1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Daher beginne ich mit der Beschreibung von den Anfängen von Moneyland, das mit der Auflehnung gegen frühere Bestrebungen der Demokratisierung der Welt begann. In den finsteren Tagen des Zweiten Weltkriegs sahen sich die Alliierten einer Bedrohung für die freie Welt gegenüber, die größer war als alles zuvor Dagewesene. Ihre Antwort war der Aufbau einer Finanzarchitektur, die die Demokratie für alle Zeiten sichern sollte. Nie wieder sollte eine demokratisch gewählte Regierung durch Feinde bedroht werden. Der Versuch scheiterte, und damit beginnt die Geschichte von Moneyland.
*In der Übersetzung wird durchgehend für Land des Geldes der englische Begriff Moneyland verwendet.
NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG funktionierte die Welt ungefähr so wie heute, wenn auch mit weniger technischer Raffinesse. Das Geld floss mehr oder weniger nach dem Belieben seiner Besitzer zwischen den Ländern hin und her, und auf der Suche nach Erträgen brachte es Währungen und Wirtschaften aus dem Gleichgewicht. Die Reichen wurden reicher, während die Wirtschaft vor die Hunde ging. Deshalb verdanken wir den Dreißigerjahren sowohl Zärtlich ist die Nacht als auch Früchte des Zorns, sowohl Lust und Laster als auch Erledigt in Paris und London. Das Chaos führte schließlich zur Machtübernahme von Diktatoren in Deutschland und anderen Ländern, zu einer Spirale aus Währungsabwertungen und Zinserhöhungen, zu Handelskriegen und schließlich zu den Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit seinen Abermillionen Toten.
Nach dem Willen der Alliierten sollte es nie wieder so weit kommen. 1944 trafen sie sich daher zu einer Konferenz im Wintersportort Bretton Woods in New Hampshire, um die Einzelheiten einer internationalen Währungsordnung auszuhandeln und unkontrollierte Geldströme ein für alle Mal abzustellen. Damit sollte verhindert werden, dass Staaten den Handel als Waffe gegen ihre Nachbarn missbrauchten und Banker mit der Aushöhlung der Demokratie Geschäfte machten. Die erzwungene Stabilität sollte Kriege in Zukunft schon im Vorfeld verhindern und ein neues System des Friedens und der Stabilität schaffen. Die Alliierten blickten auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück, die sich (zumindest im Westen) durch freien Handel und eine stabile Weltordnung auszeichnete. Damals basierte das Währungssystem auf dem Goldstandard. Der Wert einer Währung hing von der Größe der Goldreserven eines Landes ab, die mit dem Handelsvolumen wuchsen oder schrumpften, sich damit auf die Geldmenge und Preise auswirkten und das Gleichgewicht erhielten.
Allerdings ließ sich der alte Goldstandard nicht wiederbeleben, denn 1944 befand sich der Großteil der weltweiten Goldvorräte in den Vereinigten Staaten. Also mussten sich die Delegierten etwas anderes ausdenken. Der britische Vertreter John Maynard Keynes sprach sich für eine neue internationale Währung aus, an die alle anderen Währungen geknüpft sein sollten. Sein amerikanischer Kollege Harry Dexter White war jedoch skeptisch: Er wollte nicht hinnehmen, dass der Dollar seine Stellung als wichtigste Währung der Welt verlor. Da die Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt das einzige zahlungsfähige Land der Welt waren, setzte er sich schließlich durch: Alle Währungen wurden an den Dollar geknüpft, und der wiederum basierte auf Gold. Eine Unze Feingold sollte 35 Dollar kosten.
Soweit der Grundgedanke des Systems. Das Finanzministerium der Vereinigten Staaten verpflichtete sich, jeder ausländischen Regierung, die mit 35 Dollar in der Hand anklopfte, eine Unze Gold zu geben. Außerdem wollten die Vereinigten Staaten Dollar in ausreichender Menge bereitstellen, um den internationalen Handel zu ermöglichen, und genug Gold vorhalten, damit der Dollar seinen Wert behielt. Man brauchte keine Edelmetalle, wenn der Dollar Gold wert war.
Auch die anderen Länder machten Zusagen. Wenn sie ihre Währung auf- oder abwerten wollten, würden sie dazu die Zustimmung eines neuen Organs einholen, das den Namen Weltwährungsfonds erhielt. Damit sollte verhindert werden, dass Diktatoren ihre Währung manipulierten, um ihre Nachbarn in den Ruin zu treiben und Konflikte zu schüren. Um zu verhindern, dass Spekulanten das System der festen Wechselkurse angriffen, wurden grenzüberschreitende Geldströme stark reglementiert. Man konnte Geld im Ausland anlegen, aber ausschließlich in Form langfristiger Investitionen, nicht zur kurzfristigen Spekulation mit Währungen oder Staatsanleihen.
Stellen Sie sich zur Veranschaulichung einen Öltanker vor. Wenn das Schiff nur einen einzigen großen Tank hat, dann kann das Öl in immer größeren Wogen hin und her schwappen, bis es das gesamte Schiff zum Kentern bringt. Dieses Bild steht für das System nach dem Ersten Weltkrieg, als die Wellen des spekulativen Geldes zum Untergang der Demokratien beitrugen. In Bretton Woods erfanden die Delegierten nun ein neues Schiff, in dem das Öl auf viele kleinere Tanks verteilt war, wobei jeder Tank für ein Land stand. Die Ölmenge blieb dieselbe, sie wurde nur anders verteilt. Die Flüssigkeit konnte in den kleinen Tanks herumschwappen, aber dort würde sie nicht mehr genug Schwung entwickeln, um das ganze Schiff zu gefährden. Und wenn ein Tank ein Leck bekam, dann wäre nicht mehr die gesamte Fracht bedroht. Es war möglich, Öl von einem Tank in den anderen zu pumpen, aber dazu war die Erlaubnis des Kapitäns erforderlich, und das Geld musste durch die offiziellen Pumpen des Schiffs gepumpt werden (womit die Metapher endgültig an ihre Grenzen stößt).
Wer die Finanzwelt kennt, wie sie sich seit den 1980er-Jahren darstellt, der kann sich das System von Bretton Woods kaum vorstellen, denn seither hat sich die Finanzwelt von Grund auf verändert. Unentwegt fließt Geld von einem Land ins andere, auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten in China, Brasilien, Russland oder wo auch immer. Ist eine Währung überbewertet, dann spüren die Investoren ihre Schwäche und umkreisen sie wie Haie einen kranken Wal. In globalen Krisenzeiten flüchtet sich das Geld in sichere Häfen wie Gold oder amerikanische Staatsanleihen. Zu Boomzeiten bläht es anderswo die Börsenkurse auf und sucht rastlos nach besseren Erträgen. Die Wellen des flüssigen Kapitals sind so gewaltig, dass sie selbst starke Staaten fortreißen könnten. Konzertierte Angriffe von Spekulanten auf den Euro, den Rubel oder das Pfund, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben, wären unter dem System von Bretton Woods unvorstellbar gewesen, denn das war darauf ausgelegt, genau so etwas zu verhindern.
Eine der vielleicht besten Beschreibungen dieses längst vergessenen Währungssystems stammt aus dem James Bond-Roman Goldfinger von Ian Fleming, der 1959 erschien. Der gleichnamige Film hat eine andere Handlung, doch in beiden geht es um einen sowjetischen Agenten, der das westliche Finanzsystem zum Einsturz bringen will, indem er sich an den Goldreserven vergreift. Im Roman schickt »M«, der Chef des britischen Geheimdienstes, Bond zur Bank von England, wo dieser einen Colonel Smithers kennenlernt (»Colonel Smithers sah exakt so aus, wie man sich jemanden mit dem Namen Colonel Smithers vorstellen würde«). Smithers soll verhindern, dass Gold aus England ins Ausland geschmuggelt wird.
»Gold und goldgestützte Währungen sind das Fundament des internationalen Finanzgeschäfts«, erklärt Smithers 007. »Wir wissen nur, wie stark das Pfund ist, und andere Länder wissen das nur, wenn wir wissen, wie viele echte Werte hinter unserer Währung stehen.« Das Problem ist nur, dass die Bank von England nicht bereit ist, mehr als 1000 Pfund für einen Goldbarren zu zahlen, was dem Preis von 35 Dollar pro Unze in den Vereinigten Staaten entspricht, und das, obwohl das Gold in Indien, wo die Nachfrage nach Goldschmuck hoch ist, 70 Prozent mehr einbringt. Es ist daher extrem gewinnträchtig, Gold außer Landes zu schmuggeln und im Ausland zu verkaufen.
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