Am Abend jedoch, zurück in der Privatsphäre unserer neuen Wohnung, als die Kinder schliefen und ständig diese wunderschönen Geräusche von sich gaben – wahre Schönheit ist immer unbeabsichtigt –, konnte ich ihnen aufmerksam und ohne lästige Befangenheit lauschen. Die Darmgeräusche des Mädchens wurden durch die Pappwand verstärkt und wanderten unsichtbar durch das fast leere Wohnzimmer. Nach einer Weile hörte der Junge sie irgendwo tief im Schlaf – so jedenfalls kam es uns vor – und antwortete mit Wortfetzen und Gemurmel. Mein Mann stellte fest, dass wir eine der Sprachen der städtischen Soundscape hörten, verwendet im zirkulären Akt der Unterhaltung:
Ein Mund antwortet einem Po.
Ich unterdrückte kurz das Bedürfnis zu lachen, merkte dann aber, dass auch mein Mann mit geschlossenen Augen die Luft anhielt, um nicht zu lachen. Vielleicht waren wir mehr stoned, als wir dachten, jedenfalls konnte ich nicht mehr, meine Stimmbänder gaben ein eher schweineartiges als menschliches Geräusch von sich. Er ließ ebenfalls los, prustete und gluckste, seine Nasenflügel bebten, die Augen verschwanden fast in seinem verzerrten Gesicht, und er schaukelte vor und zurück wie eine kaputte Piñata. Die meisten Menschen sehen furchterregend aus, wenn sie herzhaft lachen. Mir waren schon immer Leute suspekt, die nur mit den Zähnen klicken, und ich fand es ziemlich beunruhigend, wenn jemand beim Lachen keinen Ton von sich gibt. In meiner Familie väterlicherseits gibt es einen genetischen Defekt, der sich am Ende jeder Lachsalve in Schnauben und Grunzen Bahn bricht. Bis alle Tränen in den Augen haben und sie ein Schamgefühl überkommt.
Ich atmete tief durch und wischte mir eine Träne von der Wange. Im selben Moment wurde mir klar, dass mein Mann und ich uns zum ersten Mal lachen gehört hatten, das heißt aus vollem Herzen – enthemmt, befreit, völlig idiotisch. Vielleicht kennen wir uns erst richtig, wenn wir wissen, wie der andere lacht. Schließlich beruhigten mein Mann und ich uns wieder.
Eigentlich ist es gemein, dass wir auf Kosten unserer Kinder lachen, oder? fragte ich.
Ja, völlig daneben.
Wir beschlossen, dass wir diesen Augenblick festhalten sollten, und holten unsere Aufnahmegeräte. Mein Mann schwenkte seine Tonangel durch den Raum; ich hielt meinen Voicerekorder nah an den Jungen und das Mädchen ran. Sie lutschte am Daumen, und er murmelte Worte und merkwürdige Schlafgeräusche hinein; im Mikro meines Mannes waren auf der Straße vorbeifahrende Autos zu hören. In kindlicher Komplizenschaft nahmen wir ihre Geräusche auf. Ich bin mir nicht sicher, welche tieferen Gründe uns dazu bewegten, die Kinder an diesem Abend aufzunehmen. Vielleicht lag es einfach an der Sommerhitze, plus dem Wein, minus dem Joint, multipliziert mit der Aufregung des Umzugs, geteilt durch das Recyceln der vielen Pappkartons, das uns noch bevorstand. Oder wir folgten dem Impuls, den Augenblick zuzulassen, weil er sich anfühlte wie der Beginn von etwas Neuem, um eine Spur zu hinterlassen. Schließlich hatten wir unseren Verstand darauf trainiert, Aufnahmegelegenheiten zu nutzen, unsere Ohren trainiert, dem täglichen Leben zu lauschen, als wäre es Rohmaterial. Alles, wir und sie, hier und dort, innen und außen, wurde festgehalten, gesammelt und archiviert. Vielleicht müssen neue Familien wie junge Nationen nach gewaltsamen Unabhängigkeitskriegen ihre Anfänge in einem symbolischen Augenblick verankern und in der Zeit festnageln. Dieser Abend war unser Fundament, der Abend, an dem unser Chaos ein Kosmos wurde.
Später, als wir müde waren und unseren Schwung verloren hatten, trugen wir die Kinder in ihr neues Zimmer und legten sie auf ihre Matratzen, die nicht viel größer waren als der Pappkarton, in dem sie geschlafen hatten. Dann fielen wir in unserem Schlafzimmer auf unsere eigene Matratze, schlangen die Beine ineinander und schwiegen, aber unsere Körper sagten, vielleicht später, vielleicht morgen, morgen lieben wir uns, schmieden Pläne, morgen.
Gute Nacht.
Gute Nacht.
MUTTERSPRACHEN
Als ich zur Mitarbeit an dem Soundscape-Projekt eingeladen wurde, fand ich es zunächst protzig, megalomanisch, irgendwie zu didaktisch. Ich war jung, wenn auch nicht viel jünger als heute, und sah mich noch als politische Hardcore-Journalistin. Außerdem gefiel mir nicht, dass das Projekt, obwohl vom Center for Urban Science and Progress der NYU organisiert und später für dessen Tonarchiv gedacht, zum Teil von einigen multinationalen Konzernriesen finanziert wurde. Ich recherchierte ein bisschen über ihre CEOs – gab es Skandale, Betrügereien, irgendwelche faschistischen Verbindungen? Aber ich hatte eine kleine Tochter. Als ich erfuhr, dass der Vertrag auch Krankenversicherung einschloss, und feststellte, dass ich von dem Gehalt leben konnte, ohne tausend journalistische Kleinaufträge annehmen zu müssen, hörte ich auf zu recherchieren und so zu tun, als könnte ich es mir leisten, mir über Firmenethik den Kopf zu zerbrechen, und unterschrieb den Vertrag. Ich bin mir nicht sicher, welche Gründe meinen Mann dazu bewegten – damals war er noch ein auf Akustomologie spezialisierter Fremder und nicht mein Ehemann oder Vater unserer Kinder –, aber ungefähr zur selben Zeit unterschrieb er seinen Vertrag.
Wir stürzten uns beide voll und ganz in das Soundscape-Projekt. Jeden Tag gingen wir, während die Kinder in der Krippe und der Schule waren, in die Stadt, ohne zu wissen, was uns erwartete, aber immer sicher, wir würden etwas Neues entdecken. Wir zogen durch die fünf Bezirke, interviewten Fremde und baten sie, in ihrer Muttersprache zu sprechen und etwas darüber zu erzählen. Er mochte die Tage, die wir in Durchgangsräumen wie Bahnstationen, Flughäfen und Bushaltestellen verbrachten. Ich mochte die Tage in den Schulen, wo wir Kinder befragten. Mit hochgehaltener Tonangel und über die rechte Schulter geschlungener Porta-Brace schlenderte er durch volle Cafeterias und nahm das Durcheinander von Stimmen, Besteck und Schritten auf. Ich hielt den Kindern in Gängen und Klassenzimmern meinen Rekorder dicht vor den Mund, während sie meine Fragen beantworteten. Ich wollte wissen, ob sie sich an Lieder und Sprichwörter erinnern, die sie zu Hause hörten. Ihr Akzent war oft anglisiert und angepasst, die Sprachen ihrer Eltern waren ihnen mittlerweile fremd. Ich erinnere mich, wie sie mit ihren rosa Zungen ernst und diszipliniert versuchten, die Eigenheiten und Laute ihrer zunehmend fernen Muttersprachen zu bewältigen: die schwierige Stellung der Zungenspitze beim spanischen erre , die schnellen Zungenschläge gegen den Gaumen in den vielen mehrsilbigen Wörtern der Kichwa und Karif, das weiche, abwärts gewölbte Zungenbett beim aspirierten arabischen h .
Monatelang nahmen wir Stimmen auf und sammelten Akzente. Wir hatten jede Menge Material, auf dem Menschen sprachen, Geschichten erzählten, Pausen machten, Lügen auftischten, beteten, zögerten, beichteten, atmeten.
ZEIT
Wir sammelten auch immer mehr Dinge: Pflanzen, Teller, Bücher, Stühle. In wohlhabenden Vierteln nahmen wir Sachen mit, die auf der Straße standen. Später stellten wir dann fest, dass wir nicht noch einen Stuhl oder ein Bücherregal brauchten, stellten das Gesammelte in unserem weniger wohlhabenden Viertel auf den Gehsteig zurück und fühlten uns dabei wie die unsichtbare linke Hand der Umverteilung von Besitztümern – die Anti-Adam-Smiths der Bürgersteige und Bordsteinkanten. Eine Zeit lang sammelten wir weiter Sachen von der Straße, bis wir eines Tages im Radio von einer Wanzenplage in der Stadt hörten und es sein ließen, Sperrmüll durchzuwühlen und Besitztümer umzuverteilen. Es wurde Winter, und dann kam der Frühling.
Es ist nie ganz klar, was eine Wohnung in ein Heim verwandelt und ein Lebensprojekt in ein Leben. Irgendwann passten unsere Bücher nicht mehr in die Regale, und aus dem großen leeren Raum in unserer Wohnung war unser Wohnzimmer geworden, der Ort, wo wir uns Filme ansahen, Bücher lasen, Puzzles zusammensetzten, Nickerchen machten, den Kindern bei den Hausaufgaben halfen. Wir saßen dort mit Freunden zusammen, führten nach ihrem Aufbruch lange Diskussionen, vögelten, sagten schöne und schreckliche Dinge zueinander und räumten hinterher schweigend auf.
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