»Ey, Alter, was soll ich denn mit „Mister Remscheid“? Das klingt ja schon so merkwürdig. Wer ist denn so bescheuert und macht bei einer Mister-Wahl mit?«, tönte ich spöttisch.
Natürlich ließ ich mich breitschlagen, was denn sonst. Immerhin bat mich ein verdienter Kumpel um einen Gefallen – einer für alle, alle für einen, Sie verstehen. Das hielt mich aber nicht davon ab, während der Anmeldung über mich selbst zu lachen. Mann, was konnte ich für ein Depp sein, würde mit freiem Oberkörper vor Publikum in einer Einkaufspassage posen und dabei dümmlich vor mich hin grinsen. Da fehlte ja nur noch die Narrenkappe. Ich will aber nicht verheimlichen, dass ich in dieser Sache ausnahmsweise ziemlich doppelzüngig daherkam. Das Wieso ist schnell erklärt. Mir fehlte mal wieder eine persönliche Herausforderung. Der Blick in den Spiegel war nach wie vor kein Grund zur Schande, ließ mich aber auch nicht gerade vor Verzückung »Jawoll« schreien, wie noch im Jahr zuvor. Schon sah ich die Couch-Potatoes aus meiner früheren Realschulklasse wie ein Damoklesschwert vor dem geistigen Auge dahinwelken. Die Botschaft war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, denn die Zweisamkeit auf der heimischen Couch mit Freundin und bei einer üppig belegten Pizza zu genießen, ja, das war mittlerweile zu einem meiner gängigen Klassiker geworden. Da kam ein Wettkampf wie der anstehende genau richtig, um mich selber wieder zu pushen und die allzu bequem gewordene Komfortzone zu verlassen. Der Personal Trainer Oliver Sanne machte quasi sich selbst zum Optimierungsfall und gab ordentlich Gas. Bevor ich mich den kritischen Blicken einer Jury und des öffentlichen Publikums zu stellen hatte, blieben noch etwa vier Wochen Zeit, die ich mit strengem Training und einer Diät füllte. Schließlich galt es sowohl im Anzug als auch in Badehose und Jeans mit freiem Oberkörper eine beeindruckende Figur zu machen.
Mein Kumpel Alexander errang mit dem 3. Platz einen respektablen Achtungserfolg – Narrenkappe ab ... quatsch, will sagen Hut ab. Den 1. Platz sicherte sich doch tatsächlich ein gewisser Oliver Sanne. Lustig was? Überrascht war ich schon ein wenig, geschmeichelt allemal, das gebe ich offen zu. Andererseits bestand die ganze Konkurrenz aus übersichtlichen acht Teilnehmern. Und Remscheid war ja auch nicht gerade eine Metropole. Aber es war nun mal die von meinem Wohnort nächstgelegene Stadt, in welcher ein „Mister“ gekürt wurde – eine „Miss Remscheid“ übrigens auch. Das Beste an der Veranstaltung und meinem Sieg sah ich zu diesem Zeitpunkt vor allem darin, im Bühneninterview mein früheres Übergewicht zur Sprache bringen zu können, um dem einen oder anderen Zuschauer damit vielleicht Mut zu machen.
Durch meinen Sieg war ich vertraglich verpflichtet, auch an der Wahl zum „Mister Westdeutschland“ teilzunehmen. Alles wurde von der Miss Germany Corporation bestens organisiert, und ich für meinen Teil hatte längst Blut geleckt. Der Titel des Mister Westdeutschland klang doch schon deutlich vielversprechender als der des Mister Remscheid. Ich bekam es mit deutlich mehr Teilnehmern zu tun und gewann erneut. Kaum zu glauben, damit war ich qualifiziert, an der Endausscheidung teilzunehmen, was nichts anderes bedeutete als die Wahl zum „Mister Germany“ 2014.
Im Dezember 2013 war es so weit. Zunächst setzte ich mich gegen 13 der 17 Mitwettbewerber vor beeindruckender Saalkulisse mit Hunderten von Gästen durch. Es bedeutete harte Arbeit, zugleich aber auch enormen Spaß aufgrund eines sehr kollegialen Umgangs untereinander. Die Konkurrenten waren tolle Typen, mit ihnen gemeinsam die Choreografien einzustudieren ein Vergnügen. Wenn ich vorhin noch spöttisch von der gedanklichen Narrenkappe gesprochen habe, so trug ich bei dieser entscheidenden Mister-Wahl unter anderem die Mütze des Weihnachtsmannes zum freien Oberkörper – passend zu den nahen Festtagen und als Teil einer glamourösen Bühnenshow. Es war eine inspirierende und mitreißende Atmosphäre von einer Intensität, wie man sie sein Leben lang nicht mehr vergisst. In der finalen Runde blieben noch fünf stattliche Jungs übrig, und ich war einer von ihnen – ein Erfolg, den ich kaum fassen konnte. Der Veranstalter zelebrierte seine Finalisten, indem er uns ausgiebig auf und ab flanieren ließ, vor den unzähligen Kameras der anwesenden Medienvertreter. Alles war hochprofessionell, und wir fünf Protagonisten fühlten uns derart hofiert, dass man gar nicht anders konnte, als sich wichtig und bedeutend zu fühlen. Da musste man sich nicht erst ein gewinnendes Lächeln aufs Gesicht zaubern, denn es stellte sich ganz von selbst ein. Eine Kleinigkeit blieb aber noch zu tun, nämlich den Titel zu erringen. Wäre es nur nach der Körpergröße gegangen, der Sieg wäre mir sicher gewesen, da hatte ich die Nase deutlich vorne. Aber da das vermutlich nicht der ausschlaggebende Faktor sein würde, hieß es im schicken Anzug auf der Bühne zu stehen und Geduld heuchelnd zu lächeln. Unbestreitbar waren genau das die schwersten Minuten der gesamten Veranstaltung. Geduld? Ich? Ein echter Sportler mit Wettbewerbsgen wartete doch nicht entspannt mit den Gedanken im Hinterkopf:
„Oh, vielen Dank Ihr Lieben, ein fünfter Platz ist schon mehr als ich verdiene. Gerne darf der Titel an meinen Nächsten gehen.“
Das wäre ja noch schöner gewesen, die Mühe und Plackerei für einen 5. Platz, wo ein renommierter Titel zum Greifen nahe war. Selbst ein 2. Platz hätte mich mit den Zähnen knirschen lassen, so viel ist mal sicher. Und Hand aufs Herz, geneigte Leser da draußen, behaupten Sie ja nicht, Ihnen wäre es so kurz vor dem Ziel anders gegangen. Während also die Ungeduld an den straff gespannten Saiten meiner Nerven zupfte, ging mir erneut durch den Kopf, ob es eventuell doch eine Rolle spielte, dass ich meine verbliebenen Konkurrenten in der Körpergröße deutlich überragte. Hätte ich noch besser posen, charmanter lächeln, mich smarter bewegen müssen? Eine männliche Lautsprecherstimme machte deutlich, dass die Zeit für Gedankenspiele endgültig vorbei war:
»Wer der nächste Mister Germany werden wird, meine Herren, es liegt nicht mehr in eurer Hand, Ihr habt euer Bestes gegeben.«
Dann wurde ich es tatsächlich, der neue „Mister Germany“. Das erreicht zu haben, rührte mich noch auf der Bühne zu Tränen. Es vom hässlichen Entlein zum bewunderten Schwan, vom dicken Jungen zum athletischen Mann gebracht zu haben, das war das eine. Aber der schönste Mann Deutschlands? Wie verrückt war das denn? Alles was ich erlebt und durchgemacht hatte, die endlosen Stunden im Fitnessstudio, nichts davon war umsonst gewesen. Im Interview direkt im Anschluss erwiderte ich auf meine frühere dickliche Figur angesprochen:
»Jetzt ist das Selbstbewusstsein natürlich ganz weit oben, Gott sei Dank. Aber ich denke mal, dass es ja nicht um den schönsten Mann Deutschlands geht, sondern einfach um jemanden, der Ausstrahlung hat, wo es passt – und ich bin mit mir im Einklang. Das ist glaube ich das, womit ich überzeugen konnte.«
Gut gebrüllt, Löwe, das mit dem Selbstvertrauen stimmte definitiv. Sicher hatte es noch attraktivere Gesichter gegeben, der eine oder andere hatte sich noch vehementer für Recht und Frieden in der Welt ausgesprochen, und mein IQ wurde vermutlich auch getoppt. Nichtsdestoweniger hatte ich in den entscheidenden Momenten mit dem besten Gesamtpaket zu überzeugen gewusst.
In meiner Vorstellung gab es nichts mehr, was ich nicht erreichen konnte. Nach insgesamt dreieinhalb Monaten verschärften Trainings war mein Körper wieder in absoluter Topform, und bereits am Morgen danach gingen erste Interviewanfragen von Fernsehsendern und Printmedien ein. Das lief in organisierten und gesitteten Bahnen ab, da die Miss Germany Corporation als federführender Veranstalter auch die Aufgaben meines Managements übernahm. Es war der Gründer Horst Klemmer selbst, der sich mit Sohn und Enkelsohn professionell und engagiert um mich kümmerte. Im Jahr 1979 hatte Klemmer mit seiner „MGC“ bereits die erste im deutschen Fernsehen übertragene Miss-Germany-Wahl veranstaltet – in Rudi Carrells Unterhaltungsshow und Straßenfeger „Am laufenden Band“. Ich war so weit also in besten Händen, trat hier und da auf, Kooperationen wurden initiiert. Gleichwohl waren mir die Herren nie so ganz grün, weil immer sehr am eigenen Profit orientiert. Ein Mister Germany galt als ihr Produkt, nicht als Partner auf Augenhöhe und sollte entsprechend nach ihrer Pfeife tanzen. Anderen mag das im Zuge des Erfolgs nicht so schwer gefallen sein, ich hingegen fremdelte als Freigeist seit jeher mit jeglicher Form der Bevormundung. Auch die Verträge waren für mich nicht immer im Detail nachvollziehbar, und erbetene Erklärungen blieben nebulös. Vielleicht war ich auch nur zu argwöhnisch, weil mir mehr Mitspracherecht und Teilnahme an Vertragsverhandlungen vorschwebte. Mein Bruder stärkte mir als Jurist dahingehend den Rücken, auf Zusendung der Verträge zu bestehen, damit er einen prüfenden Blick darauf werfen konnte. Unter dem Strich gab es zu keinem Zeitpunkt Grund etwas Irreguläres zu unterstellen. Nein, das Verhältnis mit der MGC war einfach nur angespannt. Meine fordernde Art war ihnen zu unbequem, sie wiederum gaben für meinen Geschmack zu sehr den Geheimniskrämer mit verdeckten Karten. Kurioserweise war das Verhältnis zu Horst Klemmer selbst deutlich entspannter. Aber ich glaube, der hatte zu dieser Zeit schon nicht mehr den Hut auf. Von solchen Befindlichkeiten abgesehen, war ich selbstverständlich zu Dank verpflichtet und empfand das auch so.
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