Kenntnisse, also etwa Sprach- oder EDV-Kenntnisse sowie die erforderliche Berufserfahrung für eine Position lassen sich ohne Schwierigkeiten aus dem Lebenslauf eines Bewerbers ersehen. Sollten hier Kenntnisse fehlen oder sich mit der Zeit als unzureichend erweisen, lassen sie sich sehr gut mit klassischem Training oder Weiterbildung auffrischen bzw. erwerben. Was sich aus dem Lebenslauf nicht ergibt, sind die Fähigkeiten, die ein Mensch mitbringt. Die geforderten Fähigkeiten können für verschiedene Tätigkeiten sehr unterschiedlich sein. So braucht ein Vertriebsmitarbeiter u. U. ein gewisses Maß an Extrovertiertheit, Freude am Kontaktknüpfen mit Menschen, sowie eine gewisse Eloquenz. Das Anlegen dieser Kriterien bei der Auswahl eines Softwareprogrammierers würde hingegen nicht sinnvoll sein, da sie keine Relevanz für seine berufliche Tätigkeit haben. Es mag möglich sein, beispielsweise einen introvertierten Programmierer zu einem erfolgreichen Verkäufer zu trainieren. Die vorhandene Anzahl an angebotenen Verkaufstrainings spricht Bände und es spielt dabei sicher eine Rolle, dass ein großer Teil der Weiterbildungslandschaft von Pädagogen besetzt ist, und historisch damit ein Fokus auf milieutheoretische Ansätze nicht überraschen muss. Unabhängig davon, ob jemand, der introvertiert ist, an einer Verkaufstätigkeit oder an einer öffentlichkeitswirksamen Position überhaupt Freude hätte, werden die angeborenen Dispositionen nicht nur viel Training benötigen, sondern sie stecken auch den Rahmen der beruflich erreichbaren Exzellenz. Insofern gilt der Erfahrungswert im Personalwesen: Was in der Personalauswahl versäumt wird, lässt sich mit Personalentwicklungsmaßnahmen nur schwer korrigieren. Unternehmen sind deshalb zunehmend daran interessiert gerade den Kompetenzbereich der vorhandenen Fähigkeiten zu evaluieren.
2.1 Attract, Select & Integrate
Recruiting kann grob in drei Aufgabenteile gegliedert werden: »Attract« (Personalmarketing), »Select« (Personalauswahl) und »Integrate« (Personalintegration). Die Integrationsphase geht nach überstandener Probezeit unmittelbar in die Bindungsphase (Retention) über und ab diesem Zeitpunkt ist nicht mehr das Recruiting, sondern die interne Personalentwicklung für die weitere Karriere der Mitarbeiter zuständig.
Auf der Ebene von Attract müssen sich Unternehmen in der Zukunft mehr und mehr bemühen, »Employer of Choice« zu werden, eine Aufgabe insbesondere für das Personalmarketing. Stipendien und duale Ausbildungswege machen Unternehmen zu attraktiven Arbeitgebern. Es ist immer wichtiger geworden, schon potenziell qualifizierte Arbeitnehmer für Unternehmen zu interessieren und früh eine Bindung zu schaffen. Ein Beispiel hierfür sind Girls‹ und Boys‹ Days gegen Rollenklichees bei der Berufswahl. Aber auch die Rekrutierung neuer Mitarbeiter durch eigene Mitarbeiter ist ein gutes Beispiel für Personalmarketing. Unabhängig von der nachweislichen Qualität solcher Empfehlungen (weil unwahre Aussagen auf die empfehlenden Mitarbeiter zurückfielen) und ihren Nutzen für Select, stärken solche Aktionen auch die Firmenverbundenheit der rekrutierenden Mitarbeiter. Schließlich möchte jeder Mitarbeiter auf sein eigenes Unternehmen stolz sein. Aber auch Work-Life-Balance-Programme sowie generell die Möglichkeit, in Zukunft durch »Empowerment« der Mitarbeiter mehr Firmenverbundenheit und Sinnerfüllung in der Arbeit zu ermöglichen, werden wesentliche Komponenten sein, um sich im »War for Talents« als Unternehmen behaupten zu können.
Dabei bleiben die wesentlichen Differenzierungsstrategien im Personalmarketing erhalten. Wie sich wahlweise etwa mit »Idealpunkt«- oder »Präferenzmodellen« darstellen lässt, ziehen Unternehmen gezielt durchaus verschiedene potenzielle Bewerbergruppen mit ihren Personalimage-Portfolios an. Das Personalmarketing eines Unternehmens arbeitet mit seinen Methoden sehr gezielt daran, das gewünschte Arbeitgeberbild (z. B. Sicherheit des Arbeitsplatzes, Internationalität, moderne Organisationsstrukturen) zur Zielgruppe zu transportieren (
Abb. 7).
Abb. 7: Personalimage-Portfolio (modifiziert nach Scholz 2000)
Die Aufgaben des Personalmarketings enden nicht mit dem Bewerbungsprozess. Über die Integration neuer Mitarbeiter bis hin zur Personalfreisetzung achtet das Personalmarketing auf ein vorteilhaftes Unternehmensimage intern und extern und sorgt für positive Kommunikationsprozesse. Dazu wird es in der Zukunft für die Unternehmen immer wichtiger werden zu definieren, was sie unter »Talenten« überhaupt verstehen. Wenn man nicht weiß, wen man sucht, kann man die Person auch mit den besten Auswahlinstrumenten nicht finden. Die Auswahlinstrumente müssen den bestmöglichen professionellen Ansprüchen genügen, und die bei der Auswahl beteiligten Führungskräfte müssen sorgfältig geschult werden.
Für Bewerber ist ein Interviewpartner eines Unternehmens immer auch Unternehmensrepräsentant und als solcher Imageträger. Personalauswahlsituationen sind deshalb auch Marketing-Events. Unternehmen müssen sich verdeutlichen, dass verprellte Bewerber immer auch verprellte »Kunden« sein können und zudem hervorragende, aber eben auch katastrophale Multiplikatoren im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis. Ist das Image einmal ruiniert, dauert es oft Jahre, bis ein Unternehmen im Employer-Ranking wieder nach oben klettert.
Sind genügend qualifizierte Bewerber vom Unternehmen angezogen und auch ausgewählt worden, geht es darum, diese möglichst schnell produktiv einsetzen zu können, zu integrieren und Fluktuation, insbesondere in den ersten Monaten und Jahren, zu verhindern. Schließlich wurde bereits in jeden neuen Mitarbeiter investiert. Dazu können beispielsweise Mentoren-Programme initiiert werden. Integrationsveranstaltungen sorgen darüber hinaus für die Bildung von Netzwerken unter den neuen Mitarbeitern. Mittel- und langfristig wird so Integration zu Retention. Hier beginnt die Arbeit der internen Personalentwicklung.
Eine der aktuellen Erfordernisse im Recruiting ist es, sowohl ältere Bewerber zu berücksichtigen als auch die Gruppe der hochqualifizierten Frauen zu gewinnen. Um sie zu gewinnen und zu halten, werden die Unternehmen flexible Arbeitszeiten, Work-Life-Balance-Programme, Kinderbetreuungsmöglichkeiten etc. noch stärker ausbauen müssen. Unternehmen müssen sich in einem arbeitnehmerorientierten Arbeitsmarkt, wie er zunehmend durch die Demografie entsteht, verstärkt um die Bedürfnisse der Arbeitnehmer kümmern. War es früher vor allem geboten, dass sich Mitarbeiter an eine bestehende Unternehmenskultur anpassten, passen sich Unternehmen zunehmend an die pluralen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter-»Welten« an, um nicht die besten Bewerber an die Wettbewerber zu verlieren. Sehen wir uns im Folgenden einmal ausgewählte Methoden im »Recruitingzyklus« näher an (
Abb. 8).
Nachdem der Personalbedarf quantitativ und qualitativ bestimmt ist, helfen Personalreferenten den Fach-Führungskräften in der Regel, ein Anforderungsprofil zu definieren, das im Einklang mit den Erfordernissen des Kompetenzmanagements eines Unternehmens steht. Danach wird die Vakanz zusätzlich zur internen Pflichtausschreibung in Zeitungen, Internet und zielgruppenrelevanten Zeitschriften veröffentlicht. Alternativ gibt ein Unternehmen den Auftrag an externe Headhunter, etwa aufgrund mangelnder interner Ressourcen oder aufgrund mangeln-
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