Die »Revolution der Würde« des Jahres 2014 war bereits die zweite Revolution der Ukraine innerhalb von zehn Jahren. Die erste, die nach den Fahnen der Demonstranten benannte »Orange Revolution«, war eine heitere Angelegenheit, ein Straßenfest mitten im Winter. Als die Regierung schließlich einlenkte und eine von Betrugsvorwürfen überschattete Wahl wiederholte, war das Land im Freudentaumel. Ich war einer von Hunderttausenden, die in Erwartung einer besseren Zukunft tanzten und feierten. Wir freuten uns auf ein ehrliches Land, das von Regeln beherrscht würde und nicht vom Diktat korrupter Politiker. Es war, als würden die Träume, mit denen ich 1999 nach Russland gekommen war, endlich wahr werden.
Ich hätte es besser wissen sollen. Es gelang der Orangen Revolution nicht, die Korruption zu beenden. Im Gegenteil, es wurde alles noch viel schlimmer. Es ist so einfach, Geld zu stehlen und in Moneyland zu horten, wo es für immer sicher ist, dass schon eine gewaltige Willensanstrengung nötig ist, sich nicht zu beteiligen, vor allem in Ländern ohne starke Institutionen und unabhängige Justiz. Die Lektionen der Ukraine treffen auch auf Nigeria, Malaysia, Afghanistan und viele andere Länder zu. Sosehr sie sich in Sprache, Kultur, Religion und fast allem anderen unterscheiden – aus Sicht des Geldes sind sie alle gleich.
Egal wo das Geld gestohlen wird, es endet immer an denselben Orten: London, New York, Miami. Und egal wo es landet, es wird auf dieselbe Weise gewaschen, nämlich mithilfe von Briefkastenfirmen und anderen juristischen Konstrukten in einer Handvoll Ländern. In den vergangenen Jahren haben wir uns daran gewöhnt, der Globalisierung vorzuwerfen, dass sie Arbeitsplätze im Westen vernichtet und ohne Rücksicht auf Verluste in andere Länder verlagert. Die Fürsprecher der Globalisierung halten dagegen, dass die Verschiebung des Kapitals an Orte, an denen es am effizientesten ist, in Indien und China mehr Menschen aus der Armut befreit hat als je eine Maßnahme zuvor.
Aber in Moneyland funktioniert die Globalisierung anders. Es geht nicht darum, Kapital dahin zu verschieben, wo es die größten Erträge bringt, sondern darum, Kapital dahin zu verschieben, wo es den größten Schutz genießt. Das ist die dunkle Seite der Globalisierung, und deren einzige Fürsprecher sind Strauchdiebe und Halunken.
Gegen Moneyland vorzugehen ist allerdings nicht einfach. Man kann nicht mit Soldaten einrücken, denn es ist auf keiner Landkarte zu finden. Man kann keine Sanktionen dagegen verhängen und keine Diplomaten zu Verhandlungen schicken. Moneyland hat keine Zöllner, die Pässe abstempeln, keine Flagge, vor der man den Hut zieht, und keinen Außenminister, mit dem man telefonieren könnte. Es hat keine Armee, um sich zu verteidigen, aber die braucht es auch nicht. Es existiert überall da, wo jemand sein Geld dem Zugriff seines Staats entzieht und die Anwälte und Banker bezahlen kann, die ihm dabei helfen. Aber wenn wir unsere Demokratie erhalten wollen, müssen wir etwas gegen seine nomadenhaften Bewohner unternehmen und Wege finden, die Offshore-Konstrukte zu zerschlagen, mit denen sie ihr Geld vor der demokratischen Aufsicht verbergen. Von ihnen geht mindestens dieselbe Gefahr für die rechtsstaatliche Ordnung aus wie von den Terroristen und Diktatoren, von denen wir täglich hören.
Ich habe dieses Buch chronologisch und thematisch geordnet und anschauliche Beispiele aus möglichst vielen Ländern zusammengestellt, um klarzumachen, wie allgegenwärtig Moneyland ist. Zunächst beschreibe ich, wie Moneyland funktioniert und wie kleine Länder davon leben, ihre Gesetzgebung an den Interessen von Moneyland auszurichten. Dann beschreibe ich, was passiert, wenn die Mächtigen Moneyland nutzen, um sich selbst zu bereichern; dazu erzähle ich die Geschichte eines Krankenhauses in der Ukraine, die im Kleinen veranschaulicht, was in aller Welt passiert.
Drittens zeige ich, wie Moneyland seine Einwohner und ihren Reichtum schützt, wie es ihnen Pässe verkauft, wie es sie vor den neugierigen Fragen der Journalisten schützt, und wie es verhindert, dass die wahren Eigentümer ihr gestohlenes Vermögen zurückbekommen. In Moneyland kann man ungestraft morden.
Viertens zeige ich, wie die Moneylander das Geld ausgeben, das sie dort gebunkert haben – für Kleidung, Immobilien, Kunstwerke und so weiter –, und was ihre zunehmend schamlose Prunksucht mit dem Rest der Welt anstellt. Die Verschwendung der Superreichen nimmt inzwischen derart gewaltige Ausmaße an, dass sich ein eigener Wissenschaftszweig mit ihr beschäftigt, die sogenannte Plutonomie.
Und schließlich beschreibe ich, wie Staaten versuchen, sich zu wehren. Ich schildere, wie die Vereinigten Staaten versuchten, gegen Schweizer Banken vorzugehen, und wie schlaue Anwälte und Banker dies als Chance nutzten, um Moneyland stärker und sicherer denn je zu machen. Das mag kein hoffnungsvoller Ausblick sein, doch wenn der erste Schritt zur Lösung eines Problems darin besteht, es überhaupt zu erkennen, dann sind wir vielleicht jetzt auf einem guten Weg.
Die Recherchen zu diesem Buch haben sich nicht einfach gestaltet. Moneyland ist gut bewacht und gibt seine Geheimnisse nur widerwillig preis. Es stellt auch alle unsere Annahmen über die Welt auf den Kopf. Moneyland verursacht Schwindelgefühle, was auch daran liegen könnte, dass seine Existenz so vieles erklärt, wenn man sie einmal erkannt hat. Warum fahren so viele Schiffe unter ausländischer Flagge? Weil Moneyland den Eignern erlaubt, die Arbeitsschutzgesetze ihrer Heimat zu unterlaufen. Warum bauen Russen lieber Milliarden Dollar teure Brücken als Schulen und Krankenhäuser? Weil sie 10 Prozent der Baukosten stehlen und das Geld in Moneyland bunkern können. Warum leben Milliardäre in London? Weil sie dank Moneyland dort keine Steuern zahlen müssen. Warum wollen so viele korrupte Ausländer in New York investieren? Weil Moneyland ihr Vermögen dort vor dem Zugriff der Gerichte schützt.
Bei meiner Beschreibung von Moneyland und seinen Anfängen, Entwicklungen, Strukturen und Verteidigungsstrategien stütze ich mich überwiegend auf eigene Recherchen, aber auch auf die Arbeit von Ausschüssen des amerikanischen Kongresses, Nichtregierungsorganisationen wie Global Witness oder Transparency International, Wirtschaftswissenschaftlern und vielen anderen. Eines muss ich allerdings immer wieder betonen: Was ich hier beschreibe, ist keine Verschwörung. Moneyland wird nicht von einem Erzbösewicht beherrscht, der in einem Ledersessel sitzt und eine weiße Katze streichelt. Wenn jemand Moneyland kontrollieren würde, dann ließe sich das Problem ganz einfach aus der Welt schaffen. Die Wirklichkeit ist viel komplizierter und heimtückischer: Moneyland ist das natürliche Produkt einer Welt, in der Geld frei fließt und Gesetze am Schlagbaum enden, und in der man von der Ausnutzung der daraus resultierenden Verwerfungen gut leben kann. Wenn die Steuern in Jersey niedrig und in Großbritannien hoch sind, dann kann man daran verdienen, wenn man das Vermögen seiner Klienten von Großbritannien nach Jersey verlegt. Dasselbe gilt auch für den Rest der Welt: Jedes Land hat eigene Regeln und Gesetze.
Moneyland hat mehr Ähnlichkeit mit einem Ameisenhaufen als mit einer herkömmlichen Organisation. Die Ameise folgt keinen Anweisungen, sie hat keine Vorgesetzten, die sie aussenden, um Grassamen ins Nest zu bringen. Es gibt keine Ameisenpolizei, die alle verhaftet, die Grassamen für sich behalten, und keine Ameisenrichter, die sie dafür ins Gefängnis stecken. Die Ameisen reagieren einfach in berechenbarer Weise auf bestimmte Reize ihrer Umwelt. Auch in Moneyland reagieren Anwälte, Banker und Politiker in berechenbarer Weise. Wenn irgendwo ein Gesetz verabschiedet wird, das Reichen in irgendeiner Weise einen Vorteil verschafft, dann sorgen die Dienstleister von Moneyland dafür, dass die Superreichen in den Genuss dieses Gesetzes kommen, egal wo es gilt. Den Schaden haben alle anderen. Wenn man eine Ameise zerdrückt oder einen korrupten Anwalt verhaftet, machen die anderen einfach unbeirrt weiter. Deshalb müssen wir das gesamte System verändern, und das ist nicht einfach.
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