Valamars Augen weiteten sich, als ihm die Worte der Königin so langsam klar wurden. Er eilte ihr nach.
Auf dem Weg in den Palast versuchte sie, ihm so viel wie möglich zu berichten von dem, was sich zugetragen hatte. Als sie schließlich im Bankettsaal ankamen, blieb sie stehen.
„Wisst Ihr schon, über welches Gift die Tiere verfügen, die ich Euch hinaufschicken ließ?“, fragte sie.
„Die Alchimisten arbeiten fieberhaft daran, bisher jedoch ohne Erfolg. Sobald sie etwas herausfinden, werden sie Euch umgehend in Kenntnis setzen.“
„Gut! Geht nun zu Mowanye und nehmt auch Respa mit hinzu. Lasst Euch alles über ihre Visionen berichten. Dann seht Euch bitte auch den jungen Mann an. Es muss eine Erklärung für seine wundersame Heilung geben.“
Valamar verbeugte sich und eilte davon, bis die Königin rief: „Die drei wurden im Gästehaus einquartiert, nicht im Thronsaal.“
Kurz blieb er stehen, murmelte etwas Unverständliches und lief in die richtige Richtung. Nalia sah dem Magier kopfschüttelnd hinterher. Er wirkte verwirrt, was nach diesen Nachrichten wohl kein Wunder war. Dann setzte auch sie sich in Bewegung.
2
Lea wanderte unruhig durch den Saal, in der Hoffnung, dass ihr jemand helfen würde. Es war ihr egal, von wem diese Hilfe kam, ob von den Heilern oder von der Königin.
„Verflucht, kann sich nicht noch einmal eine Tür öffnen? Ich will wissen, was die mit mir machen?“, dachte sie aufgebracht.
Sie war vorhin durch eine weiße leuchtende Tür gegangen und hatte das Gespräch zwischen ihrem Vater, dem Heiler und der Königin mitbekommen. Sie fragte sich zwar, wie es möglich sein sollte, in den Geist eines anderen Menschen vorzudringen, aber dies rückte in den Hintergrund, als sie die schwarze Tür sah. Nach ihrem Besuch in der Realität war sie plötzlich dagewesen. Und allein der Anblick bescherte Lea ein äußerst ungutes Gefühl.
Im Gegensatz zu den anderen Türen, die mitten im Saal erschienen und wahrscheinlich magischen Ursprungs waren, befand sich diese in einer Wand. Dennoch war es keine normale Tür, auch wenn sie auf den ersten Blick den Anschein erweckte. Zum einen tauchten Türen nicht urplötzlich auf, und zum anderen – bewegten sie sich nicht. Denn egal, zu welcher Wand Lea schaute – es dauerte keinen Herzschlag, bis diese Tür darin auftauchte.
„Sie hat etwas mit dem dunklen Nebel zu tun, der in meinen Körper eingedrungen ist“, dachte Lea.
Wieder lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sie wusste genau, was es mit dem Dunst auf sich hatte, verdrängte diesen Gedanken jedoch.
„Und was ist, wenn die Königin diese Tür für mich erschuf?“
Ganz langsam ging Lea zur Tür und griff zögernd nach dem Knauf.
„Ich öffne die Tür. Wache auf, und dieser Alptraum hat ein Ende“, murmelte sie und drehte den Knauf.
„Du wirst nie mehr erwachen. Aber bevor ich dir dein Herz herausreiße und es vor deinen sterbenden Augen verspeise, werde ich zu deinem schlimmsten Alptraum.“
Lea starrte Medon an, der lässig an einer Reling lehnte.
„Das kann nicht sein“, flüsterte sie völlig entsetzt.
Er lachte böse und stand von jetzt auf gleich vor der Tür. Lea knallte sie hastig zu. Sie rannte in die hinterste Ecke und kauerte sich zitternd auf den Boden.
„Schon bald wirst du zu mir kommen“, hallte seine Stimme durch den Saal.
„Ich hätte niemals von Kalmar fortgehen sollen“, meinte Celvin.
Rion schaute seinen Sohn an.
„Ich habe es nie gutgeheißen, dass du fortgegangen bist. Aber nun sehe ich, was aus dir geworden ist. Ich bin stolz auf dich, Hauptmann.“
Celvin musste lächeln, als sein Vater ihn so nannte, doch die Laune hielt nicht lange an.
„Sagte die Königin, wann sie zu Lea möchte?“
„Nein. Sie wollte noch etwas erledigen und mich dann abholen.“
Es klopfte an der Tür. Beide sahen erwartungsvoll hin.
„Herein“, rief Rion und seufzte leise, als Geralt hereinplatzte.
„Ihr werdet es nicht glauben. Ich habe tatsächlich einen Bruder.“
Rion musterte Geralt, der sich ebenfalls umgezogen hatte. Er trug ein weißes Hemd, das vorne mit Bändern zugeschnürt war, eine schwarze Lederhose und schwarze Lederstiefel. Seine langen, dunkelblonden Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz
zusammengebunden.
„Lass mich raten. Es ist General Halldor.“
Geralt nickte Celvin grinsend zu.
„Hat dir Rion davon erzählt?“
„Nein, es war allerdings nicht schwer, das zu erraten.“
„Hast du Halldor nie von seinem Doppelgänger erzählt?“, fragte Rion.
„Sicher habe ich das. Aber Halldor dachte wohl, ich würde ihn auf den Arm nehmen.“
Celvin drehte sich etwas, sodass er Geralt ansehen konnte, der sich zu ihnen setzte.
„Wie hat er es denn aufgenommen, dass er nun einen Bruder hat?“
„Es wird für ihn ebenso seltsam sein wie für mich“, meinte Geralt achselzuckend.
„Aber sagt mir lieber, ob es Neuigkeiten von Lea gibt. Ist sie mittlerweile erwacht?“
„Nein, wir warten auf …“
Rion sprang auf die Füße, als Nalia plötzlich den Raum betrat. Nach einem kurzen Blick zu Celvin, der auf ein Knie ging, tat er es ihm nach. Geralt stand derweil vor seinem Sessel und wunderte sich ein wenig über das amüsierte Funkeln in Nalias Augen, bis Celvin ihm zuraunte: „Du stehst vor der Königin!“
Hastig kam er zwischen den Sesseln hervor und wollte gerade auf die Knie gehen, als die Königin lächelnd abwinkte.
„Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal“, meinte sie.
Dann sprach sie zu Rion und Celvin gewandt.
„Erhebt Euch!“
„Ist meine Tochter erwacht?“
„Nein, leider nicht. Deshalb werde ich gleich versuchen, in ihren Geist vorzudringen.“
„Haben die Alchimisten etwas herausgefunden, Hoheit?“, fragte Celvin.
„Bisher habe ich noch keine Rückmeldung erhalten.“
„Darf ich Euch zu meiner Schwester begleiten?“
„Schwester?“
Nalia sah von Celvin zu Rion und wieder zurück.
„Ich wusste zwar, dass Ihr Verwandtschaft auf Kalmar habt, aber nicht, dass es sich um Rion und Melea handelt. Wieso habt Ihr mir denn nichts gesagt, Hauptmann?“
„Na ja … immer, wenn ich zu Euch wollte, um mit Euch zu sprechen, wart Ihr unterwegs.“
Nalia seufzte kopfschüttelnd.
„Ich wäre auch gerne dabei“, sagte Geralt.
„Ich brauche absolute Ruhe. Daher werdet Ihr vor der Tür warten müssen. Vielleicht wäre es für Euch angenehmer, hierzubleiben. Es wird einige Zeit dauern.“
„Ich warte vor Leas Tür“, sagte Rion direkt.
„So wie ich“, setzte Geralt hinzu.
„Und ich!“
Nalia sah die drei der Reihe nach an und nickte.
„Also dann, meine Herren. Lasst uns gehen!“
Wenig später stand die Königin an Leas Krankenbett und atmete tief durch.
„Bitte überanstrengt Euch nicht, Hoheit“, sagte Helimus.
„Das sagt der Richtige. Ihr seht entsetzlich aus. Sobald ich hier fertig bin, werdet Ihr Euch mindestens einen Tag freinehmen. So, und jetzt setzt Euch und sorgt einfach nur dafür, dass ich nicht gestört werde. Es kann für die junge Frau und mich gefährlich werden, sollte ich aus der Trance gerissen werden.“
Helimus stellte einen Stuhl direkt neben die Zimmertür und setzte sich.
„Viel Glück, Eure Hoheit.“
Nalia atmete noch einmal tief durch und legte dann die Fingerspitzen auf Meleas Schläfen. Sie konzentrierte sich mit geschlossenen Augen auf das zarte Pochen darunter und wisperte in Gedanken Meleas Namen.
Nalia mochte es nicht, in den Gedanken anderer Menschen zu forschen, aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie musste Meleas Geist finden und wollte in den letzten Erinnerungen der jungen Frau forschen, weil sie sich dort wahrscheinlich verfangen hatte.
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