Ich steige an der Station aus und gehe eilig durch die Unterführung. Wie immer um die Mittagszeit staut es sich an den Rolltreppen, und ich nehme die Treppe trotz meiner schweren Beine. Ich rieche den Duft von Gebäck, Falafel und Döner und erst jetzt merke ich, wie hungrig ich bin. Heimlich hoffe ich, Nada hat gekocht, vielleicht das, was ich am liebsten esse, Spaghetti mit Shrimps oder eine Lasagne. Aber als ich in die Wohnung komme, ihren Namen rufe, fällt mir ein, dass sie selbst heute länger arbeiten muss. Trotzdem, Nada ist immer in der Wohnung, auch wenn sie gerade nicht da ist. Ihr Geruch ist überall. Man spürt sie in der sauberen Küche, in den Kipferln, die mit Schokoladencreme gefüllt auf dem Wohnzimmertisch stehen, auf den kleinen Zetteln, die sie mir hinterlässt.
»Im Kühlschrank ist ein Hühnchen, das darauf wartet gekocht zu werden«, lese ich auf einem gelben Post-it, das an der Garderobe klebt. Ich muss lachen, wasche mir die Hände und fange an. Es gibt nicht viel, das ich kochen kann, aber mein Hühnchen wird immer gut. Ich nehme es aus dem Kühlschrank und mache es sorgfältig sauber, schneide Zwiebeln und Kartoffeln und gebe alles in einen Plastiksack. Während das Hühnchen im Ofen schmort, bereite ich den Reis zu.
Nada kommt genau rechtzeitig zum Essen. »Du siehst müde aus«, sagt sie, nachdem sie das Hühnchen gelobt hat und ein Löffel Reis in ihrem Mund verschwindet. »Hast du schlecht geschlafen?«.
Ich traue es mich nicht, ihr zu sagen, dass ich seit Tagen schlecht schlafe, seit wir uns vor einer knappen Woche verlobt haben. Wie soll ich ihr das sagen? Dass da ein Knoten in meinem Kopf entsteht, wenn ich darüber nachdenke, wie Liebe auf Verantwortung trifft. Sie wartet auf meine Antwort und sieht mich lange an, während ich mir schnell meinen Mund mit Hühnchen und Reis fülle, um nicht antworten zu müssen.
»Ich bin nur müde«, sage ich, nachdem ich fertiggekaut habe, »nur müde, ich lege mich etwas hin.«
Rashid hat Glück. Wir gehen durch die kleine Wohnung und seine lachenden Augen verraten mir, wie froh er ist. Die Wohnung hat ein kleines Schlafzimmer, das Wohnzimmer ist etwas größer, Bad und Klo sind getrennt, alles ist sauber. Ich helfe Rashid mit Worten aus, wenn er mit dem Vermieter spricht, und nicht die richtigen Sätze findet. Der Vermieter ist ein freundlicher Mann. Er erklärt geduldig, was Rashid ihm noch schicken muss, damit die Wohnung sein neues Zuhause werden kann. »Danke«, sagt Rashid danach zu mir. Wir verabschieden uns gerade an der U-Bahnstation Kettenbrückengasse, als mein Handy klingelt. Ich sehe auf das Display. Es ist mein Chef. Am liebsten würde ich nicht abheben. Die Müdigkeit sitzt mir so schwer in den Knochen. Ich spüre meinen Körper in den harten U-Bahnsitz sinken. Als ob ich nie wieder aufstehen könnte.
»Kannst du kommen, nachher?«, fragt mein Chef. »Es muss noch so viel vorbereitet werden. Du weißt ja, morgen fängt der zweite Lockdown an.«
»Wann?«, frage ich etwas träge nach.
»Um 19 Uhr am Karlsplatz.«
Ich bin so müde, dass ich vergesse, dass man ein Nicken nicht durchs Telefon sehen kann.
»Ich komme.«
Der Blick auf die Uhr verrät mir, dass es keinen Sinn mehr macht, nachhause zu fahren. Schnell schreibe ich noch eine Nachricht an Nada.
»Muss doch noch auf die Arbeit jetzt leider.«
»Schade«, schreibt sie zurück und »Wir reden ein anderes Mal.«
»Wird sicher nicht so spät heute.«
Weil es aber zu früh ist, um direkt hinzufahren, beschließe ich einen Teil des Weges zu Fuß zu gehen. Ich fahre ein paar Stationen, steige aus und spaziere dann langsam Richtung Karlsplatz. Eigentlich komme ich immer zu spät, nicht viel, aber immer ein paar Minuten zu spät. Diesmal nicht. Diesmal bin ich viel zu früh dran. Ich setze mich in die Lounge in der Filiale am Karlsplatz, rede mit den Mitarbeitern und hole mir etwas zu trinken. Ich muss an Rashid denken, an sein fröhliches Gesicht, daran, was es heißt ein Zuhause zu haben, in dem man sich wohlfühlt. Meinen eigenen Traum, von einem Haus für die ganze Familie, habe ich auch noch nicht aufgegeben. Irgendwann, das weiß ich, werden wir es schaffen. Nachdenklich reiße ich eine Serviette in Streifen, als mein Handy wieder klingelt.
»Bist du schon da, Osama? Heute doch nicht Karlsplatz, du müsstest bitte zur Filiale am Schwedenplatz kommen.«
Einen kurzen Moment bleibe ich noch sitzen und strecke meinen müden Körper.
Dann gehe ich los.
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