1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Obama realisierte auch, dass Rassismus und der Kampf um Gleichberechtigung tief in der amerikanischen Gesellschaft verwurzelt sind und dass eine einzige Wahl nicht alles ändern kann, sondern nur ein Schritt von vielen Schritten ist, die in den nächsten Jahren zu gehen sind. Auf charismatische Weise beschrieb er, dass Rassengleichheit nur dann eintreten wird, sobald die Träume und Hoffnungen von einer Gruppe nicht zu Lasten einer anderen Gruppe gehen. Wenn Investitionen im Sozialwesen für jeden Amerikaner gleichermaßen stattfänden, dann würde schlussendlich das ganze Land davon profitieren.59
Sowohl bei den Vorwahlen als auch bei den Hauptwahlen konnte Obamas Kampagne immer neue Rekorde an Wahlspenden verbuchen. Am 19. Juni 2008 war Obama der erste Präsidentschaftskandidat in der Geschichte der USA, der freiwillig auf öffentliche Wahlkampfgelder verzichtete – sie werden in den USA seit 1976 vergeben. Noch im gleichen Jahr, am 4. November 2008, wurde Barack Obama zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, sowohl vom Volk durch das „Popular Vote“ also auch von den Wahlmännern. Dabei ging er als klarer Sieger hervor: Von den Wahlmännern erhielt er 365 Stimmen im Vergleich zu seinem republikanischen Gegenkandidaten, dem Senior-Senator John McCain aus Arizona, der 173 Stimmen bekam. Auch das Volk sprach klare Worte: 52,9 % der Bevölkerung stimmte für Obama, nur 45,7 % für McCain. Nach diesem phänomenalen Wahlsieg wurde Barack Hussain Obama II am 20. Januar 2009 um die Mittagszeit zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt.
Obwohl Obama die politische Karriereleiter nicht ganz so schnell erklomm wie Angela Merkel, so war sein Aufstieg durchaus beeindruckend. Zumal er, anders als Merkel, in seiner historischen Wahl als überwältigender Sieger hervorging. Die Rekordsummen an Spendengeldern, die während seiner Kampagne zusammenkamen, in Kombination mit seiner beispiellosen Agenda, zeigten, dass die Amerikaner bereit waren, einem jungen, relativ unbekannten Senator unabhängig von seiner Hautfarbe – oder vielleicht gerade wegen seiner Hautfarbe – eine Chance zu geben. Mit seinen Reden und Wahlversprechen hatte es Obama mit Leichtigkeit geschafft, das amerikanische Volk für sich zu gewinnen. Es würde jedoch noch ein beschwerlicher Weg für ihn werden, die Beziehungen zwischen den USA und seinen Verbündeten in Europa, insbesondere Deutschland, wieder zusammenzuflicken.
Diese Partnerschaften standen zwar auf wackeligem Boden, doch eines war sicher: Obama und Merkel hatten nichts mit ihren jeweiligen Vorgängern gemein. Obama drückte es so gegenüber seiner deutschen Kollegin aus, als er in einer Rede über die Fortschritte im 21. Jahrhunderts sprach und über die ungewöhnlichen historischen und persönlichen Umstände, die beide Politiker auf ihre Rolle im Öffentlichen Dienst vorbereitet hatten: „Kriege können enden. Gegner können zu Verbündeten werden. Mauern können fallen. Zu guter Letzt können Länder sich wieder vereinigen und frei sein. Frau Bundeskanzlerin, unsere Lebenswege stehen in diesem Geiste.“
Kapitel 2: „Ich übernehme die Verantwortung“
Januar – April 2009
Als der Deutsche Bundestag im November 2005 die neue Kanzlerin Merkel einschwor, hatte auf der anderen Seite des Atlantiks George W. Bush gerade zum zweiten Mal in Folge die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland war zu diesem Zeitpunkt getrübt – das erste Mal seit dem Kalten Krieg – da die Bush-Regierung 2003 in den Irak einmarschierte. Obwohl viele europäische Politiker in Bush „Satans Vertreter auf Erden“1 sahen, ging Merkel mit ihrem US-Kollegen nicht ganz so hart ins Gericht.
Sie hatte aber schon eine andere Meinung über das Gefangenenlager Guantanamo und keine Probleme, diese publik zu machen: In einem Interview mit Der Spiegel erklärte sie, dass es zwar eine Notwendigkeit für das Bekämpfen des Terrorismus gäbe, sie Bushs militärische Vorgehensweise jedoch ablehne: „Eine Institution wie Guantanamo kann und darf langfristig nicht operieren. Es müssen andere Wege gefunden werden, mit den Gefangenen umzugehen.“2
Aufgrund seiner vom Isolationismus bestimmten Politik waren weltweit viele Politiker froh, dass die Ära Bush 2009 zu Ende war. Sie hofften, dass Barack Obama die Beziehungen, die Bush zerstört hatte, reparieren könnte. Merkel sah das ein wenig anders, denn sie und Bush hatten eine gute Arbeitsbeziehung. Sie gab sogar zu, dass sie ihn vermissen würde.3 Dabei darf man nicht vergessen, dass Merkel im kommunistischen Ostdeutschland aufgewachsen ist. Daher empfand sie den Vereinigten Staaten gegenüber stets Dankbarkeit und sah möglicherweise den ehemaligen Präsidenten durch eine leicht rosarot gefärbte Brille. Dass die Politik von Bush nicht nur ihre europäischen Kollegen verstimmte, sondern auch ihre Mitbürger, entging der Kanzlerin sicherlich nicht.
Ihr war klar, dass sie eine Gratwanderung machen musste, denn die Deutschen waren von Barack Obama begeistert und sie selbst hatte Bedenken. So schrieben Ralf Beste, Dirk Kurbjuweit, Christian Schwägerl und Alexander Szandar in einem Spiegel-Artikel: „[…] 85 % der Deutschen würden auch Obama gewählt haben. Kaum ein anderes Thema genießt einen ähnlichen Konsens.“4 Ein Teil von Obamas Faszination ist möglicherweise auf die Hoffnung zurückzuführen, die er mit seinem Wahlkampf verbreitet hatte, und die Aussicht, dass Obama die von Bush geschwächten Beziehungen zu den USA wieder stärken könnte. Im Laufe seiner Präsidentschaft entwickelte Obama eine echte Zuneigung für die Deutschen, was ihnen nicht entging und das Gefühl der Hoffnung nur bestärkte. Dass die Deutschen den Präsidenten verehrten war ansteckend – und sollte schlussendlich auch die Kanzlerin befallen.
Nach Obamas Vereidigung am 20. Januar 2009 gab Merkel ein Interview für Spiegel Online, in dem sie die historische Bedeutung seines Wahlsieges hervorhob und betonte, dass seine Funktion als erster schwarzer Präsident „eine große Stunde für Amerika ist, was viele Möglichkeiten bietet.”5 Ohne seinen Vorgänger überhaupt zu erwähnen, verteilte sie hier Seitenhiebe an Bush und seine Politik und hoffte, dass Obama einen anderen Ansatz haben würde, um die komplexen Probleme dieser Welt zu lösen – einen, der auf Kollaboration und den Dialog mit anderen baut.
Die deutsche Kanzlerin wählte ihre Worte sehr diplomatisch. Aus persönlicher Sicht hatte sie eine gute Beziehung zu Bush, aber auf professioneller Ebene war sie sich der Herausforderungen bewusst, die sich aus einigen seiner politischen Maßnahmen ergaben. Von daher gelang es ihr, die Verhängnisse der Bush Administration zu diskutieren, ohne dabei seinen Namen zu nennen und ihn öffentlich bloß zu stellen. Merkel zählte ganz einfach heiße Themen auf wie Afghanistan, Iran und die Beziehung zu Russland, die dringend Aufmerksamkeit bedurften, und verdeutlichte: „Ich hoffe, dass unsere Kooperation dadurch gekennzeichnet sein wird, dass wir einander zuhören und darauf basiert, dass ein einziges Land alleine die Probleme dieser Welt nicht lösen kann, sondern wir es nur gemeinsam tun können.“6
Merkel gab zu, dass die Situation in Afghanistan zukünftig problematisch sein würde und bot für diese Region nichtmilitärische Unterstützung an. Sie machte jedoch klar, dass sie nicht von ihrem Standpunkt abweichen würde, keine militärischen Truppen zu schicken: „Wir haben dieser Entscheidung unsere Kapazitäten und Fähigkeiten zugrunde gelegt – nicht wer Präsident ist.“7 Obwohl es damals Spekulationen der Medien und anderer Politiker gab, dass Obama auf mehr militärische Unterstützung seitens seiner europäischen Verbündeten pochen würde, war das nicht der Fall.
Ein später veröffentlichtes Spiegel-Interview vom 2. Februar 2009 diskutierte die scheinbare Gleichgültigkeit der Kanzlerin gegenüber dem neu gewählten Präsidenten und den Konflikt der beiden Staatsführer in Bezug auf den Verbleib der Guantanamo-Insassen. „Es gibt nicht die kleinste Spur von Enthusiasmus für den Mann, auf dessen Schultern momentan die Hoffnung der ganzen Welt ruht. Merkel ist nicht darauf vorbereitet, den Amerikanern bei ihrem ersten konkreten transatlantischen Anliegen schnell entgegenzukommen, nämlich der Aufnahme von Häftlingen aus Guantanamo.“8 Dafür, dass Merkel in dieser Angelegenheit eine derart starke Meinung besaß, hätte man aus der Perspektive der USA ihre Unterstützung bei der Schließung der Anstalt durchaus erwarten können.
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