Folgende Funktionsbereiche soll eine Persönliche Lernumgebung erfüllen (Attwell u. a. 2008, 82 f., dt. übersetzt):
1. |
Informationssuche und -strukturierung: Informationen sind eine Basis für das Lernen. Lernende müssen in der PLE ihre Suchergebnisse sammeln und strukturieren können. Somit können Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede der Informationen erkannt und der Lernprozess unterstützt werden. |
2. |
Bearbeitung: Nach der Informationssuche müssen die Daten interpretiert werden. Für die weitere Arbeit sollen diese Daten bearbeitbar und damit dem eigenen Wissens- und Problemhorizont angepasst werden können, damit diese individuell für den Lernprozess genutzt werden können. |
3. |
Analyse: Die PLE soll eine entsprechende Struktur bieten, um dem Lernenden den Vergleich neuer Informationen mit bereits vorhandenen Ressourcen zu ermöglichen. |
4. |
Reflexion: Darüber hinaus soll die PLE Möglichkeiten der Reflexion des Gelernten bieten. Dafür eignen sich beispielsweise Blogs oder Diskussionsgruppen. |
5. |
Präsentation: Die PLE bietet Möglichkeiten, Arbeitsergebnisse, Problemlösungen usw. anderen zu präsentieren. |
6. |
Transfer: Der Transfer zielt auf die Übertragung der neuen Erkenntnisse auf neue/ähnliche Problemfelder. Er kann als Metareflexion dazu dienen, das Gelernte im Sinne der Kompetenzentwicklung (wovon Attwell u. a. in diesem Zusammenhang nicht sprechen) in neue Anwendungsfelder zu übertragen. |
7. |
Teilen: Das Teilen von gewonnenen Informationen und Wissen ist ein zentraler Aspekt der PLE und dient der Verbreitung neuen Wissens und der Partizipation an Erkenntnissen anderer. |
8. |
Netzwerken mit anderen: Networking ist nach Attwell u. a. die für das Lernen in persönlichen Lernumgebungen zentrale Herausforderung. Ohne die Einbindung in und den Ausbau sowie die Pflege von Netzwerken ist eine effektive, kritisch reflektierte und vernetzte Wissens- und Kompetenzentwicklung schwer möglich. |
Viele arbeiten bereits – so kann festgestellt werden – (bewusst oder unbewusst) in und mit PLE. Es gibt zwar wenig PLE-Anbieter, jedoch entwickeln gerade routinierte Nutzer digitaler Medien ihre eigenen PLE. Diese sind in einigen Fällen auch plattformübergreifend aufgebaut. So werden Linklisten verwaltet, welche die favorisierten Webseiten enthalten, Messaging-Systeme sind auf dem PC installiert, um zu chatten, Newsgroups werden besucht, oder über einen Mailverteiler werden Informationen in der Gemeinschaft ausgetauscht. Unterwegs können über das Smartphone Feeds gelesen oder Kurznachrichten verschickt werden. Für die Bearbeitung einer Lernaufgabe wird über Online-Officeprogramme gemeinsam gearbeitet, bei der Recherche gefundene interessante Informationen fließen in Blogeinträge, oder es wird ein Beitrag in Wikipedia editiert. Wichtige Inhalte werden in die Cloud ausgelagert und mit anderen geteilt. Gruppenarbeitsräume werden mobil gebucht und Gruppentreffen über die digitale Terminverwaltung vereinbart. Diese kurze Beschreibung soll verdeutlichen, wie eine PLE aussehen könnte. Eine PLE ist weniger die Bereitstellung einer neuen Software-Komplettlösung zum Lernen als vielmehr die Aggregation verschiedener Informations-, Kommunikations-, Reflexions- und Evaluationsmodule in einem offenen System.
Herausforderungen beim Wechsel vom LMS zum PLE
Bei einem Wechsel von einem Lernplattformsystem zu einer PLE zeichnen sich Herausforderungen ab, die auch zu Veränderungen im E-Learning führen. Mit der Realisierung von PLE-Konzepten werden die Lernenden von Konsumenten zu Produzenten und damit zu Prosumenten, die eigenverantwortlich und selbst organisiert ihre Lernprozesse gestalten. Beim Einsatz einer PLE kommt den Nutzern die Aufgabe zu, verschiedene und für ihre Lerninteressen geeignete Werkzeuge auszuwählen und einzusetzen. Die Kompetenz zu einer guten Selbstorganisation muss mitgebracht bzw. aufgebaut werden. Für das inhaltliche Arbeiten ist es notwendig, dass die Beteiligten Kompetenzen zum Suchen und Finden, aber auch zur Verwendung und Bewertung der gefundenen Inhalte besitzen. Bezüglich der sozialen Einbindung stellen die Online-Gemeinschaft und die Kooperation zentrale Lernmöglichkeiten dar. Weiterhin ist der Zugang zu den persönlichen Daten anderer und für andere Beteiligte notwendig. Der Schutz persönlicher Daten und die Wahrung der Rechte wird dabei durch die Lerner selbst kontrolliert. Auf der technischen Seite ist es notwendig, dass Interoperabilität zwischen der Lernplattform (und Lernobjekten) und eingesetzten Werkzeugen der PLE gegeben sein muss (Gaiser 2008, 8 f., in Anlehnung an Schaffert/Hilzensauer 2008). Insgesamt bleibt festzustellen, dass der Wandel von formalen und vorgefertigten Lernangeboten in einer Lernplattform hin zu nonformalem oder informellem Lernen in einer PLE eine Vielzahl von Anforderungen an die Nutzer sowie das technische System stellt. Andererseits ist der mit einer PLE potenzielle Gewinn nicht zu unterschätzen, da die Lerner die Möglichkeit bekommen, sich selbst organisiert, bedarfsgerecht und nach eigenen Präferenzen das angestrebte Wissen anzueignen bzw. zu erarbeiten.
Integration eines adaptiven Lernsystems
Die Integration eines adaptiven Lernsystems zur Analyse und Bewertung der Handlungen der Lernenden und der daraus automatisch erzeugten Empfehlungen für ihre weiteren Lernhandlungen ist eine aktuelle informationstechnische Entwicklung zur Vervollständigung der PLE. Mit der Anwendung einer automatischen Lernprozessanalyse (Learning Analytics, siehe Kap. 7.9) können die Lernhandlungen und der Lernstand in der Bearbeitung der jeweiligen Lerneinheit automatisch aufgezeichnet und ausgewertet werden. Grundlage dafür sind aussagekräftige lerntheoretisch und pädagogisch fundierte Modelle von Lernprozessen mit digitalen Medien, die als wirksam eingeschätzt werden. So wird z. B. aufgezeichnet, ob der Lernende bereits alle Inhalte der Lerneinheit bearbeitet hat, wie er seine Kompetenzen in dem jeweiligen Themengebiet einschätzt, mit welchem Ergebnis er Aufgaben bearbeitet hat oder welchen Inhalt er bereits in welcher Zeit bearbeitete. Dem Lernenden werden die ausgewerteten Ergebnisse und die daraus automatisch abgeleiteten Empfehlungen für seine weiteren Lernhandlungen präsentiert. Er kann so erkennen und reflektieren, ob er mit dem aufgezeigten Ergebnis sein Lernziel bereits erreicht hat oder welche identifizierten individuellen Lernschwächen er dafür noch auf welchen der vom Lernsystem empfohlenen Wegen inhaltlich bearbeiten muss. Dafür kann zum einen das Lernsystem Lernpfade empfehlen, die sich automatisch an das aufgezeichnete und ausgewertete bisherige Vorgehen des Lernenden anpassen und somit einen individuellen Weg durch die Lerneinheit empfehlen. Das Lehrpersonal kann zum anderen sowohl den Gesamtfortschritt der Lernenden im angebotenen Kurs als auch eventuelle Verständnisprobleme oder Defizite in einzelnen Themenbereichen erkennen und diese z. B. durch Lernberatungsangebote oder Zusatzaufgaben beheben.
Das Ziel der Integration von PLE und adaptivem Lernsystem ist, dem Lernenden einen effizienten Lernprozess zu ermöglichen, sich also auf die wesentlichen Lerninhalte und Lernhandlungen zu konzentrieren, statt viel Zeit für die Suche nach den Inhalten aufzuwenden. Dafür wird dem Lernenden auch ein Überblick über die Struktur und die Themen der Lerneinheit geboten mit Verortung seines bisherigen Lernfortschritts.
Mögliche Probleme beim Einsatz von Persönlichen Lernumgebungen
Eine Persönliche Lernumgebung hat nicht nur Vorteile. Ihre hohe Individualisierbarkeit macht es – im Gegensatz zu einer Lernplattform – fast unmöglich, diese durch Dritte zu administrieren. Wenn technische Probleme auftreten, sind die Lerner auf sich gestellt, um eine Lösung zu finden. Das kann z. B. die fehlerhafte Einrichtung eines Netzzugangs sein, der plötzliche Verlust aller Bookmarks, versehentliches Löschen von Daten in einer Cloud oder ein vergessenes Passwort für eine Online-Anwendung. Diese wenigen Beispiele verdeutlichen weitere Vorteile einer zentral gepflegten Lernplattform, da sich Ansprechpartner (Tutoren, Lehrende oder Administratoren) um die Lösung eines aufgetretenen Problems bemühen und die technische Infrastruktur pflegen können. Bei institutionalisierten Lernangeboten stellt sich zudem die Frage, ob und inwieweit Lerner auf die Einrichtung einer PLE verwiesen werden können. Zugleich kann davon ausgegangen werden, dass die Nutzer von E-Learning-Angeboten ihre eigenen persönlichen Lernumgebungen nutzen. Sie greifen auf cloudbasierte Datenspeicher oder auch zunehmend auf cloudbasierte Anwendungen (Software as a Service, SaaS) zurück, recherchieren im Netz, tauschen sich über die Lerngegenstände in Foren aus usf. Aspekte des Datenschutzes (bspw. beim Bearbeiten eines Online-Dokuments oder dem Austausch in einem öffentlichen Chat) gewinnen an Relevanz, da Lernprozesse z. T. in öffentlich zugängliche virtuelle Räume verlegt werden. Auch das Bereitstellen von Bildungsressourcen, z. B. eine urheberrechtlich geschützte Datei mit beschränkten Verwendungslizenzen, ist in solchen offenen Lernumgebungen nicht oder nur begrenzt möglich. Es sind daher Regelungen zu entwickeln, die die Lernaktivitäten und den Umgang mit Lernergebnissen in anderen Umgebungen klären (Schaffert/Kaltz 2009).
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