Bhavya Heubisch - Das süße Gift des Geldes

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Völlig abgebrannt und auf der Flucht vor ihren Berliner Gläubigern kehrt die erfolglose Schauspielerin Adele Spitzeder 1868 nach München zurück. Ohne Mäzen kann sie nur auf die Wohltätigkeit ihrer Cousine hoffen, die sie rüde abweist. Adele ist am Ende, muss sich in einer billigen Absteige einquartieren und ihren Schmuck verpfänden. Da kommt ihr eine scheinbar geniale Idee: Mit dem Versprechen, weitaus höhere Zinsen als Banken und Sparkassen auszuschütten, leiht sie sich Geld; die anstehenden Rückzahlungen begleicht sie aus den neu zufließenden Geldern.
Schnell spricht es sich herum, dass man bei der Spitzederin an leicht verdientes Geld kommt. Tausende von Anlegern aller Gesellschaftsschichten strömen ihrer „Dachauer Bank“ zu, Adele wird innerhalb weniger Jahre zu einer der reichsten Frauen Bayerns – und macht sich dabei die etablierten Geldinstitute ebenso wie die Behörden zu erbitterten Feinden.
Wer war die skandalumwitterte Adele Spitzeder? War sie tatsächlich eine skrupellose Betrügerin oder doch der „Engel der Armen“, wie sie im Volk wegen ihrer großzügigen Spenden genannt wurde? Bhavya Heubisch zeichnet in ihrem Roman das Bild einer facettenreichen Frau, die ganz München und seine Bewohner, bis in die höchsten Kreise hinein, in ihren Bann schlug.

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BHAVYA HEUBISCH

DAS

SÜSSE

GIFT

DES

GELDES

VOLK VERLAG MÜNCHEN

Covermotiv: iStock, mammuth

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.deabrufbar.

© 2020 Volk Verlag München

Neumarkter Straße 23, 81673 München

Tel. 089 / 420 79 69 80, Fax: 089 / 420 79 69 86

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Alle Rechte, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks sowie der photomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

ISBN 978-3-86222-375-6

www.volkverlag.de

Inhalt

MÜNCHEN 1868

Nachwort

Wer war Adele Spitzeder?

Literatur und Quellen

Danksagung

MÜNCHEN

1868

Adele Spitzeder wuchtete ihren kalbsledernen Koffer aus dem Zug und stellte ihn auf dem Bahnsteig ab. Reisende drängten an ihr vorbei, Kinder schrien, Gepäckträger in dunklen Uniformen priesen lautstark ihre Dienste an. Einfahrende Dampfloks stießen zischend Rauchschwaden aus, die sich unter den Stahlverstrebungen verloren.

Adele versteckte ihre Locken unter dem Hut und zog den Schleier vors Gesicht. Sie bückte sich, als wolle sie ihre Schuhbänder neu verknoten, und schaute sich verstohlen um. Sah niemanden, der sie verfolgte. Schön blöd würde er schauen, der Hotelportier in Berlin, wenn er nur noch das leere Zimmer vorfand. Und dem Gerichtsvollzieher geschah es gerade recht. Sie konnte sich das Geld auch nicht aus den Rippen schneiden. Ihre Stelle beim Theater war weg, ein neues Engagement nicht in Sicht. Jetzt blieb ihre Cousine Clara, bei der sie als Kind immer die Ferien verbracht hatte, ihre letzte Hoffnung.

„Wartens, Fräulein, ich helf Ihnen.“ Schon griff ein Gepäckträger nach ihrem Koffer. „Habens weit zum Gehen?“

„Nein. Und den Koffer trag ich schon selber.“ Hastig durchquerte Adele die Bahnhofshalle, ging durch die Schützenstraße bis zum Karlsplatz, schritt unter dem Karlstor hindurch und befand sich auf der Neuhauser Straße. Es dämmerte bereits, feiner Nieselregen senkte sich herab und benetzte ihren Mantelkragen. Schmerzhaft schnitten ihr die Ledergriffe in die Hand. Sie stellte den Koffer auf den Boden, schüttelte den Arm, der sich schon ganz taub anfühlte. Nur noch wenige Leute waren unterwegs. Ein Bauer zog einen Deichselkarren voller Rüben hinter sich her, ein Mann, schwer auf seinen Gehstock gestützt, ging an ihr vorbei und bog dann ein in eine Seitengasse.

Adele griff wieder nach dem Koffer und ging, die Handtasche mit ihrem Schmuck und den letzten Gulden an den Körper gepresst, die Neuhauser Straße entlang. Vor dem Gasthaus „Zum Oberpollinger“ schlüpfte sie aus dem Schuh, schüttelte Steinchen heraus und zog den Schuh wieder an. Sie schleppte sich an der Michaelskirche vorbei bis zum Marienplatz. Dort lehnte sie den Koffer an den Fischbrunnen und blickte hinüber zum Hutmachergeschäft des Berthold Hauer. Im Laden brannte noch Licht. Claras Vater stand hinter der Kasse. Clara, die sonst immer im Laden bediente, war nicht zu sehen.

Adele überlegte, wann sie ihre Cousine zuletzt getroffen hatte. Vor fünf Jahren? Als sie sich auf der Durchreise zu einem Gastspiel in Ingolstadt befand und Clara und ihren Vater vorher besucht hatte? Adele ergriff ihren Koffer, überquerte die Dienerstraße, stemmte die Haustür auf und wuchtete den Koffer Stufe für Stufe hinauf in den vierten Stock. Zögerte vor dem blank polierten Messingschild „Berthold Hauer, Hutmacher“, atmete tief durch und ließ den Türklopfer gegen die Eichentür fallen.

Die Tür ging auf und Clara blickte sie entgeistert an. „Was machst denn du hier in München?“ Clara wischte sich die Hände an der Schürze ab und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und völlig derhaut schaust aus.“

Bei der unfreundlichen Begrüßung verschlug es Adele die Sprache. Sie konnte nicht glauben, wie Clara sich verändert hatte. Das Haar zu einem lieblosen Knoten gebunden, die blassen Lippen zusammengepresst. Nichts war mehr zu sehen von der hübschen jungen Frau, die sie bei ihrem letzten Besuch angetroffen hatte.

Adele fasste sich ein Herz. „Helfen musst mir. Ich bin grad aus Berlin gekommen.“

„Bei uns kannst nicht bleiben. Weißt selber, dass der Vater den Umgang mit dir verboten hat.“

„Spinnst jetzt? Wie er mich um Geld angebettelt hat, war ich ihm auch gut genug. Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr, wie ich ihm hundert Gulden geliehen hab, weil sein Geld für die Lieferanten nicht mehr gereicht hat. Zurückbezahlt hat er es nie.“

„Hättest es eh nur wieder für Schmuck und teure Pelze hinausgeschmissen“, entgegnete die Clara schnippisch. Sie griff in ihre Schürzentasche und zog ein paar Kreuzer hervor. „Da, die kannst haben.“

„Geld will ich nicht. Nur ein Bett für heut zum Übernachten.“

„Verschwind! Der Vater muss jeden Augenblick kommen. Hättest statt der Schauspielerei halt was Anständiges gearbeitet. Meinst vielleicht, ich steh gern alle Tag im Hutladen?“

„Saubande, elendige!“ Adele riss den Koffer vom Boden und rumpelte die vier Stockwerke hinunter. Bumperte voller Wut gegen das schmiedeeiserne Geländer, plärrte hinauf: „Das vergess ich euch nie!“

Auf der Straße kramte sie in ihrem Geldbeutel. Elf Gulden und fünf Kreuzer. Für einen billigen Gasthof würde es reichen. Sie schlängelte sich im Tal zwischen abgestellten Pferdefuhrwerken hindurch und betrat das Gasthaus „Zum Bögner“.

„Haben Sie noch ein Zimmer frei?“

Der Wirt hinter dem Tresen musterte die abgekämpfte Frau. Der Hut schief auf den schwarzen Locken, die Bluse vom Regen durchnässt, die Schuhe abgelatscht. Sah trotzdem nicht schlecht aus. Eine Halbseidene war sie jedenfalls nicht.

„Für wie lang?“

„Was kostet’s denn?“

„Einen halben Gulden pro Nacht. Bezahlt wird gleich.“

„Dann für drei Nächte.“ Adele zählte ihm das Geld hin und nahm den Schlüssel in Empfang. Wieder musste sie Treppen steigen, aufpassen, dass sie nicht hängenblieb in dem verlöcherten Läufer. Der Geruch nach Blutwurst drehte ihr fast den Magen um. Das Zimmer gab ihr den Rest. Die Bettstatt abgewetzt, das Plumeau stockig, der Spiegel halb blind. Sie öffnete die verklemmte Schranktür, der Naphthalingestank raubte ihr fast den Atem. Sie setzte sich aufs Bett, zog Schuhe und Strümpfe aus und fuhr über die Blasen an ihren Fersen. Kramte in ihrem Koffer nach dem Lederetui, nahm eine Nadel heraus und stach die Blasen auf. Presste das Wasser aus der aufgeblähten Haut. Zog vorsichtig die Strümpfe darüber und schlüpfte in bequemere Schuhe. Obwohl sie hundemüde war, wollte sie nichts wie raus.

Draußen war es schon dunkel, nur ein paar Gaslaternen spendeten gelbfunzliges Licht. In der Theatinerstraße blieb sie vor dem Schaufenster des Hofschneiders stehen und betrachtete die Tuchrollen, Bänder und Hauben. Eine Riegelhaube, durchzogen mit feinen Goldfäden, stach ihr ins Auge. So eine würde sie sich kaufen, sobald sie wieder zu Geld gekommen war. Sie schlenderte vorbei an der Residenz und setzte sich auf die Stufen der Feldherrnhalle. Die wenigen Menschen, die noch unterwegs waren, drehten sich um, verwundert über die einsame Frau zu Füßen des Feldherrn Tilly.

Drüben beim „Tambosi“ drang helles Licht durch die Fenster und malte schillernde Kreise auf den Boden. Als sich die Tür öffnete, hörte sie es grölen: „Frisch auf ihr Kameraden / Frisch auf zum Waffentanz“. Wie gern säße sie jetzt bei den Offizieren und Kadetten der Hofgartenkaserne. Sie kaute an ihren Fingernägeln. Geld musste her. Dringend. Aber wie die Clara in einem miefigen Hutladen enden? Niemals. Wozu war sie eine begnadete Schauspielerin?

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