Anwältin Clemm Die Akten der Untersuchungsausschüsse sind absolut verfahrensrelevant. Ich beantrage, die Akten beizuziehen. Und auch die 129 mutmaßlichen Unterstützer des NSU sind nicht irrelevant. Ich beantrage zu erfahren, gegen wen da ermittelt wird.
Anwalt Narin Ich schließe mich den Anträgen der Verteidigung Zschäpes an und beantrage ebenfalls die Beiziehung der Akten. Der Generalbundesanwalt sollte nicht vorwegnehmen, welche Akten relevant sind.
Anwalt Scharmer Die Anträge der Zschäpe-Verteidigung sind durchaus sinnvoll, anders als die Anträge auf Einstellung des Verfahrens durch die Verteidigung Wohllebens. Ich verstehe den Widerstand der Bundesanwaltschaft nicht. Auch nicht, warum uns der Generalbundesanwalt nicht mitteilt, welche 129 Personen auf dieser Liste stehen. Dem Untersuchungsausschuss in Berlin wurde das mitgeteilt. Warum kann man uns das nicht übersenden?
Anwältin Pinar Ich drücke jetzt hier zum wiederholten Mal auf den Knopf und mein Mikro geht nicht an. Ich fordere eine Erklärung, warum das Mikrofon der Bundesanwaltschaft sofort angeht und meines nicht. Ich beantrage eine Erklärung des Gerichts. Hat die Bundesanwaltschaft eine Vorrangschaltung?
Götzl Dann mach ich jetzt 20 Minuten Pause, ruf den Techniker an und klär das.
(Pause. Ein Techniker überprüft die Mikrofone. Dann wird die Verhandlung fortgesetzt.)
Bundesanwalt Diemer Wir stellen uns nicht gegen die Einsicht in die Akten der Untersuchungsausschüsse. Die 129er-Liste werden wir dem Gericht übersenden und sie dann zum Gegenstand der Akteneinsicht machen.
Götzl Gut, nun zur Reihenfolge der Worterteilung. Stellungnahmen dazu?
Oberstaatsanwalt Weingarten Das Fragerecht ist in Paragraf 240 Strafprozessordnung geregelt, die Zuweisung des Rederechts ist einzig Sache des Richters. Es ist allgemeine Übung in deutschen Gerichtssälen, dass die Ankläger zuerst sprechen. Diese Reihenfolge ist für den, der später drankommt, kein Beschwerdegrund. Sinn und Zweck des Fragens ist nicht die Exponierung der Prozessbeteiligten, sondern die Suche nach der Wahrheit.
Anwältin Wierig Dennoch sollten die Verteidiger vor den Nebenklägern sprechen können.
(In der Folge verkündet Richter Götzl mehrere Beschlüsse: Die akustische Aufzeichnung der Verhandlung wird abgelehnt. Die Aufzeichnung per Video wird abgelehnt. Die wörtliche Protokollierung wird abgelehnt. Der Beschluss auf Beiziehung der Liste mit den 129 möglichen Unterstützern und Kontaktpersonen des NSU hat sich erledigt, sie wird von der Bundesanwaltschaft übergeben. Der Antrag, der Verteidigung das erste Wort nach der Bundesanwaltschaft zu erteilen, wird abgelehnt.)
Verteidiger Heer Die Verteidigung von Frau Zschäpe beanstandet Ihre Verfügung bezüglich des Fragerechts und bittet um Entscheidung des Senats.
(Das Gericht zieht sich für zehn Minuten zurück und bestätigt anschließend die Entscheidung des Vorsitzenden Richters Götzl zum Fragerecht.)
Götzl Erklärungen dazu?
Verteidiger Heer Eine Erklärung zu Herrn Bundesanwalt Diemer: Herr Diemer weiß genau, welche Bemühungen die Verteidiger unternommen haben, um Akteneinsicht zu bekommen. Seine Äußerung ist unsachlich.
Anwalt Bliwier Die Nebenklage hat die Akten in Karlsruhe eingesehen. Es war problemlos möglich, Kopien anzufertigen. Wenn die Verteidigung nicht in der Lage ist, nach Karlsruhe zu gehen und sich diese Akten zu besorgen, ist das kein Grund, den Prozess auszusetzen. Wir stellen gerne unsere Akten der Verteidigung zur Verfügung. Man kriegt die Akten problemlos und das seit einem Dreivierteljahr.
Götzl (zur Verteidigung Zschäpes) Wird Frau Zschäpe Angaben zur Sache machen oder zu den persönlichen Verhältnissen?
Verteidiger Heer Das ist nicht beabsichtigt.
Götzl Auch nicht zum Lebenslauf?
(Kopfschütteln.)
Götzl Herr Wohlleben?
Verteidigerin Schneiders Er wird schweigen, aber eine persönliche Erklärung abgeben.
Götzl Herr Schultze?
Schultze Ich werde mich äußern. Götzl Herr Gerlach?
Gerlach Ebenfalls.
Anwalt Scharmer (zu Schultze) Werden Sie auch Fragen beantworten?
Schultze Ja.
4. Juni 2013
Manfred Götzl, Richter. Carsten Schultze, Angeklagter. Herbert Diemer, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Anja Sturm, Verteidigerin von Beate Zschäpe. Alexander Kienzle, Edith Lunnebach, Anwälte der Nebenklage
Götzl: Zunächst sind einige Beschlüsse zu verkünden. Der Antrag auf Aussetzung oder Unterbrechung des Prozesses durch die Verteidigung von Frau Zschäpe wird abgelehnt. Das Beschleunigungsgebot geht vor. Die Verteidiger hätten sich in die Akten in den sieben Tagen einarbeiten können, die durch die Unterbrechung des Prozesses frei wurden, zudem sind auch die Pfingstferien frei von Verhandlungstagen. Eine weitere Unterbrechung ist nicht veranlasst.
Der Antrag, die Akten der Landesstaatsanwaltschaften hinzuzuziehen, wird abgelehnt. Es besteht kein Anspruch auf die Beiziehung dieser Akten. Der Aktenumfang der Hauptverhandlung wird durch die Identität der Tat und der Angeklagten bestimmt. Verfahrensfremde Akten beizuziehen ist sachlich nicht geboten, dadurch würde der Ablauf des Verfahrens erschwert. Zudem konnten diese Akten beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingesehen werden. Die Nebenkläger haben diese Akten dort eingesehen, nicht aber die Verteidiger der Angeklagten Zschäpe.
Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens durch die Verteidigung von Herrn Wohlleben wird abgelehnt, zudem der Antrag auf Einstellung des Verfahrens. Die Verteidigung macht geltend, dass es wegen der medialen Vorverurteilung ihres Mandanten und der Verwicklung von Geheimdiensten ein nicht behebbares Verfahrenshindernis gibt. Der Senat sieht keine Anzeichen, dass ein faires Verfahren ausgeschlossen oder infrage gestellt ist. Es handelt sich hier lediglich um abstrakte Überlegungen der Verteidigung, die selbst angibt, der Senat habe sich bisher standhaft und unabhängig gezeigt. Anzeichen, dass sich dieses Verhalten des Senats ändern könnte, zeigt die Verteidigung nicht auf. (Es folgt noch eine Verfügung des Vorsitzenden Richters Götzl.)
Der Antrag der Verteidigung von Beate Zschäpe, dass die Vertreter der Bundesanwaltschaft Diemer und Greger abgelöst werden, wird abgelehnt. Die Maßstäbe an die Befangenheit wie für Richter gelten nicht für Staatsanwälte. Um eine Ablösung zu rechtfertigen, muss sich ihre Voreingenommenheit aufdrängen und einen Missbrauch staatlicher Macht darstellen.
Verteidigerin Sturm Aufgrund der gezielten, von den Strafverfolgungsbehörden selbst gesteuerten und betriebenen Vorverurteilung unserer Mandantin ist ein rechtsstaatlicher, fairer Prozess auch unter der Berücksichtigung der berufsständischen Objektivität der dem Senat angehörenden Berufsrichter nicht mehr durchführbar. Gravierend, das heißt nicht mehr zu heilen, ist auch der Umstand der Beeinflussung der Personal-Beweismittel, namentlich der Zeugen, welche durch ein bestimmtes meinungsbildendes Klima zumindest unterschwellig in ihrem Aussageverhalten beeinflusst werden. Es hat eine beispiellose Vorverurteilung durch den Generalbundesanwalt stattgefunden, der auch nicht alle relevanten Akten vorgelegt hat. Insbesondere Verfahrensakten zu verschiedenen V-Leuten wurden der Verteidigung vorenthalten. Zudem wurden Akten vernichtet, die relevant gewesen wären. Es war eine Vielzahl von V-Personen in der rechten Szene eingesetzt, die an der Entwicklung der rechten Szene mitgewirkt haben, darunter Tino Brandt, der Gründer des Thüringer Heimatschutzes. (Der Thüringer Heimatschutz wurde Mitte der Neunzigerjahre aktiv und war lange Zeit die aktivste rechtsextreme Vereinigung in Thüringen. Sie hatte Sektionen in mehreren Städten. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehörten der Sektion Jena an.) Die Verfassungsschutzbehörden haben die Akten nur widerwillig und unvollständig herausgegeben. Der Strafanspruch des Staates ist deswegen verwirkt.
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