3.5 Infrastruktur für E-Learning
Die Fülle didaktischer, organisatorischer und technischer Anforderungen macht die Entwicklung und den Aufbau komplexer Systeme und einer umfassenden Infrastruktur für das Lehren und Lernen im E-Learning notwendig.
Gestaltung einer Lernumgebung
Solange nur einzelne Lehrende virtuelle Lernangebote bei einem Bildungsanbieter planen und selbst durchführen, ist es relativ leicht möglich, eine Kursumgebung für die Zwecke der eigenen Veranstaltung zu entwickeln (Reinmann-Rothmeier 2003). Eine Kursumgebung kann auf der Basis allgemein verfügbarer Internettechnologien und mit Standardwerkzeugen (Internetseiten, E-Mail und Clouddienste, Blogs etc.) zusammengestellt werden; auch lassen sich Groupware-Plattformen integrieren, oder als virtueller Bildungsraum nutzen (Arnold 2001; Arnold/Putz 2000). Mittlerweile ist das Angebot an Inhalten sowie Werkzeugen im Internet so groß, dass es sich empfiehlt, diese Ressourcen auf ihre inhaltliche und didaktische Eignung für das Bildungsangebot zu prüfen und – unter Beachtung der Urheber- und Nutzungsrechte (Kap. 11.2) – ggf. auf diese zurückzugreifen. Dies gilt insbesondere für verfügbare Open Educational Resources (OER; Kap. 5.5; Kap. 2.1; Kap. 2.5.2) auf der Inhaltsseite und für Freeware (freie Software) auf der Instrumentenseite.
Sobald jedoch von einer Bildungseinrichtung viele virtuelle Veranstaltungen angeboten werden, ist es sinnvoll, über die Gestaltung und Nutzung der erforderlichen virtuellen Bildungsräume resp. der Lernplattform gemeinsame Abstimmungen zu treffen. Der Einsatz einer einheitlichen Lernumgebung erscheint allein schon deshalb notwendig, da durch die Nutzung einer gemeinsamen Lernplattform die Lernenden entlastet werden und sich nicht jedes Mal in einer neuen Kursumgebung zurechtfinden müssen. Für die Lehrenden, Kursentwickler und Tutoren kann dies zunächst mehr Arbeit, Abstimmung oder auch Einschränkung der eigenen Präferenzen bedeuten. Allerdings stellen Lernplattformen und ihre Einbindung in den virtuellen Bildungsraum den Rahmen für E-Learning zur Verfügung, der nach Auswahl und Implementation nicht stets aufs Neue definiert werden muss, wodurch auch aufseiten der Lehrenden, Kursentwickler und Tutoren mit einer Entlastung zu rechnen ist.
Wie eingangs dargestellt, wird der Begriff Lernplattform hier für die informations- und kommunikationstechnische Basis bzw. für die Software verwendet, die entwickelt wurde, um Lehr- und Lernprozesse im E-Learning zu unterstützen und auch Lernmaterialien und Nutzerdaten zu verwalten. Hier gibt es eine Vielzahl von Entwicklungen (Baumgartner u. a. 2004; Schulmeister 2005a) sowohl von kommerziellen Anbietern als auch auf der Basis von Open Source Software. Die in den Katalogen aufgeführten Kriterien (ebd.) sind eine hilfreiche Grundlage für die Entscheidung, welche Funktionalitäten eine Lernplattform besitzen soll.
Content Management Systeme
Content Management Systeme (CMS) waren „ursprünglich für die Organisation und das Management von Inhalten konzipiert“ (Baumgartner/Häfele/Maier-Häfele 2002, 34). Inzwischen haben sie sich „zu komplexen Redaktionssystemen entwickelt, die sowohl die Abläufe eines kooperativen webbasierten Arbeitsprozesses koordinieren als auch bei der Online-Erstellung der Inhalte […] helfen“ (ebd.). CMS können zum Erstellen, Verwalten, Recherchieren und Wiederverwenden von digitalen Inhalten genutzt werden und vereinfachen dem Anwender den Umgang mit diesen. Sie sind durch drei Merkmale gekennzeichnet (ebd., 34 f.):
1. |
die Trennung von Layout und Inhalt (das Layout von Online-Inhalten wird automatisch vom CMS erstellt), |
2. |
das Komponenten-Management (Inhalte werden mit Metadaten in einer Datenbank abgelegt und bei Bedarf wieder abgerufen und zu neuen Inhalten zusammengesetzt, siehe Kap. 10), |
3. |
das Workflow-Management (Steuerung der Arbeitsabläufe). |
Learning Management Systeme
Während CMS stark auf die Organisation von Inhalten ausgerichtet sind, wurden Learning Management Systeme (LMS) vor allem entwickelt, um Lehr- und Lernprozesse mit digitalen Medien zu unterstützen. In den LMS „wird selbst erstellter oder zugekaufter Content in einer Datenbank verwaltet und den Lernenden zur Verfügung gestellt. Dabei wird der individuelle Lernprozess […] vom System mitverfolgt (Tracking) und protokolliert. Die Lernenden können miteinander über synchrone (z. B. Chat) oder asynchrone (z. B. Diskussionsforum, File-Sharing) Kommunikationstools kommunizieren und kollaborieren“ (ebd., 30). Darüber hinaus unterstützen LMS auch die Verwaltung der Kurse und der Lernenden oder bieten Hilfsmittel zur Erstellung von Online-Materialien für die Dozenten und Tutoren an.
Learning Content Management Systeme
Jedoch zeigte sich in der Praxis, dass ein LMS allein virtuelles Lehren und Lernen nicht ausreichend unterstützt, da LMS nur bedingt für die Erstellung, Verwaltung und Bearbeitung von Lernmaterial geeignet waren. Dies ist insofern ein wichtiger Faktor, als die Produktion multimedialer Lernmaterialien ein sehr zeit- und kostenaufwendiger Prozess sein kann. Nicht nur selbst erstellte Inhalte, sondern auch extern produzierte und zugekaufte Lernmaterialien müssen von einem System gut verwaltet werden können und (wieder-)verwendbar sein. Darüber hinaus wird es zunehmend interessanter, auf externe Ressourcen im Netz zuzugreifen, diese mit in das System zu integrieren und zu verwalten. Diesen Anspruch erfüllen wiederum CMS. Aus diesem Grund wurden die Vorteile der LMS mit denen der CMS in Learning Content Management Systemen (LCMS) zusammengeführt.
Zur eigenen multimedialen Erstellung von Lerninhalten werden zusätzlich Autorenwerkzeuge angeboten, die entweder bereits in Lernplattformen enthalten sind oder als zusätzliche Software genutzt werden können. Die Funktion solcher Software ermöglicht es den Lehrenden, ohne Programmierkenntnisse eigene Inhalte für die digitale Distribution aufzubereiten. Mit diesen Instrumenten ist es Lehrenden bspw. möglich, weiterführende Aufgaben oder zusätzliche Erläuterungen zu einer digitalen Lernsequenz zusammenzustellen. Die mittlerweile große Fülle an Instrumenten und Editoren, die auch als Open Source Software im Netz verfügbar ist, erlaubt es, auch mit geringem technischen Vorwissen Lerninhalte und Lernressourcen zu erstellen.
Mit der Entwicklung des Web 2.0 muss darüber hinaus der Lehrende nicht mehr alleiniger Inhaltsproduzent sein. Vielmehr können die Lernenden in den Prozess der Inhaltsproduktion integriert werden. Vielfältige Erfahrungen auf diesem Gebiet liegen bereits vor (Hofhues/Bianco 2009; Kilian 2010).
Einige Lernplattformen greifen die Raummetapher als begehbare dreidimensionale Lernwelt auf, in der Seminarräume und darin befindliche Gegenstände wie Tafel, Tische u. a. Arbeitsgeräte räumlich abgebildet werden (Schulmeister 2005a, 104). Lehrende, Experten, Tutoren, Lernende und Zuschauende können sich als zwei- oder dreidimensionale Abbildungen oder Spielfiguren (Avatare) durch diese Räume bewegen und in Echtzeit kommunizieren. Solche Systeme haben ihren Ursprung in den virtuellen Spielwelten der textbasierten MUDs (Multi User Dungeons, Labyrinth- bzw. Rollenspiele für mehrere Benutzer) und der MOOs (Multi User Dungeons Object-Oriented). Letztere beziehen grafische Repräsentationen wie 3D-Objekte und Virtual Reality Objects mit ein.
Inwieweit eine solche virtuelle Umsetzung realer Räume auch in Lernkontexten über eine erste spielerische Annäherung hinaus sinnvoll ist, wird kontrovers diskutiert. Pätzold (2007, 15) untersuchte das Potenzial von 3D-Lernumgebungen und kam zu dem Schluss: „Zum einen handelt es sich zweifellos um technisch ambitionierte Erweiterungen der bisherigen Möglichkeiten computervermittelter Kommunikation und Gemeinschaftsbildung, die auch ein medienpädagogisches Potenzial haben. Gleichzeitig ist das Potenzial in Bezug auf den Einsatz solcher Umgebungen als Lernwelten aber bisher auf recht spezielle Nischenanwendungen beschränkt.“ In den letzten Jahren gab es einige Bildungsanbieter, die solche Ansätze durchaus erfolgreich testeten. Beispielhaft sei hier die Volkshochschule Goslar erwähnt, die viele Jahre Kurse in Second Life anbot und 2008 damit sogar den europäischen E-Learning-Preis „eureleA“ gewann (Kreisvolkshochschule Goslar 2008). Jedoch nutzen auch andere Lernplattformen die Raummetapher, wenn sie einzelne Bereiche oder Abteilungen mit Raumnamen belegen (Gruppenraum, Bibliothek, Café u. a.; Arnold 2001, 36). Virtuelle Lernwelten scheinen demnach „eine naheliegende Reaktion auf den zunächst noch ungewohnten, ungegliederten und unstetigen virtuellen Lernraum [zu sein und] sind die Versuche, Vorstellungen von realen Lernräumen in den virtuellen Raum zu übertragen“ (Peters 1999, 19).
Читать дальше