Zusammen mit dem Hund trottete er den Weg hinunter. Um sie herum breitete sich die Ranch aus. Er sah Xavier, der auf einem der Therapiepferde ritt. Die Pferde halfen den Veteranen, ihre Muskeln aufzubauen, um den Verlust von Gliedmaßen zu kompensieren. Aber schon allein, auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen, gab einem Mann ein Gefühl der Kraft zurück. Frans Reittag war morgen. Er wünschte, er könne auch einmal schneller unterwegs sein als nur im Trab. Doch in seiner Lage musste er vorsichtig sein.
Statt sich und sein Pferd zu verausgaben, verbrachte Fran viel Zeit im Garten. Gartenarbeit war nicht nur gut für den Körper, sondern auch für die Seele. Zu sehen, wie die Pflanzen unter seiner Pflege gediehen, tröstete ihn.
„Fran, warte!“, rief Reed hinter ihm her.
Der Mann kam gerade aus dem Speisesaal des Haupthauses, wo die Veteranen oft miteinander aßen, obwohl jedes Häuschen auch eine eigene Küche hatte. In seiner gesunden Hand schwenkte Reed ein Handy. Der Ärmel seines Hemdes war aufgerollt und dort angeheftet, wo sein Unterarm fehlte. Ein Bombenanschlag in Afghanistan hatte ihm den Arm geraubt.
„Guck dir das an.“ Reed hielt Fran sein Handy unter die Nase. „Schon fünfzig Nachrichten!“
Auf dem Bildschirm sah Fran eine ganze Palette Frauenbilder. Dr. Patel hatte ihnen von der App erzählt. Ein Verwandter des Psychotherapeuten hatte sie entwickelt und Dr. Patel hatte bei der Entwicklung des Kompatibilitäts-Algorithmus seine Hände im Spiel gehabt.
„Sind das alles Frauen, die sich mit dir treffen wollen?“, fragte Fran.
„Die wollen sich nicht nur mit mir treffen. Sie wollen mich heiraten. Und wir haben gedacht, das würde schwierig werden!“ Reed hielt das Handy in einer Hand und wischte mit dem Daumen nach links und nach rechts. Diesen Mann konnte fast nichts aufhalten oder herunterziehen, schon gar kein fehlender Arm.
„Dich heiraten? Völlig fremde Frauen wollen dich heiraten? Wissen sie, dass du …? Na, du weißt schon.“
Reed wischte hinüber zu seinem eigenen Profilbild. Es zeigte ihn deutlich. Er trug eine Uniform und ein Arm fehlte. „Das Einzige, was eine Frau noch anziehender findet als einen Mann in Uniform, ist eine verwundete Seele, die sie gesundpflegen kann.“
Fran seufzte. Nicht, weil er Reed für einen Idioten hielt. Fran wusste, dass sein Kamerad wirklich hoffte, mit dieser Tortur seine wahre Liebe zu finden. Reed war ein hoffnungsloser Optimist.
„Die App liefert 99-prozentige Übereinstimmungen. Wenn ich meine Lebensgefährtin hier nicht finde, dann gibt es sie nicht. Ich habe es auf diese fünf hier eingegrenzt. Mit einer gibt es eine 98-prozentige Übereinstimmung.“
Reed hielt das Foto einer hübschen Frau hoch. Das Foto war gestellt wie bei einem Model. Sie war blond und hatte hellgrüne Augen, trug aber für Frans Geschmack etwas zu viel Make-Up.
„Sie ist praktisch vollkommen“, sagte Reed. „Ich wollte am Wochenende etwas mit ihr trinken gehen. Aber sie ist bis zum Monatsende unterwegs.“
Fran wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er war sich nicht sicher, ob er Reed von seiner Liste der Soldaten, denen er helfen musste, streichen konnte oder ob er den Mann sogar noch besser im Auge behalten musste, um sicherzugehen, dass seine Zukunft wirklich geregelt war. Fran war entschlossen, dafür zu sorgen, dass alle Männer heiraten würden und damit auf der Ranch bleiben konnten, wenn er nicht mehr da war. Vielleicht würden diese arrangierten Ehen tatsächlich funktionieren, besonders wenn jeder im Voraus wusste, worauf man sich einließ.
Reed redete weiter und erzählte Fran von allen möglichen Eigenschaften der Frau. Doch Frans Gedanken waren anderweitig beschäftigt. Sean Jeffries erschien auf der Treppe, die zu den Sprechzimmern führte. Es war eine ehemalige Scheune der Ranch, die für Dr. Patel, die Krankenschwestern und die anderen Angestellten, die sich um die Veteranen und die Therapiepferde kümmerten, umfunktioniert worden war. Sean hielt die Tür auf und drehte seinen Kopf so, dass jeder, der ihm folgte, nur die unverletzte Seite seines Gesichts sah.
Als erstes trat Ruhi Patel heraus, Dr. Patels Tochter. Ruhi war Krankenschwester und kam oft auf die Ranch, um ihrem Vater bei den Soldaten zu helfen, die hier lebten oder hierherkamen, um sich helfen zu lassen.
In ein Gespräch vertieft, kamen Ruhi und ihr Vater die Treppe herunter. Sean blickte zu Boden. Doch Fran sah, wie er heimlich einen Blick auf Ruhi warf.
Fran seufzte. Er hatte schon lange vermutet, dass Sean eine Schwäche für Ruhi hatte. Wenn dies tatsächlich so wäre, dann wäre Sean sicher nicht dazu bereit, sich eine Frau auf einer Dating-App zu suchen. Und das würde bedeuten, dass Sean ebenfalls die Ranch verlassen musste.
Dr. Patel blickte auf und sah die anderen Männer. Er winkte sie zu sich.
„Wie ich sehe, benutzen Sie die App“, sagte Dr. Patel zu Reed.
„Ich habe nächste Woche ein Date mit einer Frau mit einer 72-prozentigen Übereinstimmung“, sagte Reed und hielt sein Handy hoch, das das Foto einer brünetten Frau mit einem runden Gesicht zeigte. Offensichtlich hatte er das Model mit den 98 Prozent ganz vergessen.
„Ich finde es ist ein Verbrechen, was Sie hier tun müssen“, sagte Ruhi. „Man kann einen Menschen doch nicht zwingen zu heiraten, damit er sein Zuhause nicht verliert.“
„Und ich dachte, Sie finden arrangierte Ehen gut“, sagte Reed.
„Aber das hier sind Zwangsehen. Das ist illegal.“
„Keiner zwingt uns“, sagte Reed. „Wir müssen nicht, wenn wir nicht wollen. Wir können auch woanders leben und nur zur Therapie herkommen.“
Sean blickte weg. Fran wusste, dass sein Kamerad keinen anderen Ort hatte, an den er gehen konnte, was bedeutete, dass in seiner Situation durchaus Zwang im Spiel war. Und auch Fran wollte nicht gehen. Er liebte es, morgens auf der Ranch aufzuwachen. Doch er hatte keine Wahl. Sein Herz ließ nicht zu, dass er blieb.
„Mein Vater versucht, jemanden für mich zu finden, seit ich ein Teenager bin“, sagte Ruhi. „Aber ich möchte keine arrangierte Ehe eingehen. Ich glaube, ich möchte nicht einmal heiraten. Heutzutage ist das doch gar nicht mehr nötig.“
Fran sah, wie es in Seans Hals arbeitete und ihm wurde klar, dass sein Kamerad Ruhi nicht nur ein bisschen mochte. Er war bis über beide Ohren in sie verliebt. Das würde ein Problem werden.
„Was ist mit Ihnen, Francisco?“, fragte Dr. Patel. „Sind Sie auf dem Heiratsmarkt?“
„Ich kann mein Herz niemandem schenken. Es ist kaputt.“
Er sagte es mit einem Lächeln, in der Hoffnung, dass die anderen lachen würden. Doch das taten sie nicht. Sie alle wussten, wie es um ihn stand.
„Ich weiß, dass es eigentlich eine Floskel ist, aber man sagt, Liebe heilt alle Wunden“, erwiderte Dr. Patel.
Fran wollte sagen, dass Liebe keine Metallsplitter bewegen konnte, aber er zwang sich zu schweigen und nickte nur.
„Wenn Sie nicht für die Liebe bereit sind, wären Sie wenigstens dazu bereit, ein wenig Zeit für die nächste Generation zu opfern? Wir haben morgen einen Jugendtag in der Kirche. Ich habe so eine Ahnung, dass Ihre Ansichten und besonders Ihr Vertrauen auf eine gute Ausbildung ein paar junge Seelen inspirieren könnten.“
Eva und Carlos stiegen die Stufen zu ihrer Wohnung hoch. Sie lag im zweiten Stock. Eine Nachbarin im Erdgeschoss hatte die Löcher in ihrer Terrassentür mit Aluminiumplatten abgedeckt. Dort, wo wohl eigentlich ein Garten sein sollte, gab es mehr Stellen, an denen einfach die nackte Erde hervorschaute, als solche, die tatsächlich mit Gras bewachsen waren.
Für die schwere Eingangstür aus Sicherheitsglas brauchte man eigentlich einen Schlüssel. Doch sie stand wie immer offen, damit jeder das Haus einfach betreten konnte. Eva machte sich nicht die Mühe, die Kiste wegzunehmen, die die Tür offenhielt. Sie wusste, dass irgendjemand sofort wieder etwas anderes hinstellen würde, damit sich die Tür nicht schloss.
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