ZWEITENS. Das Ego muss antizipieren.Die zweite Aktivität des Egos ist die Antizipation. Da das Ego von Sorge durchdrungen ist, hat es fast immer etwas Schmerzhaftes zu befürchten. Wenn es sich in Zukunftszenarien ergeht, hofft es drohende Unannehmlichkeiten bereits aus der Ferne zu erkennen, um dann blitzschnell jede mögliche Frustration, jeden Schmerz und jeden Verlust vermeiden zu können.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu erkennen, wie das Ego den Zustand der Unbewusstheit aufrechterhält, indem es entweder Schmerz antizipiert oder sich nach Momenten der Freude sehnt. Das bedeutet übrigens nicht, dass wir automatisch im Griff unseres Egos sind, sobald wir über zukünftige Ereignisse nachdenken. Es könnte aber hilfreich sein, einmal nachzuspüren, wie viel unserer Zeit wir dafür verwenden, auf etwas anderes zu warten, anstatt die Gegenwart wahrzunehmen.
Unsere Tendenz, mehr in der Zukunft als im gegenwärtigen Moment zu leben, bestärkt das Ego in seiner Überzeugung, dass sich erst die äußeren Umstände ändern müssen, damit das Leben anders erlebt werden kann. Sobald wir uns in Vorausahnungen verlieren, tendieren wir zu der Überzeugung, dass diese auch eintreten werden. Das Ego muss entweder seine Wunschvorstellung zukünftiger Ereignisse bestätigt bekommen, um glücklich zu sein oder es versinkt in Angst darüber, dass seine Befürchtungen die einzige Lebensrealität sein könnte. Beide Varianten führen dazu, die Wirklichkeit dauernd kontrollieren zu wollen. Daher verlangsamt auch diese zweite Aktivität des Egos, das Antizipieren, unsere seelische Ausdehnung.
DRITTENS. Das Ego muss mit der Vergangenheit hadern.Die Weigerung, alles anzunehmen, was das Leben uns an Erfahrungen bietet und seine Sinnhaftigkeit für unsere Entwicklung zu bezweifeln, ist ein Muster, was wir Hadern nennen. Das ist die dritte Aktivität des Egos.
Wenn das Ego gerade nicht damit beschäftigt ist potenzielle Widrigkeiten vorwegzunehmen, verharrt es oft in einem Zustand von Unbewusstheit. Aus diesem blickt es auf die Vergangenheit zurück und klagt alle Menschen, Situationen und Dinge an, die es für die Ursache seines Leidens hält. Da das Ego die Seele in der Tiefschlafphase ihrer Ausdehnung darstellt, fühlt es sich immer tendenziell ausgeschlossen, verlassen und sogar betrogen von einem Universum, das in Wirklichkeit Situationen nur dafür erschafft, damit wir wachsen können. Würde das Ego sich mehr mit der Welt verbunden und von ihr unterstützt fühlen, gäbe es wiederum gar kein Ego, um solcherlei Gefühle zu hegen. Nur die Seele allein kann sich in Übereinstimmung mit der Quelle bringen. Daher sind schmerzhafte Gefühle von Bedauern und Trennung ein Anzeichen dafür, dass sie noch in tiefstem Verpuppungsschlaf liegt und sich erst auf das Erwachen ihres Bewusstseins vorbereitet.
Manchmal kann uns das Hadern mit der Vergangenheit dazu inspirieren, uns Anerkennung für gelernte Lektionen, erreichte Weisheit und gefällte Entscheidungen zu geben. Wenn wir uns jedoch von unserem Ego dominieren lassen, benutzen wir das Hadern unbewusst, um uns vor den potentiellen Bedrohungen in unserem täglichen Leben zu verstecken. Das Hadern antizipiert Worst-Case-Szenarien und setzt so das Sorgen in Bewegung. Das ist Teil des Teufelskreises des Egos. Sobald wir im Zustand der Sorge sind, benutzt es die schmerzhaften Dinge der Vergangenheit, um sich von seinen Sorgen über die Zukunft abzulenken. Gleichermaßen benutzt das Ego das Hadern mit der Vergangenheit, um düstere Erwartungen in die Zukunft zu projizieren und veranlasst uns dadurch, uns noch mehr Sorgen zu machen.
Wie du sehen kannst, entsteht auf diese Weise ein Teufelskreis des sich Sorgens, Antizipierens und Haderns.
Von der Inkubation zur Ausdehnung
Bei der Untersuchung der drei Aktivitäten des Egos stellen wir fest, dass die Angewohnheit zwischen Besorgnis, Antizipation und Hadern hin und her wechseln, dem unbewussten Zustand von Inkubation oder seelischem Verpuppungsstadium entspricht. Dieses hält solange an, bis die Seele einen kritischen Punkt erreicht hat und für einen weiteren wichtigen Wendepunkt in ihrer spirituellen Entwicklung bereit ist.
Jedes Ausmaß von innerem Krieg oder persönlichem Konflikt hat seine Grundlage in einem schlafenden Bewusstsein. Sobald die Seele ihrem evolutionären Ziel folgt, sich aus der Inkubationsphase in die Ausdehnung zu begeben, können wir diesen Prozess wirkungsvoll unterstützen – durch die Bereitschaft, die Aktivitäten des Egos möglichst achtsam wahrzunehmen. Die Fähigkeit, den inneren Krieg zu beenden, kann mithilfe einer Gleichung dargestellt werden. Sie enthält folgende Bestandteile:
Bewusstheit + Auflösung = Ausdehnung
Viele Menschen sehnen sich nach Entschlusskraft, ohne zuerst eine entsprechende Bewusstheit entwickeln zu wollen, welches wiederum die Grundlage für ihr höchstes spirituelles Wachstum darstellt. Andere haben zwar ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie sehr Besorgnis, Antizipation und Hadern ihr Leben negativ beeinflussen, wissen aber nicht, wie ihr nächster Schritt aussehen könnte.
Um die oben genannte Gleichung als eine Art Handlungsanleitung für die eigene Entwicklung zu nutzen, sollten wir uns daran erinnern, dass wir ›verkörpertes Wort‹ sind. Gerne wiederhole ich hier den Satz: »Am Anfang war das Wort und das Wort der Wahrheit rief jede Erscheinung ins Leben.«
Da jeder von uns ein lebendiger Ausdruck der göttlichen Energie ist, sind wir das heilige Wort, das sich durch den Menschen verkörpert. Wir inkarnierten in einen sich ständig ausdehnenden Lebensprozess, in dem Bewusstheit und Auflösung die Expansion der Seele dazu inspirieren, uns zu erinnern, zu erkennen und schließlich zur Einheit zurückkehren.
Da unsere göttliche Quelle all-wissend und all-liebend ist, ist das Licht ihrer Präsenz in allem sichtbar, um uns an die Einheit zu erinnern und auch daran, dass wahre Offenheit alles einschließt.
Um die Erkenntnis der Einheit zu verkörpern, denke über die Weisheit der folgenden Aussagen nach oder wiederhole sie laut:
Ich akzeptiere, dass das Ego die Seele in ihrem tiefsten Schlafzustand darstellt. Es darf daher weder bekämpft, abgelehnt oder verleugnet werden, egal wie schmerzhaft es sich bemerkbar macht, wenn es zwischen den Mustern der Besorgnis, der Antizipation und des Haderns hin- und herwechselt.
Ich akzeptiere, dass die wahren Gründe, aus denen ich Besorgnis empfinde, antizipiere oder hadere, mir bisher nicht bewusst waren. Ich nutze diese Muster einfach um Energie aufzubauen und ein Erwachen meines Bewusstseins zu bewirken.
Indem ich dies akzeptiere, erlaube ich allen an meinem inneren Krieg beteiligten Anteilen, geheilt und erlöst zu werden. Damit erschaffe ich mehr Raum für die Ausdehnung meiner Seele. Ich nehme meinen tiefsten Heilungsprozess im Namen der Liebe an und weiß, dass alles, was ich in mir selbst erlöse, der Transformation jedes einzelnen Herzens dient, denn wir sind eins. Und so ist es.
KAPITEL 2
Freiheit vom spirituellen Mikroskop
Zehn Jahre sind vergangen, seitdem ein einziger Moment den Kurs meines Lebens und meiner Wirklichkeit verändert hat. Ich erinnere ich mich, als ob es gestern gewesen wäre. Ich stand vor dem mannshohen Spiegel in meinem Schlafzimmer und wurde von dem Drang übermannt, direkt in mein eigenes Abbild hineinzublicken ohne mich abzuwenden. Ich verspürte ein existenzielles Hin- und Hergerissensein zwischen all dem, was mir bisher von meinem Umfeld über mich beigebracht worden war und einem inneren Wissen, das nicht länger im Hintergrund bleiben wollte. Während ich mir selbst tief in die Augen schaute, konnte ich die Intensität einer kurz bevorstehenden Offenbarung in mir arbeiten spüren. Es war, als ob winzig kleine Energiestrudel in jeder meiner Körperzellen zu rotieren begannen.
Читать дальше