Pädagogische Infrastruktur im virtuellen Bildungsraum
Zur Entfaltung der Bildungspotenziale des E-Learning (Kap. 2) bedarf es nicht nur eines technischen Rahmens, sondern einer pädagogischen Infrastruktur (Zimmer 2000b, 2000c). In der Literatur finden sich hierfür verschiedene Modelle mit unterschiedlichen Funktionsbereichen. Dabei lassen sich bei den einzelnen Modellen Überschneidungen und Gemeinsamkeiten feststellen. Zimmer (2003, 12 ff.) nennt sechs Funktionsbereiche bzw. Aktivitätsklassen eines virtuellen Bildungsraums, die sich um einen zentralen Arbeitsbereich gruppieren, in dem die Lernmodule bearbeitet werden, und die sich aus den Aktivitäten aller Beteiligten ergeben: (1) Angebot und Auskunft, (2) Planung und Verwaltung, (3) Mediathek und (Arbeits-)Ergebnisse, (4) Schnittstellen zu Anwendungssoftware, (5) Kommunikation und Kooperation sowie (6) Prüfung und Evaluation. Diese Funktionsbereiche werden üblicherweise von Lernplattformen abgedeckt (siehe Abb. 3.2).
Baumgartner/Häfele/Maier-Häfele (2002, 26 f.) schlagen fünf Funktionsbereiche virtueller Bildungsräume vor: (1) Präsentation von Inhalten, (2) Kommunikationswerkzeuge, (3) Werkzeuge zur Aufgaben- und Übungserstellung, (4) Hilfen für die Bewertung und Evaluation und (5) Administration. Der von Schulmeister (2005b, 56 f.) im Rahmen einer Untersuchung von Lernplattformen für Hamburger Hochschulen vorgestellte Katalog mit den wichtigsten Merkmalen umfasst zehn Funktionsbereiche: (1) Administration, (2) Kursmanagement, (3) Didaktik, (4) Kommunikation, (5) Medien, (6) Design, (7) Evaluation, (8) Technologie und Technik, (9) Support und (10) wirtschaftliche Gesichtspunkte. Diese Beschreibungen der Funktionsbereiche weisen unterschiedliche Detailierungsgrade und Gewichtungen einzelner Aspekte auf. Bei genauerem Betrachten sind diese jedoch auch alle in den von Zimmer (2003) vorgeschlagenen Funktionsbereichen enthalten.
Neue Funktionen im virtuellen Bildungsraum
In den vergangenen Jahren fand eine Fortentwicklung der Internettechnologien statt, die auch neue Anforderungen an die Lernplattformen stellen. Kerres u. a. (2009, 105 ff.) reformulieren „die fünf zentralen Funktionen einer ‚Lehrplattform‘ im Licht dieser Entwicklungen“:
1. |
„Rollen und Rechte in einer sozialen Inszenierung zuweisen“, |
2. |
„Aktivitäten von Akteuren organisieren“, |
3. |
„Lernmaterialien verknüpfen“, |
4. |
„Meta-Informationen für das Lernen bereitstellen“ und |
5. |
„Lernprozesse und -ergebnisse dokumentieren“. |
Diese fünf Funktionsbereiche signalisieren die bereits kapiteleinleitend erwähnte Öffnung des bisher eher geschlossenen Systems Lernplattform zum virtuellen Bildungsraum. Öffnung meint, dass einerseits Instrumente und Inhalte aus dem Internet in die Lernplattform aufgenommen werden können, andererseits aber auch, dass Lernergebnisse nicht mehr nur durch Prüfungen attestiert werden (Kap. 7.5), sondern auch Artefakte, die im Prozess des Arbeitens mit dem Lerngegenstand entstehen, als Ergebnisse anerkannt werden (Kap. 7.6, Kap. 7.7). Die Öffnung ist Folge der Anpassung an die technischen Entwicklungen des Web 2.0 (Kap. 5.4) und die damit einhergehenden veränderten Verwendungsmöglichkeiten und -gewohnheiten der Nutzer. Weiterhin wird die Bedeutung der sozialen Komponente im Lehr-Lern-Prozess betont.
Diese Funktionen werden in der folgenden Abb. 3.2 verdeutlicht. Dazu wurden exemplarische Anwendungsbezüge von den Lernplattformen in den virtuellen Bildungsraum ausgewählt. Lehrende und vor allem Lernende können über die Grenzen der geschützten Lernplattform und ihrer Funktionalitäten hinausgehen und einen virtuellen Bildungsraum erschließen, um dort Informationen, Lernmaterialien, Werkzeuge und Kooperationspartner zu finden. Diese reichen dabei wieder in die Lernplattform hinein und wirken auf die Lernprozesse und -ergebnisse.
Abb. 3.2:Integration von virtuellem Bildungsraum und Lernplattform (in Anlehnung an Zimmer 2003 und Kerres u. a. 2009)
Design des virtuellen Bildungsraums
Das Design des virtuellen Bildungsraums, das sog. Graphic User Interface (GUI), muss dazu beitragen, dass die Nutzer sich leicht innerhalb des Systems zurechtfinden. Da nicht alle im virtuellen Bildungsraum verfügbaren Ressourcen entsprechend angepasst werden können, gilt dieser Aspekt insbesondere für die Gestaltung der Lernplattform, die vom Bildungsanbieter bereitgestellt wird. Die Lernplattform soll einen übersichtlichen und aufgeräumten Eindruck machen, Symbole und Bezeichnungen müssen eindeutig und verständlich sein. Hierzu trägt auch die Barrierefreiheit (Kap. 5.3) und Mehrsprachigkeit der Funktionsbeschreibungen bei. Darüber hinaus sollte die Lernplattform an das Corporate Design des Bildungsträgers (Schulmeister 2005a, 57) und idealerweise die Nutzungsgewohnheiten der Lernenden und Lehrenden anpassbar sein. Auch wenn weitere genutzte Informations- und Kommunikationswerkzeuge des virtuellen Bildungsraums nur bedingt angepasst werden können, lassen sich die Lernplattformen als zentrale Anlaufstelle für E-Learning-Angebote entsprechend gestalten, sodass eine Orientierung der Lernenden und Lehrenden unterstützt wird.
Sechs Funktionsbereiche im virtuellen Bildungsraum
Bei der folgenden inhaltlichen Erläuterung der Funktionsbereiche eines Lernraums wird auf das erweiterte Modell von Zimmer (2003, 12 f.) und Kerres u. a. (2009) zurückgegriffen (Abb. 3.2). Dabei sei darauf hingewiesen, dass in einem solchen Modell die Funktionsbereiche systematisch beschrieben werden; die konkrete Umsetzung in den unterschiedlichen Systemen kann eine andere Aufteilung enthalten. Wichtig ist jedoch, dass die hier aufgelisteten Funktionen vorhanden sind. Anzumerken ist auch, dass viele Bereiche und die darin enthaltenen Funktionalitäten vor allem auf einer Lernplattform gestaltet werden können und sich die folgenden Ausführungen daher vor allem auf dieses technische System beziehen.
In diesem Bereich finden die Lernenden zum einen allgemeine Beschreibungen zu den Lernangeboten, z. B. zu Zeitplänen, Zugangsvoraussetzungen, Lernzielen bzw. zu erwerbende Kompetenzen, Prüfungsformen, Zertifikaten und Kosten. Diese können durch Bewertungen durch Lehrende und Tutoren, aber auch durch Mitlernende sowie frühere Lernende, die die Lernangebote bereits absolviert haben, ergänzt werden. Solche Bewertungssysteme können die Lernenden unterstützen, gezielter nach eigenen Bedarfen, Vorwissen oder verfügbarer Lernzeit die entsprechenden Lerninhalte auszuwählen. Manche Bildungsanbieter binden zur Unterstützung der Lernenden bei der Auswahl geeigneter Lernangebote digitale Beratungssysteme ein, z. B. in Form von Online-Studienwahl-Assistenten oder online self assessments (Hardt/Marx 2015; für einen Überblick entsprechender Systeme siehe Iost/Iost 2014; Röder 2017; Kap. 7.2). Aktuelle Ankündigungen zum Lernangebot bzw. den belegten Kursen, etwa über Sprechzeiten, Gruppenarbeitszeiten, Terminverschiebungen etc., die von den Lehrenden eingestellt und aktualisiert oder auch von den Gruppenmitgliedern in Eigenverantwortung koordiniert werden können, werden hier hinterlegt. Eine Anbindung an die Kursverwaltungssysteme eines Bildungsträgers ist empfehlenswert, um die Daten über eine zentrale Datenbank zu pflegen und konsistent zu halten. Es empfiehlt sich, Hinweise und Auskünfte auf erwartbare Fragen der Lernenden in diesem Bereich zu geben. Da jedoch nicht alle Fragen vorhersehbar sind, müssen auch Möglichkeiten für persönliche Auskünfte (z. B. per E-Mail, Chat) implementiert sein. Ein Online-Hilfesystem sollte integriert sein, Listen mit regelmäßig gestellten Fragen (FAQs, Frequently Asked Questions) sind hier einzustellen und regelmäßig zu aktualisieren. Dabei ist es denkbar, dass nicht nur die Lehrenden oder Administratoren diese Listen pflegen, sondern sich die Lernenden gegenseitig bei Fragen und Problemen unterstützen und Lösungsansätze online zur Verfügung stellen, z. B. durch Links auf Diskussionsforen außerhalb der Lernplattform im Netz, in denen das Problem und dessen Lösung besprochen wurden.
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