Wenn wir aus der Egoperspektive in eine mögliche neue spirituelle Entwicklung hineinfühlen, freuen wir uns oft sehr auf verschiedenste mystische Themen, während wir deutlich weniger Interesse daran zu haben scheinen, die höchsten Qualitäten oder mutigsten Entscheidungen einer zu vollem Bewusstsein erwachten Seele hervorzubringen. Wenn wir auf unser Ego hören, bewegen wir uns auf eine kraftvollere Wirklichkeit zu, jedoch oft basierend auf Angst oder Voreingenommenheit.
Solange wir uns von der negativen Bestärkung durch unser Ego leiten lassen, bleiben unsere Entwicklungsziele zwar positiv, doch unser ganzer Fokus besteht darin, kontinuierlich nach jeder noch so kleinen Unstimmigkeit Ausschau zu halten. Wir können dies mit einem Autoliebhaber vergleichen, der in seiner Garage viele Jahre lang an seinem Oldtimer gebastelt hat. Auch wenn er sich aufs Äußerste bemühte, das Auto perfekt wiederherzustellen, fand er nie die Zeit, sich hineinzusetzen und es zu fahren. Ähnlich verhält es sich, wenn wir vom Ego geleitet werden. Wir leben dann in einem Zustand des uns selbst schützen Wollens. Dabei hoffen wir, damit die Qual emotionaler Reaktionen zu vermeiden und der Versuchung zu widerstehen, uns in der Spirale negativen Denkens zu verfangen.
Da es immer nur das Ego ist, welches kämpft, vermeidet, überwindet oder verleugnet, können wir schnell erkennen, an welchem Punkt sich eine authentische spirituelle Entwicklung in eine Irrfahrt gegen vielerlei Widerstände verwandelt hat. Ob du gegen deine eigenen Ängste ankämpfst oder versuchst die Tiefe schmerzhafter Gefühle zu vermeiden, dich zu schnell aus den Konditionierungen deiner Familie lösen willst oder dich unheimlich anstrengst, um deine intensiven selbstbegrenzenden Überzeugungen zu überwinden – es ist einfach, sich in der Welt des Egos zu verlieren.
Die Wahrheit ist: Wenn die Seele das Steuer übernimmt, kämpfen wir nicht mehr gegen uns selbst und andere und widersetzen uns nicht mehr den Entscheidungen, die uns dazu aufrufen, unsere wahre spirituelle Kraft in Besitz zu nehmen. Dies sind die Schätze, die uns geschenkt werden, wenn unser innerer Krieg endet. Haben wir dies erreicht, kämpfen wir nicht länger gegen bestimmte Gefühle, müssen wir keine familiäre Konditionierungen mehr auflösen und brauchen keine unserer Gedanken mehr zurückweisen. Solch eine wunderbare und fast märchenhafte Wirklichkeit können wir jedoch nicht dauerhaft leben, solange wir uns darauf konzentrieren, Dinge zu vermeiden oder zu kontrollieren. Aus der Perspektive der Seele gibt es einen viel direkteren Entfaltungsweg.
Wenn wir den inneren Krieg aufgeben wollen, müssen wir das Ego von der Seelenperspektive her integrieren. Die Seele hegt eine große Hochachtung vor dem Ego und seinem Entwicklungsziel, Schichten und Verstrickungen loszulassen. Sie betrachtet das Ego als eine Art heilige Gebärmutter. In ihr ist die Seele in ihrer unbewusstesten und kindlichsten Form zuhause, bis die Zeit gekommen ist, zum Wohle aller zu erwachen. Bei einer Geburt beabsichtigen die Ärzte selbstverständlich nicht, die Mutter zu verletzen oder die Gebärmutter zu zerstören, um das Baby auf die Welt zu bringen. Wir sind sinnbildliche Mütter und Hebammen für uns selbst, mit der Aufgabe, das Licht unserer Seele der Menschheit zur Verfügung zu stellen. Wir können nur dann die ersehnte Entlastung erfahren, wenn wir uns selbst auf möglichst harmonische Art und Weise begleiten.
Im neuen spirituellen Zeitalter bekämpfen wir unser Ego nicht länger. Wir betätigen uns als herzbasierte Bezugspunkte einer neuen Humanität, die es als ihre Aufgabe sieht, das Ego aus den ewigen Kreisläufen seiner selbst auferlegten Schmerzen zu befreien. Diese Befreiung kann geschehen, indem wir das Ego auf möglichst liebevolle Art und Weise zur Quelle zurückführen.
Sobald die Seele erwacht, wird sie sich des Egos zunehmend bewusst und unterstützt dadurch seine Integration. Die Zwanghaftigkeit des inneren Konflikts lässt langsam nach, indem wir unsere wiederkehrenden Muster erkennen, ohne das Ego dafür zu verurteilen und ohne an seine Überzeugungen oder Forderungen zu glauben.
Die Seele ist wie ein einzigartiger Lichtstrahl, der von der Sonne unserer einen, ewigen Quelle ausgeht. Allein durch das Anschauen des Egos mit liebevollem Mitgefühl kann das Licht der Seele beginnen, scharfe Ecken und Kanten zu glätten, bis sich alle Egoschichten irgendwann einfach auflösen.
Durch unsere friedvolle Entschlossenheit kann die dem Ego innewohnende Dynamik immer mehr abgeschwächt werden. Dies geschieht, indem wir der Funktionsweise unseres Egos größeres Interesse und liebevollere Aufmerksamkeit widmen.
Die drei Aktivitäten des Egos: der innere Krieg
Wir müssen die drei Aktivitäten des Egos kennen, um unser Bewusstsein für das Verhalten unserer Seele in seiner tiefsten Stagnationsphase, dem Prozess der Inkubation, zu schärfen. Ähnlich den vorhersehbaren und immer wiederkehrenden Jahreszeiten in der Natur, stellen diese Aktivitäten ein Muster dar, das wir beobachten können: es besteht darin, die stärksten selbstzerstörerischen Impulse und die am wenigsten erstrebenswerten Qualitäten des Lebens aufrechtzuerhalten.
Während die drei instinktiven Verhaltensweisen von Angriff, Flucht oder Erstarrung ein fester Bestandteil unserer Überlebensfähigkeit sind, offenbaren uns die drei Aktivitäten des Egos die innere Motivation, welche sich hinter diesen Instinkten verbirgt und sie auslöst. Es handelt sich um die Verhaltensmuster des sich Sorgens, der Antizipation und des Haderns.
ERSTENS. Das Ego sorgt sich immer.Unser Ego kann nicht existieren ohne sich Sorgen zu machen. Dies liegt an seinem tief verwurzelten Unvermögen, der Vollkommenheit der göttlichen Ordnung zu vertrauen. Das Ego ist daher unfähig, seine wahre Identität als reiner und unverfälschter Ausdruck der Energie der Quelle zu akzeptieren. Besorgnis entwickelt sich aus Angst. Dieses Gefühl entsteht immer dann, wenn die Seele auf Ausdehnung drängt, während sie gleichzeitig in ihrem Ego-Verpuppungsschlaf in größter Unbewusstheit und oftmals tiefsten Ohnmachtsgefühlen verharrt. Eine der Grundüberzeugungen des Egos besteht darin, dass das Leben so viel weniger besorgniserregend wäre, wenn die äußere Wirklichkeit sich an seine Bedürfnisse anpassen ließe.
Viele Menschen lassen sich durch diese und ähnliche Überzeugungen täuschen, indem sie annehmen, sie würden sich anders fühlen, sobald sich die äußeren Umstände ändern. Dies unterstützt die grundsätzliche Annahme des Egos, dass sich erst die Dinge im Außen ändern müssen, bevor eine bessere Erfahrung erlebt werden kann. Sicherlich gibt es Momente im Leben, in denen äußere Veränderungen notwendig für die eigene Weiterentwicklung sind. Allerdings ist die Tendenz, darauf zu bestehen, dass die Lösung eines Problems immer ›von außen nach innen‹ verlaufen muss, ein hinderliches Muster, das wir als Anhaftung kennen.
Sobald wir uns von äußeren Ergebnissen abhängig machen, kommt die kontinuierliche Ausdehnung unseres Energiefeldes zum Stillstand. Durch dieses energetische Herunterfahren wird auch unsere seelische Ausdehnung unterbrochen. Dies kann allerdings unsere Weiterentwicklung als Ganzes nicht stoppen, da alles in unserem Leben unserer Entwicklung dient.
Während unser Ego die notwendigen Erfahrungen sammelt um seine engen Vorstellungen zu durchschauen, kann sich unser Energiefeld mit größerem Bewusstsein und neuer Perspektive weiter öffnen und seine Ausdehnung fortsetzen.
Obgleich ein Verhaltensmuster wie die Besorgnis eine zutiefst schmerzhafte Erfahrung für uns darstellen kann, spielt es eine Schlüsselrolle in unserem Entwicklungsprozess. Seine Aufgabe besteht darin, über das physische und mentale Unbehagen hinaus energetischen Schub aufzubauen, der unser Bewusstsein zum Erwachen bringt. Dieser Energieaufbau findet dann statt, wenn wir im Rahmen unserer Konditionierungen von widersprüchlichen Impulsen hin- und her gerissen werden – vergleichbar einem Schläfer, der sich im Bett hin- und herwirft, um aus einem Albtraum zu erwachen, von dem er nicht einmal wusste, dass er ihn hatte.
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