Auf seinen Knien
Copyright © 2018, Ines Johnson. All rights reserved.
Originally published by Ines Johnson, USA
Dieses Buch ist reine Fiktion. Alle in diesem Buch beschriebenen Personen, Orte und Handlungen sind frei erfunden oder werden fiktiv gebraucht.
Ohne die schriftliche Einwilligung der Autorin darf dieses Buch in keinerlei Form und auf keinem Weg weder ganz noch in Auszügen vervielfältigt oder übertragen werden. Ausgenommen sind autorisierte Händler.
© Copyright der deutschen Ausgabe 2021 by Ines Johnson
Übersetzung: Annerose Keller
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Das Trommeln der Hufe auf der Erde erinnerte an das Dröhnen von Artilleriefeuer – ein Geräusch, das Dylan Banks nur zu gut kannte. Die vergangenen fünf Jahre hatte er in einem Kriegsgebiet verbracht. Während dieser Zeit hatte er oft einen stahlblauen Himmel, endlose Sandhügel oder weite Felder voller Blumen in zarten Pastelltönen gesehen. Was für ein grausamer Scherz. Krieg sollte nicht schön sein.
Hier war der Himmel ebenfalls blau. Und es war nicht nur das Geräusch der trabenden und galoppierenden Pferde, das Dylan an den Krieg erinnerte. Seine Männer waren auch hier. Zumindest diejenigen, die es lebend herausgeschafft hatten.
Wer überlebt hatte, hatte viel verloren. Familie, Freunde, einen Teil seines Körpers, einen Teil seiner Seele. Doch an diesem Ort, der Bellflower Ranch, konnten sie wieder gesund werden.
Als sich Dylan umblickte, fiel ihm das Wappen der Ranch ins Auge. Es war eine purpurne Blume mit runden Blütenblättern. Die Blume erinnerte deutlich an ein Herz. In Angedenken der Narben und Wunden, die jeder von ihnen mit nach Hause gebracht hatte, nannten die Veteranen die Ranch, die zu ihrem Zufluchtsort geworden war, nur noch die Purple Heart Ranch.
Dylan trieb sein Pferd und sich selbst zu einer schnelleren Gangart an. Die süße Frühlingsluft traf ihn im Gesicht. Er zwang seinen Körper zu mehr, als er seinen Ärzten zufolge eigentlich leisten konnte. Seine Hüften mussten die Bewegungen des Pferdes abfangen und steuern. Er spürte, wie die kräftigen Muskeln des Pferdes seine eigenen stimulierten und ihm die Kraft gaben, die er brauchte, um wieder gesund zu werden.
Als er im Militärkrankenhaus aufgewacht war und festgestellt hatte, dass er kein vollständiger Mensch mehr war, hatte er nicht geglaubt, dass Heilung überhaupt möglich war. Doch auf der Purple Heart Ranch bekam er wieder einen Teil von sich zurück – so wie alle anderen hier.
Die Ranch war zu einem Zufluchtsort für Verwundete geworden. Einem Ort, an dem sie sich nicht vor ihren Albträumen – ob im Schlaf oder im Wachzustand – verstecken mussten. Dylan war seit seiner Entlassung nicht mehr gut auf Gott zu sprechen gewesen. Doch als er zum ersten Mal den Fuß auf die Ranch gesetzt hatte und auf sein erstes Pferd gestiegen war, war ihm klargeworden, dass Gott ihm einen neuen Lebenssinn schenkte.
Die Militärärzte hatten sein Leben gerettet, aber erst durch die Hippotherapie hatte er wirklich wieder angefangen zu leben. Erst das therapeutische Reiten, das oft bei Bewegungseinschränkungen eingesetzt wurde, hatte Dylan nach dem Krieg und seiner Verwundung wieder ins Leben zurückgeholt.
Er liebte das Reiten. Er liebte es, auf der Ranch zu leben. Er liebte es, dass er nicht mehr unter einem strahlend blauen Himmel nach Deckung suchen musste. Nach der Hölle, die er und die anderen Männer durchgemacht hatten, war die Purple Heart Ranch das, was für sie dem Himmel am nächsten kam.
Dylan zog an den Zügeln und das Pferd fiel in einen langsamen Trab. Sie kehrten auf den Reitplatz zurück, wo Dylan abstieg. Wo vorher ein stechender Schmerz gewesen war, spürte er nun ein deutliches Pochen, als er sein Bein über den Rücken des Pferdes schwang. Die Prothese ragte dabei steif in die Luft und die Muskeln in seinen Oberschenkeln und seinem Po fühlten sich wund an.
Mark, der Physiotherapeut, wartete. Er hütete sich, den stolzen Kämpfern seine Hilfe anzubieten. Aber er wusste auch, wann er ihren Stolz ignorieren und sie unterstützen musste.
Obwohl Dylan alles wehtat, brauchte er an diesem Tag keine Unterstützung. Vorsichtig ließ er sich auf den Boden hinab und nutzte dabei vor allem die Kraft seines Oberkörpers. Einen Moment lang stand er schwankend da, bis er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, dann nickte er Mark zu.
Der Therapeut schüttelte nur den Kopf. Er machte sich nicht die Mühe, Dylan zurechtzuweisen oder überhaupt einen Kommentar abzugeben. Das tat dafür ein anderer.
„Sie waren länger unterwegs als abgesprochen, Kamerad.“
Dylan starrte Dr. Patel von oben herab an. Doch obwohl Dylan den alten Herrn um fast einen halben Meter überragte, war Dr. Patel eine eindrucksvolle Erscheinung. Er lächelte, aber seine Augen blickten streng und durchdringend. Ihm entging nichts. Seine Stimme klang zwar tadelnd, aber mit dem leicht singenden Akzent seiner indischen Heimat auch väterlich.
„Ich schaffe das schon“, sagte Dylan, als er auf den Mann zuging. Er versuchte, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, als seine Beinprothese ein wenig einknickte.
Doch Dylan wusste, dass er dem Psychotherapeuten nichts vormachen konnte, der ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. „Nur weil Sie etwas tun können, heißt das noch lange nicht, dass Sie es auch tun sollten.“
Der ältere Mann macht einen Schritt auf ihn zu, doch genau wie Mark hütete Dr. Patel sich davor, seine Hilfe anzubieten, wenn es nicht unbedingt nötig war. Und Dylan achtete darauf, dass es nie nötig war. Er brauchte keine stützende Hand. Er musste nur sein Gewicht anders verlagern.
Wahrscheinlich hatte sich der Schaft seiner Prothese gelockert. Er blieb stehen und beugte sich nach vorn, um seinen Beinstumpf wieder in den Schaft zu drücken, bis er das verräterische Klicken hörte, als Schaft und Liner wieder ineinandergriffen.
„Mein alter Kumpel hier und ich kommen wunderbar miteinander aus“, sagte Dylan, als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete. Die Beinprothese machte ihn zwei Zentimeter größer. Immerhin ein Vorteil.
„Ihr Körper ist fast gesund“, sagte Dr. Patel. „Allen Männern hier geht es körperlich recht gut. Aber auch Ihr Herz muss heilen. Und die inneren Wunden heilen durch Liebe.“
Dylan hatte diese Ansprache schon früher gehört. Er hatte der Therapie für seine Seele zugestimmt. Ihm war bewusst, dass er nach allem, was er durchgemacht hatte, jemanden brauchte, mit dem er über die Schrecken des Krieges reden konnte. Doch es gefiel ihm nicht, wenn der gute Doktor sein Herz ins Visier nahm.
„Vielleicht sollten Sie Ihre Familie einladen?“, schlug Dr. Patel vor.
Dylan schüttelte den Kopf. Er hatte kein Verlangen danach, seine Familie zu sehen. Und sie hatten deutlich gemacht, dass sie nun, da er nur noch ein halber Mann war, ganz gut ohne ihn zurechtkamen.
„Oder wie wäre es mit einem Date?“, fuhr Dr. Patel fort.
Keiner der Veteranen auf der Ranch hatte Dates. Außer Xavier Ramos vielleicht. Ramos hatte noch alle seine Gliedmaßen und sah immer noch gut aus. Die Frauen, mit denen er ausging, würden seine Verwundung nicht sehen, solange er seine Kleidung nicht auszog.
„Allerdings bin ich immer noch nicht davon überzeugt, dass man dafür wirklich Apps und Computer verwenden sollte“, sagte Dr. Patel. „In meinem Land haben wir uns darauf verlassen, dass unsere Eltern gute Lebenspartner für uns finden würden.“
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