevor ich mich in den einfachen, aber eleganten Speisesaal begebe. Es ist bereits ein Pilgertisch mit zwei Gedecken reserviert. Eine sympathische Pilgerin aus Hamburg gesellt sich zu mir. Sie ist im Mehrbettzimmer „Hildegard“, ebenfalls alleine, untergebracht. Im Kloster werden einfach bestimmte Regularien eingehalten. Sie erzählt, dass sie tagsüber immer wieder einen Pilger mit grüner Jacke weit voraus gesehen hat. Ich kann ihr bestätigen, das war ich.
Das Essen schmeckt wunderbar. Tafelwasser gibt es frisch gezapft aus dem Klosterbrunnen. Für Pilgerverhältnisse ein edles Mahl. Man kann uns schon fast der Völlerei bezichtigen. Wir essen auch die letzten Krümel auf. Schließlich soll ja morgen wieder die Sonne scheinen. So haben wir es als Kind gelernt. Ein Benediktinermönch kommt zu uns an den Tisch und heißt uns im Kloster herzlich willkommen. Nach einer kurzen Unterhaltung lädt er uns für morgen früh in die Idda-Kapelle zum Pilgersegen ein. Ich sage mein Kommen zu. Auch meine Mitpilgerin will kommen, obwohl es ihr eigentlich noch etwas zu früh ist.
Nach dem Essen genehmigen wir uns in der Klosterschenke ein kühles Bier und erzählen aus unserem Leben. Es ist interessant, wie vertraulich Gespräche unter Pilgern sein können. Müde und zufrieden verabschieden wir uns bis zum Frühstück.
14. Pilgertag, Dienstag, 06.05.2014
Kloster Fischingen–Gibswil: 17 km, Gesamt: 263 km
Bereits um 06.30 Uhr läutet mein Wecker. Ich habe wunderbar geschlafen. Nach einer ausgiebigen Dusche packe ich meinen Rucksack und gehe zum Frühstück. Wie erwartet, steht ein herrliches Buffet zum Zugreifen bereit. Es gibt alles, was das Herz begehrt. Das ist die richtige Stärkung für die heutige Bergetappe über das Hörnli auf 1133 Meter Höhe.
Meine Pilgerfreundin kommt auch schon kurz nach sieben Uhr. Wir lassen uns den Kaffee und die Brötchen schmecken, bevor wir in die Idda-Kapelle zum Pilgersegen gehen. Bis unser Ordensmann von den Benediktinermönchen kommt, haben wir noch etwas Zeit, um die Kirche mit der hl. Idda zu betrachten und aus unseren Reiseführern ihre Geschichte zu erkunden.
Schon bald kommt Bruder Daniel, bereitet seinen Gebetsordner und die Pilgerabzeichen auf dem Altar aus und heißt uns um diese frühe Stunde zum Pilgersegen herzlich willkommen. Es ist ein feierlicher Moment. Nach dem Segen erhalten wir unsere Pilgerabzeichen und dürfen uns in das große Pilgerbuch eintragen.
Als wir so nebeneinander vor dem Altar stehen, schauen wir uns an und müssen beide kurz schmunzeln. Wir haben gleiche Lebenserfahrungen. Schon amüsant, beide erleben wir auch jetzt einen glücklichen Moment, aber Kuss dürfen oder müssen wir uns jetzt keinen geben … Aber über das Pilgerabzeichen dürfen wir uns freuen. Es hat bis heute seinen Platz an meinem Pilgerhut und leistete mir treue Gesellschaft bis nach Santiago de Compostela.
Gut gestärkt an Leib und Seele fülle ich meine Wasserflaschen mit dem köstlichen Nass vom Klosterbrunnen und starte zu meiner heutigen Etappe. Stetig bergauf komme ich bald an einer Pilgerkäserei vorbei, welche einen speziellen Pilgerkäse herstellt und diesen werbemäßig als regionale Spezialität anpreist. Daran erkenne ich voller Ehrfurcht, welche Pilgertradition hier gelebt wird. Der Käsereimeister lässt es sich nicht nehmen, persönlich ein Foto von mir zu machen.
Käserei Au
Durch die Ortschaft Au/Thurgau, in deren kleiner Kirche ich noch einen Pilgerstempel ergattere, geht es nun immer steiler hinauf zum Gipfel des Hörnli in 1133 Meter Höhe. Fünfhundert Höhenmeter habe ich auf dem Anstieg insgesamt zu erklimmen. Und dabei meinen Rucksack fünfhundert Meter in die Höhe zu stemmen. Pilger Sepp, jetzt gilt es, Stärke zu zeigen … Und es geht gleich richtig los. Schritt für Schritt dem Himmel näher, die Sonne brennt, und ich erfrische mich immer wieder am kühlen Nass des Klosterbrunnens aus meiner Wasserflasche.
Bei einer kurzen Rast drehe ich mich um und sehe unter mir das hügelige Voralpenland, durch welches ich bisher gepilgert bin. An einer kleinen Restauration komme ich noch vorbei, die wirkt zwar sehr einladend, aber mich treibt es Schritt für Schritt weiter hinauf. Auch wenn jeder Schritt irgendwann immer mehr wehtut. Man spürt den Rucksack auf dem Rücken. Dieses Gewicht muss mit jedem Schritt nach oben gestemmt werden. Mein Freund Rudi würde jetzt wahrscheinlich lachen, der hat ganz andere Bergtouren gemacht. Für mich als Schreibtischtäter und Saisonpilger ist das jedoch eine gefühlte Tour auf das Dach der Welt.
Plötzlich sehe ich vor mir eine „Grenzhütte“ und davor einen Grenzstein, welcher das Zusammentreffen der Kantone Thurgau, St. Gallen und Zürich markiert. Ein markanter Ort in dieser Region. Es darf darüber spekuliert werden, bis zu welcher Zeit diese Grenzhütte durch Wachsoldaten regelmäßig kontrolliert wurde. Der Wandersteig führt unermüdlich nach oben. Ich freue mich schon auf den Gipfel. Dort oben wird, wie so oft, jeder Schweißtropfen mit einem traumhaft schönen Blick auf die Schweizer Alpenwelt belohnt. Und obwohl ich jetzt sehr, sehr viel geschwitzt habe, kann ich die Aussage über die Belohnung gänzlich bestätigen. Das ist sogar eher noch untertrieben.
Blick vom Hörnli
Ich kann mich am Ausblick vom Hörnli gar nicht sattsehen und freue mich, dass ich heute auch wettermäßig ein gutes Los habe. Vor mir im Tal, gut vierhundert Höhenmeter tiefer, kann ich meinen bevorstehenden Wanderweg über Fischenthal nach Gibswil sehen. In der Ferne gibt es das schneebedeckte Schweizer Hochgebirge zu bewundern. Kommet, sehet und staunet. Ich bin erfreulicherweise schon bei Letzterem angelangt. Aber zur Vervollständigung meines Glückes lasse ich mich auf der Terrasse der Gipfelhütte noch mit einer guten Hüttenwurst und einer Tasse Kaffee verwöhnen, bevor ich mich für den Abstieg fertig mache.
Es ist eine gute Straße, die ins Tal führt. Aber das andauernde Abbremsen geht so richtig in die Knie und die Muskulatur. Eine ebene Strecke ist wesentlich erholsamer zu gehen. Und der Abstieg nimmt kein Ende. An einigen Gehöften und Almhütten geht es vorbei. Manchmal auf weichen Fußwegen, mitunter aber auf dem harten, festgepressten Schotterweg. Ach, wie bin ich froh, nach einer gefühlten Ewigkeit wieder im Tal anzukommen.
In Fischenthal, dem stolzen Heimatort der Schweizer Olympiasieger Philipp und Simon Schoch, möchte ich die kleine Kirche besichtigen, stehe aber vor verschlossenen Türen, ebenso wie nebenan am Restaurant. Wieder mal so eine kulinarische Diaspora, wie ich es auch schon in Deutschland auf dem Weg in Oberschwaben erlebt habe. Auch kein geöffnetes Lebensmittelgeschäft ist zu sehen. Ich muss mich weiter an meinem Klosterwasser schadlos halten. Aber auch das geht bald zur Neige.
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