Auch die ständigen Veränderungen machen uns zu schaffen. – „Das einzig Beständige sind die Veränderungen“. – Erfahrungen unserer Vorfahren sind häufig für die neue Generation überholt. – Verwandtschaften, Familien und Partnerschaften verlieren ihre Stabilität, man geht statistisch häufig nur noch Lebensabschnittspartnerschaften ein, das Grundvertrauen in Beziehungen schwindet, wir sind beruflich oft herausgefordert, mit einem Arbeitsplatz irgendwo in der Welt rechnen zu müssen. – Wir werden „atomisiert“ und leben häufiger längere Strecken oder dauerhaft alleine in einer Wohnung. – Die Bedürfnisse nach Sicherheit, Geborgenheit, Liebe und Leichtigkeit sind immer schwieriger zu befriedigen.
Wir sind eine Konkurrenzgesellschaft geworden und konkurrieren uns mit der Anschaffung von Konsumgütern, der Nachbar kennt mich kaum, aber er sieht an meiner Gesichtsbräunung, dass diese nicht von meinem Balkon stammt sondern von weiterer Ferne im Urlaub, den ich mir leisten kann und er vielleicht nicht.
Dieses vermutete Neidgefühl des Nachbarn soll dann der eigenen „Gefühlsberauschung“ dienen. – Die Werbung provoziert deshalb auch hässliche Neidgefühle wie zB. „Citroen macht neidisch“ etc. – Ich soll mir also weniger ein Auto kaufen, weil es für mich praktisch ist sondern um meinen Nachbarn, den ich kaum kenne, zu ärgern und bei ihm Neidgefühle auszulösen. – In dieser Richtung gibt es mancherlei Werbesprüche wie „dafür wird Sie Ihr Nachbar beneiden …“ etc. – Eine schlechte Basis für das Ziel, ein „liebesfähiger Mensch“ zu werden und zu sein, die Voraussetzung für „gesundes, glückliches Leben“.
Dazu kommt die sogenannte „Chancengleichheit“, die es zwar nicht gibt aber formal besteht. – Leibeigene im Mittelalter waren aufgrund ihrer Herkunft arm und ihre Kinder waren erneut arm. – Sicher auch nicht begeisternd! – Dieser Zustand hatte jedoch keinen Zusammenhang mit ihrer Leistung oder ihrem intelligenten Erfolg. – Sie waren also in keinem Wettbewerb und standen deshalb zumindest nicht unter einem besonderen Leistungs-und Vergleichsdruck.
Heute wird man eventuell als Versager eingestuft, wenn man mit seinem Wohlstand von anderen im Vergleich nach unten abweicht. – Ausgrenzung und Entwertung kann die Folge sein. – Es ergibt sich also ein erheblich erweiterter sozialer und psychologischer Druck. – In meiner Kindheit, und auch noch als Jugendlicher, war es für mein Umfeld in der Schule kein Thema wie ich angezogen bin, es gab diesbezüglich auch keine besondere Mode, man war froh, Kleidung zu haben. – Auch die Schulnoten brachten damals kaum Stress, höchstens das „Sitzenbleiben“, weil man eigentlich der Familie als Arbeiterkind ab dem 14. Lebensjahr nicht mehr voll auf der Tasche liegen sollte. – Heute kann es in der Schule zum Ausgrenzungsstress werden, wenn ein Kind nicht aktuelle Modeprodukte trägt oder nicht bestimmte Kommunikationsgeräte besitzt. – Alles wird verglichen und bewertet. – Vergleiche führen häufig allgemein zu psychischen Problemen, vor allem zur Unzufriedenheit, und können unglücklich machen. – Ausgenommen sind Vergleiche zum Dazulernen.
Zu Vergleichen gehören auch die heutigen Auswahlverfahren mit Intelligenztests. Intelligenz soll heißen „Die Fähigkeit zur Lebensbewältigung“, was immer das ist. – Bei der Auswahl durch Intelligenztests versteht man wohl darunter die Fähigkeit im Vergleich, welche Aufgaben kann man ihm zutrauen, welchen Ausbildungsgang darf er machen, und welchen materiellen und welchen Bildungsstatus darf er erreichen. – Liebes- und Genussfähigkeit wird da nicht abgefragt. – Depressive Kinder werden zB. dadurch meist nicht enttarnt und werden deshalb bei Intelligenztests schlecht abschneiden, sie werden dann die Sonderschule für Lernbehinderte gesteckt und haben alleine dadurch später weniger Chancen, einerseits durch den Status als Sonderschüler und andererseits aufgrund der in dieser Schule anders gelagerten Schulbildung. – Dann sieht sich der Intelligenztest wieder bestätigt, ein Teufelskreis. – Allerdings misst der Test nur, was er misst, nicht mehr! – Ich habe mich bald in meiner Arbeit von diesem „Auswahlquatsch“ verabschiedet. – Dies war hier meinerseits keine indirekte Abwertung der Sonderschule, diese kann für viele Kinder der richtige Weg sein.
Davon abgesehen, höherer materieller und geistiger Status führen nicht unbedingt zu glücklichem Leben. – Reiche und höher gebildete Menschen sind nicht glücklicher als ärmere, oft im Gegenteil! – Abgesehen von erheblicher physischer Armut! – Man hat nur mehr Neider, kann keinem trauen, rundum nur Feinde und fragwürdige „Freunde“, üble Banker und Risiken, die in hohen Dimensionen ablaufen … Erst wenn man sich konkret damit beschäftigt, kann man dies ehrlich und mitfühlend ohne Ironie nachvollziehen.
Ich stamme aus der Arbeiterschaft und bin Nachkriegskind. – Wir wohnten bei den Großeltern in einer von meinem Vater ausgebauten Dachgeschoßwohnung. Die Wohnküche hatte 12qm und das Schlafzimmer 10qm. Es gab kein Klo und kein Wasser. – Wasser holten wir im Garten vom Brunnen und das Klo war unten beim Hühnerstall. – Im Schlafzimmer glitzerten die Wände und die Bettdecke im Winter vom Raureif. Gewaschen haben wir uns etwas „gründlicher“ nur einmal in der Woche im Emailwaschbecken mit dem erwärmten Wasser vom Kochherd. – Ich fühlte mich deshalb nicht arm, die Nachbarn lebten alle ähnlich. – Die Reichen lebten in anderen Gebieten und wurden nicht erlebt. – Ich fand unter diesen Umständen nie jemanden, der Neid hatte, da alle in der Umgebung ähnlich lebten. Ich kenne bis heute dieses Gefühl „Neid“ voller Dankbarkeit in mir nicht, wurde aber schon oft Opfer von hinterhältigen Neidern, armselige schreckliche Menschen. – Obwohl ich auch schon sehr liebe Menschen kennenlernte, die halb zugrunde gingen unter ihren pathologischen Neidzuständen, bei denen war es wohl ein vorübergehender „Seelenzustand“ in Verbindung mit Selbstwertproblemen und erhöhten depressiven Anteilen.
Armut wird nicht nur physisch gesehen, also was Ernährung, Kleidung und Wohnung betrifft, sondern den sozialen Vergleich betreffend. – Bereits Karl Marx hat in seiner sogenannten Verelendungstheorie vorwiegend von der sozialen Armut gesprochen. – Sein Beispiel, wenn in einer Straße nur Hütten stehen, sind diese Menschen sozial betrachtet nicht arm. – Wenn einer am Ende der Straße ein Steinhaus baut, sind die anderen arm.
In dieser Situation sind wir heute sehr umfassend. Selbst Multimillionäre vergleichen sich mit Milliardären in der Nachbarschaft und fühlen sich im Vergleich als Versager und arm. – Nicht selten suchen diese dann – aus den Vereinigten Staaten bekannt – einen Psychotherapeuten auf, weil sie sich dadurch psychisch belastet fühlen oder gar erkranken. – Dies soll kein billiger Witz sein, solche Vergleiche können tatsächlich auch in dieser Gemeinschaft gravierende ausgrenzende und entwertende Bedeutung erlangen.
Wir haben es seit einigen Jahrzehnten mit einer weiteren besorgniserregenden Veränderung zu tun, die bereits in der Forschung deutlich bestätigt wurde. – Umfassend und zunehmend werden die sogenannten Wegstrategien des menschlichen Verhaltens, also letztlich die Moral, entwertet und dafür das Ergebnis, das Ziel unabhängig davon für sich hoch bewertet. – Ein Bundeskanzler sagte mal: „wichtig ist, was hinten raus kommt“. – Dieses Denken lässt die Moral des Handelns, des Weges zur Zielerreichung, blasser und unwichtiger werden, die Hauptsache ist, Erfolg zu haben.
Im vergangenen sogenannten „Sozialismus“ der Sowjetunion ergaben seinerzeit im Vergleich die Forschungen noch eine wesentlich bessere Bewertung der Wegstrategien, zumindest in Schulbüchern und anderen Forschungsfeldern.
Diese Veränderungen sind eine sehr gefährliche Entwicklung mit der wir zu kämpfen haben. – Dieses neue Prinzip wird uns allumfassend vermittelt, ob in der Werbung, in Schulbüchern oder in Kinderspielen, etc. – ZB ein Vorschulspiel bei dem zwei Hasen im Wettbewerb stehen, durch ein Labyrinth zu einer Rübe zu gelangen. – Man könnte auch ein Spiel entwickeln, bei dem beide Hasen zusammenarbeiten und sich dann die Rübe teilen. – Nicht nur, wer ist der Cleverste und am erfolgreichsten. – Vielleicht sind diese neuen Denkstrategien auch für das Verblassen von Religionen mitverantwortlich, da diese als Schwerpunkt der religiösen Überzeugungen die Wegstrategien des Lebens besonders im Auge haben.
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