Außerdem müssen Instrumente für die Evaluation der Lernmaterialien und -module, der Betreuung, der Lernplattform usw. zur Verfügung gestellt werden. Es trägt zur Transparenz und zur Qualitätsverbesserung bei, wenn die Ergebnisse allen Beteiligten mitgeteilt werden (Kap. 8; Kap. 9). Wenn Lernende die eigene Lernleistung sowie die Zusammenarbeit mit Kommilitonen und Lehrenden sowie Tutoren bewerten, erhalten alle Beteiligten wertvolle Hinweise für die weitere Gestaltung des Lernangebots und der Lernprozesse, was zur Verbesserung der Lehr- und Lernkultur beiträgt (Kap. 6).
Darüber hinaus zählen nicht nur die Endergebnisse von Testaten oder Klausuren zu den Prüfungsleistungen, sondern auch die Artefakte, die im Laufe des Lernprozesses entstanden sind (Lerntagebücher, Weblogs, Diskussionen, gestaltete Arbeitsergebnisse usw.), denn es zeugen gerade diese Artefakte von der Wissens- und Kompetenzentwicklung der Lernenden, die weit über das eigentliche Lernziel hinausgehen können und neben dem Erwerb fachlich-methodischer auch die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen (Erpenbeck/Heyse 1999, 93 ff.) belegen.
Die aktuellen Entwicklungen im Netz erfordern, dass eine Systemoffenheit der Lernplattform gewährleistet ist, die sich sogar dahin gehend entwickeln kann, dass eine Vielzahl der Funktionsbereiche aus der Lernplattform ausgelagert oder die internen Funktionsbereiche durch Externe erweitert werden. Nicht nur das technische System, auch die Planung, Durchführung und Evaluation des Lehr-Lern-Prozesses sind von diesem Wechsel betroffen und sollten berücksichtigt und integriert werden (Kap. 9).
3.4 Web 2.0 im virtuellen Bildungsraum
Was ist Web 2.0?
Geprägt wurde der Begriff von dem Verleger O’Reilly (2005) durch seinen Artikel „What is Web 2.0? Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software“. Der Begriff Web 2.0 steht für eine neue Version von Software-Anwendungen im Internet. Insgesamt findet O’Reilly sieben Kennzeichen, die das neue Web 2.0 ausmachen:
Das Netz ist eine Plattform, auf der (inter-)agiert wird; Programme werden im Netz ausgeführt, Daten im Netz abgelegt;
die kollektive Intelligenz der Nutzer durch ihre Teilhabe im Netz – als Konsumenten, aber vor allem als Produzenten, die ihr Wissen anderen zur Verfügung stellen;
statt Rechenkraft wird zukünftig vor allem die Qualität des angebotenen Inhalts entscheidend sein;
Software und Dienste werden im Netz bereits im Beta-Stadium, also vor Veröffentlichung, zur Verfügung gestellt, die Nutzer können diese testen und Fehler aufdecken, und in manchen Fällen werden sie auch zur Mitarbeit eingeladen;
statt großer Software- und/oder Servicepakete werden kleine Komponenten im Netz entwickelt, sind schnell anpassbar und adaptierbar;
geräteunabhängige Software und
vielfältige Nutzererfahrungen mit Software und Internetdiensten, die dezentral im Netz und mit verschiedenen Endgeräten funktionieren, während die Nutzer darauf zugreifen, die eingegebenen Daten werden miteinander vernetzt und durch die Nutzereingabe mit weiteren Informationen angereichert und zur Verfügung gestellt (Behrendt/Zeppenfeld 2008, 5 ff.).
Den Kern der neuen Web-2.0-Anwendungen zeichnen zwei Eigenschaften aus: (1) Das Netz wandelt sich vom Ich zum Wir, und (2) können die Nutzer auch Inhalte produzieren und distribuieren. Eine treibende Kraft ist die Entwicklung von Social Software, die sich durch „Vernetzung von Menschen und die Organisation von Daten und Wissen“ (e-teaching.org 2015m) auszeichnet. Sie kann als eine treibende Kraft der neuen Web-2.0-Anwendungen gesehen werden, was nicht nur die Erfolgsgeschichte von Wikipedia belegt. Internetnutzer laden Videos ins Netz, die von anderen z. B. bewertet und verlinkt werden. Sie kommunizieren in ihrer Online-Gemeinschaft, treffen sich in virtuellen Räumen und teilen Informationen. Statt des einzelnen Konsumenten von Informationen im Internet entwickeln sich soziale Netzwerke, die über beliebige Themen und Interessen kommunizieren. Der Internetnutzer wird vom Konsumenten auch zum Produzenten, kurz gesagt zum Prosumenten.
Pädagogische Implikationen
In der Gestaltung der pädagogischen Infrastruktur im Internet findet ebenfalls ein Rollenwechsel statt. Nicht nur können Lernende immer wieder Neues von anderen Nutzern lernen, vielmehr können die aktiv und produktiv Lernenden auch zu Lehrenden werden. Die Einbindung von Web-2.0-Anwendungen lässt die Lernenden zu Gestaltern von Inhalten werden. Natürlich bedeutet das nicht, dass diese Inhalte didaktisch professionell aufbereitet sein müssen. Die Kompetenzen über die didaktische Aufbereitung von Lerngegenständen oder die Gestaltung einer pädagogischen Infrastruktur für gelungenes Lernen müssen vor allem und auch weiterhin Pädagogen besitzen. Jedoch werden Lernende durch die Eigenproduktion von Inhalten aus der passiven Konsumentenrolle geholt, was große Vorteile für einen handlungs- und kompetenzorientierten Lehr- und Lernprozess hat (Kilian 2017). Darüber hinaus gewinnen die generierten Inhalte durch die kollektive Zusammenarbeit in der Regel eine hohe Qualität (Giles 2005), die von einer Einzelperson in dieser Form selten erbracht werden kann.
Diesem durch die Web-2.0-Entwicklungen ausgelösten Paradigmenwechsel in den pädagogischen Verhältnissen muss im E-Learning Rechnung getragen werden. Es bedarf bei der Gestaltung moderner E-Learning-Szenarien der Berücksichtigung der geänderten Nutzergewohnheiten beim Umgang mit Online-Bildungsressourcen. Insbesondere die Lernplattform als technische Infrastruktur muss für diese neuen Anforderungen gerüstet sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nun auch alle Lernenden diese neuen Formen des Interagierens bevorzugen. Lerngewohnheiten können nur langsam um die neuen Möglichkeiten ergänzt werden, die gewohnten und bewährten Muster von Lernhandlungen und Lernbiografien müssen berücksichtigt werden. Jedoch bieten sich bei den neuen Formen digitaler Kommunikation und Kooperation Möglichkeiten, den lange geforderten Lernkulturwandel (Arnold/Schüssler 1998) zu verwirklichen. Dieser drückt sich u. a. darin aus, dass Lernende die Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen, der Lehrende sich hingegen eher als Begleiter oder Ermöglicher von Lernen sieht, der den Lernenden bei Fragen und mit Anregungen und Hilfen zur Seite steht.
Neue Input-, Prozess- und Outcome-Qualitäten durch Web 2.0
Interessant ist, dass durch die aktive Einbeziehung der Lernenden in die Lehr- und Lernprozesse sowohl die Qualität der Prozesse selbst als auch der Inhalte (Input) und der Ergebnisse (Learning Outcome) gesteigert werden kann. Dabei liegt es auf der Hand, dass die Lernenden einen Kurs durch ihre aktive Mitarbeit – allein oder in Gruppen – in der Prozessqualität steigern. Und bei den Inhalten kann festgestellt werden, dass Lernende als ernst genommene Partner im Lehr-Lern-Prozess mit hohem Engagement versuchen, die Qualität eines Bildungsangebots zu stützen, wie Praxiserfahrungen (Kilian 2010) und Forschungsergebnisse (Giesecke/Stahl/Früh 2010) zeigen. Dies kann durch komplexe Anforderungen wie die Gestaltung von Podcasts oder Wikis unterstützt werden oder auch durch niederschwellige Einbindung und Verwendung leicht zu bedienender Werkzeuge (z. B. Social Bookmarks, Social Tags oder Blogs), die es den Einzelnen ermöglichen, ihre Ergebnisse mit anderen zu teilen und zu besprechen. Hervorzuheben ist weiterhin die Möglichkeit, die Qualität des Outcomes zu steigern. So können Bewertungssysteme, wie sie im Internet häufig Anwendung finden, auf Kurse übertragen werden. Bereits jetzt bieten Lernplattformen Bewertungssysteme für Diskussionsbeiträge oder Lernmaterialien an, die von Nutzern für Nutzer generiert werden. Auch die Prüfungsformen wandeln sich in einem solchen Szenario. Wechselseitige Beurteilungen stellen bspw. eine Möglichkeit dar, Ergebnisse ressourcenschonend und lerner- sowie kompetenzorientiert zu bewerten (Kap. 7). Andere Formen wie elektronische Lerntagebücher, die Aufzeichnung und Analyse von Lernprozessen in der Lernplattform (User-Tracking, Learning Analytics) oder E-Portfolios finden bereits in der Praxis Anwendung und gehen meist über die Anerkennung und Bewertung der angeeigneten Inhalte eines Kurses hinaus (zu allen Aspekten der Nutzung von Web-2.0-Anwendungen im E-Learning siehe Kap. 5.4; Kap. 6; Kap. 7).
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