Vor der Garage klopft er sich allen Dreck von der Jacke; er möchte den Tesla nicht schon wieder in die Innenraumreinigung geben müssen. An einem weißen, in der Garagenwand eingebauten Plastikkästchen tippt Pascal einen fünfstelligen Code ein, woraufhin sich surrend das breite Garagentor öffnet. Lieber wäre ihm, das Kästchen wäre in schlichtem Chromstahl gehalten, aber aus Gründen, die ihm jetzt fremd sind, hatte er es dem Handwerker damals durchgehen lassen, die Variante aus Plastik einzusetzen. Dennoch ist es ärgerlich: Statt die Sache vor Jahren mit einem einmaligen Aufpreis bezahlt zu haben, büßt er nun jedes Mal dafür mit der schmerzhaften Vorstellung, ein Kästchen aus Chromstahl wäre schöner.
Das Tor ist nun ganz geöffnet, in der Garage zeigt sich ansprechend indirekt beleuchtet sein Tesla QX mit der Obsidian-Black-Metallic-Lackierung und den schwarzen 22-Zoll-Onyx-Turbine-Felgen. Wenn Pascal den Wagen anschaut, kommt es vor, dass er sich fragt, ob das Fahrzeug vielleicht nicht doch ein Quäntchen zu klobig ausgefallen sei, ob er vielleicht doch das kleinere, schlankere Modell hätte wählen sollen. Der Eleganz wegen. Zu diesem kritischen Gedanken kann Pascal jeweils eine gesunde Distanz aufbauen, indem er sich daran erinnert, dass Autofahren mit Physik zu tun hat und bei einem Unfall ein schwererer Wagen deutlich sicherer ist. Zudem ruft er sich in Erinnerung, dass das kleinere Modell in der Regel von Leuten gefahren wird, die nicht halb so viel verdienen wie er.
Diesen auffallend schön lackierten Tesla hat sich Pascal in seinem letzten Jahr bei der Suissecom geleistet, im Januar, gleich nachdem der Vorjahresbonus auf seinem Konto eingetroffen war. Er bereut es nicht.
Seinen rechten Daumen hält Gschwind kurz ans Telefon, sein Fingerabdruck wird erkannt; die Fahrertür öffnet sich, die Lichter gehen an, Gschwind steigt ein. Zügig lässt er den schweren Wagen aus der Doppelgarage gleiten, schaltet die Klimaanlage ein, stellt das Radio an und reiht sich auf der kurvenreichen, dem Nordufer des Sees folgenden Straße in den dichten Morgenverkehr. Hin und wieder macht sich Pascal einen Spaß daraus, die Sensoren seines Hightechfahrzeuges zu testen, indem er den Wagen in den Kurven den zwischen Straßenrand und Uferböschung stehenden Leitplanken bedrohlich nahekommen lässt. Immer wieder erfüllt es ihn mit Genugtuung, wie flink der Wagen Alarm schlägt, wie schnell das 24-Zoll-Display auf eine Gefahr hinweist.
Auf der anderen Seite des Thunersees zeigt sich nun der Niesen majestätisch in den allerersten Sonnenstrahlen, der Gipfel des Berges ist noch ganz ohne Schnee. Gschwind muss an die ETH-Geologin Hollenstein denken, an deren Aussage, der wichtigste Rohstoff der Schweiz sei ihre intakte Natur. Gerne hätte er Hollenstein gefragt, auf wie viele Tausend Franken sie denn den Wert eines derart von der Sonne beleuchteten Niesens schätzt. Er weiß nicht, ob er das Radio ausschalten soll; er möchte sich nicht plötzlich anhören müssen, wie Hollenstein ihre dunkelgrünen Weisheiten verbreitet.
Für den Tesla hat er damals mit allen Extras und nach den über mehrere Tage sich hinziehenden Rabattverhandlungen 132.000 Franken hingeblättert. Das hält er für einen klar definierten Wert; insgesamt hat er dank seines Verhandlungsgeschicks 7990 Franken eingespart, eine Summe, die er so schnell nicht vergessen wird, und er hält es für ausgeschlossen, dass er woanders für so wenig Geld so viel Auto erhalten hätte.
Die Vorstellung aber, chinesische Touristen reisten nicht mehr in die Schweiz, wenn der Beatenberg durch eine größere Rapacitanium-Mine an Attraktion verliert, wie so mancher Verteidiger der unberührten Schweizer Natur es öffentlich verlauten lässt, ärgert ihn enorm. Der Beatenberg, denkt er, sei doch in China vollkommen unbekannt, und solange man das Jungfraujoch an seinem Platz und die Chinesen alles fotografieren ließe, was sie für sehenswert halten, erlitte der Tourismus keinerlei Beeinträchtigung. Wahrscheinlich ließe sich sogar aus einem Beatenberg, der sich einer Mine wegen von einem Berg in eine Mulde verwandelt, ein für Chinesen attraktives Urlaubsziel kreieren: Die Chinesen könnten sehen und fotografieren, wo und wie das berühmte helvetische Rapacitanium abgebaut wird. Und würden verblüfft feststellen, dass sich Rapacitanium gewinnen lässt, ohne ganze Talschaften zu zerstören.
Schon lange ärgert sich Gschwind über die raffinierte grüne Panikmache; jetzt ist mit ETH-Geologin Gabriela Hollenstein eine neue Wortführerin aufgetaucht. Er versteht nicht, weswegen sie Gehör findet; wer seinen Verstand gebraucht, müsste Gschwinds Meinung nach doch wissen, dass es in der Schweiz seit dem Mittelalter keine intakte Natur mehr gibt. Müsste wissen, dass Wilhelm Tell, um seine Armbrust zu bauen, einen Baum gefällt hat. Wissen, dass eine intakte Natur lediglich eine Frage des Marketings ist.
Das weiß, davon ist Gschwind überzeugt, auch Gabriela Hollenstein. Sie ist aber offenbar klug genug, vollkommen populistisch zu taktieren und aufzuheulen wie die militanten Tierschützer, sobald sie auch nur von weitem einen Jäger erspähen kann.
Je mehr Gschwind über all das nachdenkt, desto mehr reizt es ihn, mit dieser Gabriela Hollenstein ein öffentliches Streitgespräch zu führen. Wahrscheinlich hat diese Wortführerin der sogenannten intakten Natur China nie bereist und überhaupt keinen Begriff davon, was andere Nationen für das Wohl ihrer Wirtschaft herzugeben bereit sind.
Ungehalten über die steigende politische Macht seiner Widersacher, verliert Gschwind die Geduld mit dem Wagen vor ihm. Er sieht sehr wohl, dass die Mittellinie durchgezogen und der halbwegs gerade Abschnitt vor der nächsten Kurve sehr kurz ist, aber das führt nur dazu, dass er umso deutlicher meint, ein Überholmanöver stelle bei der Beschleunigung, die sein Tesla auf den Asphalt bringt, kein Problem dar.
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