Blut rinnt aus dem Ornat
Was haben die Eidgenossen in diesem Italien verloren? Wozu betreiben sie hier Territorialpolitik, zusammen mit Päpsten, Herzögen und der französischen Krone? Und wie rechtfertigen sie ihre erratische Bündnispolitik? Zu Beginn des Jahrhunderts haben sie sich zu Tausenden dem französischen Heer unter Ludwig XII. angeschlossen, wechseln im Sommer 1512 aber ins feindliche Lager und vertreiben Ludwigs Truppen aus eben jenem Territorium, das sie vor kurzem mit ihnen zusammen eroberten. Und so unerwartet kommt diese Kehrtwendung, dass sich plötzlich Landsleute auf beiden Seiten der Front finden, dass Eidgenossen gegen Eidgenossen kämpfen, in mehreren Gefechten.
Hier ist ein einziges Mass angelegt worden – jenes der Dukaten und Goldkronen. Wo nur mehr das Geld regiert, so klagt Zwingli in einer berühmt gewordenen Predigt, wird Weiss über Nacht zu Schwarz, ist der Feind von gestern dein Bruder von heute, wird aus dem obersten Hirten der Christenheit der gefrässige Wolf, gebärden sich der Papst, die Kardinäle in ihren purpurnen Ornaten als Kriegsherren. «Zu Recht tragen sie rote Hüte und Mäntel, denn schüttelt man sie, so fallen Dukaten und Kronen heraus; windet man sie aber aus, so rinnt deines Bruders, Vaters und guten Freundes Blut heraus.»
Diese Kampfansage an Rom (siehe « Soldbündnis mit Rom) stammt vom Frühling 1521. Ein erstaunlicher Zeitpunkt: Nur wenig mehr als zwei Jahre nach seinem Amtsantritt wendet sich der führende Geistliche der Stadt in aller Deutlichkeit gegen die oberste Instanz der Christenheit und fasst für seine Mitbürger in Worte, was keiner laut zu fragen wagt: Mit welchem Recht rüsten diese christlichen Herren ganze Armeen aus und schicken sie in den Krieg? Und was treibt den «biderben», den aufrechten Eidgenossen an, dass er «nur um des Geldes willen Herrscher unterstützt, denen es gar nicht ansteht, Kriege zu führen, also Bischöfe, Päpste, Äbte und andere Geistliche»? Ganz zu schweigen davon, dass er gegen Entgelt einem beliebigen Auftraggeber hilft, ein schuldloses Land mit Gewalt zu berauben, einzunehmen und zu verwüsten – dass du gelt nimpst und eim frömbden herren hilfst ein ander unverschuldet land gwaltiklich berouben, innemmen, verhergen?
« Soldbündnis mit Rom: Zwingli prediget diser zyt häfftig wider das gälltnemmen; sagt, wie es ein fromme Eydgnoschaft zertrennen und ummkeren wurde. Er redt ouch wider die vereinigungen mitt fürsten und herren, welche, wenn sy gemacht, achtete ein yeder biderman, was zuogesagt, söllte ouch gehallten werden. Dorumm sölle man in kein vereinigungen gan, und wenn gott einem volck hälffe uss vereinigungen, sölle man sich davor hueten und nitt widerum yngan, dann sy kostind vil bluots. Und ich wölt, sprach er, das man durch des bapsts vereinigung ein loch gestochen und dem botten uff den ruggen gäben hätte heym zuo tragen. Er redt ouch das: Ueber ein thierfräsigen wolff stürmpte man und den wolffen, die lüth verderbind, wölle nieman rächt werren. Sy tragind billich rote huet und mäntel; dann schüttle man sy, so fallind duggaten und kronen herus; winde man sy, so ründt dines suns, bruoders, vatters und guoten fründts bluot herus. In summa, wiewol Zwinglin von ettlichen zuogelegt ward, das er dem bapstszug ettwas glimpffet und sich von Keyserischen uffstifften lassen, ists doch kundtbar war, das er kein ding me geschullten und gewert hat. (ZW I, 7, S. 73)»
Zwingli predigte in diesen Zeiten mit Nachdruck gegen das Entgegennehmen von Geld und betonte, dass es die gläubige Eidgenossenschaft spalten und untergraben würde. Er wandte sich auch gegen die Bündnisse mit Fürsten und (anderen) Herren, denn sei man sie einmal eingegangen, so müsse man in der Art aufrechter Männer auch einhalten, was man zugesagt habe. Deshalb solle man keine (solchen) Bündnisse schliessen, und wenn Gott einem Volk aus einem solchen heraushelfe, solle man sich in Acht nehmen und keine neuen eingehen, denn sie kosteten einen hohen Blutzoll. Ich wünschte auch, sprach Zwingli, dass man ein Loch in die päpstliche Bündnisurkunde gestochen und sie dem Boten auf den Rücken geheftet hätte, damit er sie so nach Hause trage. Weiter sagte er, bei einem reissenden Wolf würden Treibjagden veranstaltet, aber niemand wehre sich gegen die Wölfe, die die Leute ins Unglück brächten. Diese trügen zu Recht purpurrote Hüte und Mäntel, denn schüttle man sie, so fielen Dukaten und Kronen heraus; winde man sie aber aus, so rinne deines Sohnes, Bruders, Vaters und guten Freundes Blut heraus. Kurz, auch wenn Zwingli von manchen Leuten bezichtigt wurde, er habe den päpstlichen Feldzug gutgeheissen und sich von den Kaiserlichen anstiften lassen, so ist es doch nachweislich wahr, dass er keine Sache heftiger gescholten und verurteilt hat.
«Böse Sitten»
Das ist eine unverhohlene Kampfansage an die Soldherren jeglicher Couleur. Wie weit kann Zwingli hier auf die Unterstützung durch die Regierung zählen? Und wie stellt man sich auf der Landschaft zu seinem radikal romkritischen Kurs? Ganz bestimmt kann Zwingli mit einem grossen Teil der Geistlichen rechnen, mit dem städtischen Domherrn wie mit dem einfachen Dorfpfarrer. Denn im täglichen Verkehr mit dem Volk erfahren diese Kollegen nur allzu schmerzlich, wie zurückkehrende Reisläufer die Umgangsformen prägen, wie die gewohnten Raufereien in tödliche Messerstechereien ausarten, wie sich Trunksucht und Arbeitsscheu ausbreiten. «Die Unsrigen», so Zwingli, «sind noch nie aus fremden Kriegen zurückgekehrt, ohne ungewohnte Kleidung für sich und ihre Weiber mitzubringen, dazu allerhand Speisen, unmässiges Trinken, neue Flüche. Was sie an Sündhaftem antreffen, das lernen sie gerne, sodass man befürchten muss, mit der Zeit werde man noch schlimmere Laster kennenlernen, wenn man nicht vom Dienst bei fremden Herren ablasse. Auch die weibliche Zucht wird geschwächt und entfernt sich von Gott» (siehe « Böse Sitten).
« Böse Sitten: Die dritt farlikeit ist, das man böss sitten mit frömdem gelt und krieg heimbringt und pflantzet. Das sehent wir eygenlich, dann die unseren nie heim kummen sind us frömbden kriegen, sy habend mit inen etwas nüwes bracht an kleydung ir selbs und irer wybren, an spyss, an tranck unmass, nüw schwuer; und was sy süntlichs sehent, lernend sy gern, also, das ze besorgen ist, lasse man nit von frömden herren, man werde noch schädlichere laster mit der zyt erlernen. Es würt ouch alle frowenzucht dess schwecher und unfrömmer. (ZW I, 10, S. 183) »
Die dritte Gefahr besteht darin, dass man aus dem Krieg zusammen mit dem fremden Geld verderbliche Sitten mit heimbringt und sie dort einreissen lässt. Das erleben wir ganz konkret, denn die Unsrigen sind noch nie aus fremden Kriegen zurückgekehrt, ohne neumodische Kleidung für sich und ihre Weiber mitzubringen, dazu allerhand Speisen, unmässiges Trinken, neue Flüche. Was sie an Sündhaftem antreffen, das lernen sie gerne, sodass man befürchten muss, mit der Zeit werde man noch schlimmere Laster kennenlernen, wenn man nicht vom Dienst bei fremden Herren ablasse. Auch die weibliche Zucht wird geschwächt und entfernt sich von Gott.
Das spricht manch einem geistlichen Herrn aus dem Herzen. Was die städtische Obrigkeit angeht, so dominieren im Augenblick die liberalen und reformwilligen Kräfte. Mit der vorgesehenen Aufhebung der Klöster tun sich die wenigsten schwer: Allzu verlockend ist die Aussicht auf den massiven Zuwachs an Grundbesitz, Rechten und Abgaben, mit dem die Stadt rechnen kann. Daneben gibt es einen konservativen Kern alteingesessener Geschlechter. Hier findet man sich nur widerwillig mit dem Reislaufverbot ab; vor allem verzichtet man nur ungern auf die Pensionsgelder. Denn nach wie vor erhalten angesehene Ratsherren regelmässige Zuwendungen von Seiten des Papstes, der französischen Krone oder anderer Parteien. Die Zielvorgabe: Die Empfänger dieser Pensionen oder Jahrgelder sollen als eine Art Lobbyisten die Interessen des jeweiligen Geldgebers vertreten; hauptsächlich geht es um die Anwerbung von Söldnern. Wie im Umgang mit Schmiergeldern üblich, werden die Beträge sehr diskret übergeben, was manchen Lobbyisten erlaubt, gleich mehrere Geldquellen aufs Mal anzuzapfen …
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