Hans Peter Treichler - Zwinglis gefährdetes Erbe

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Zwingli steht für grundlegenden Wandel – aktiv vorangetrieben mit Worten und Taten. 1519 trat Ulrich Zwingli das Leutpriesteramt am Grossmünster an und läutete die Reformation ein. Innerhalb kurzer Zeit wurden auf dem Zürcher Stadt- und Landgebiet Klöster säkularisiert, das Zölibat aufgehoben, der Solddienst verboten und das Armenwesen erneuert.
Die Reformation veränderte die wirtschaftlichen Voraussetzungen des Stadtstaates, der neue Glauben trug zu Zürichs Stellung als führender Wirtschaftsmacht bei. Doch bald waren einige der Errungenschaften gefährdet.
«Zwinglis gefährdetes Erbe» beleuchtet den Zürcher Alltag der Reformationsjahre. Die Aufhebung der Klöster, das Soldwesen und die Währungssysteme kommen ebenso zur Sprache wie die Stellung der Frau, das Almosenwesen oder Zwinglis Schreib- und Redeweise.

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Hans Peter Treichler

ZwinglisgefährdetesErbe

Hans Peter Treichler

ZwinglisgefährdetesErbe

Reformation undGeldwesen

Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich

derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und

der elektronischen Wiedergabe

© Conzett Verlag 2019

Gestaltung Inhalt: Caro Krieger

typocake.ch, Pullach

Gestaltung Umschlag: Claudia Neuenschwander

Atelier werkk.ch, Zürich

Lektorat: Ursula Kohler

ursulakohler.ch, Zürich

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim,

www.brocom.de

ISBN 978-3-03760-048-1

conzettverlag.ch

Inhalt

Vorwort

1.Zürich um 1500

2.Solddienst

3.Im Sinn des Allmächtigen: Verweltlichung der Klöster

4.Vom Umgang mit Schätzen

5.Schrittmacher aus dem Süden: die Locarneser Flüchtlinge

6.Geld im Alltag

7.Umschichtung der Werte: Arbeit und Almosen, Zeit und Geld

8.Frauenrollen, Frauenwelten

9.Aberglaube, Hexenwahn

10.Schlusspunkt: Zwinglis Rede, Zwinglis Schreibe

Nachweise Bild und Text

Bibliografie

Über den Autor

Vorwort

Zwingli steht für grundlegenden Wandel und Umbruch – aktiv vorangetrieben durch Worte und Taten. Innerhalb einer unglaublich kurzen Zeit, zwischen 1519 und 1525, wurden auf dem Zürcher Stadt- und Landgebiet Klöster säkularisiert, das Zölibat aufgehoben, der Solddienst verboten und die Armenfürsorge der öffentlichen Hand übertragen. Dies nur einige der Neuerungen, welche die erste Generation an Reformatoren in den Alltag der Leute getragen hatte.

Doch bald waren einige dieser Errungenschaften gefährdet. Die Armenfürsorge und das Verbot der Reisläuferei wurden unterwandert und ins Gegenteil verkehrt … wegen Mangel an Geld. Der anfänglich idealistische Entscheid, die Einkünfte aus der Klosterenteignung vollauf zur Bekämpfung der Armut und für die Bildung einzusetzen, wurde verwässert. Klostereinkünfte kamen auch für andere Projekte zum Einsatz und die Fürsorge, das gesamte Almosenwesen, führte zu einem aufgeblähten Beamtentum. Das allgemeine Verbot des Solddienstes hielt sich kein Jahrhundert lang: Bereits um 1610 wurde es wieder aufgehoben.

Im MoneyMuseum interessieren wir uns vor allem für den Zusammenhang zwischen diesen grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen und dem neu aufgekommenen Geldwesen. Um diese Zusammenhänge aufzeigen und nachvollziehen zu können, ist gutes Quellenmaterial notwendig. Hans Peter Treichler hat uns mit dem vorliegenden Buch eine spannend geschriebene Quellengrundlage geschaffen, wofür wir ihm herzlich danken. Diese wollen wir im MoneyMuseum dazu verwenden, eine noch wenig bekannte Geldtheorie anschaulich zu vermitteln.

Heidi Lehner und Jürg Conzett

Sunflower Foundation/MoneyMuseum Zürich

Abbildung 1 Sie verbindet Gross und Fraumünster und schliesst gleich noch die - фото 1

Abbildung 1

Sie verbindet Gross- und Fraumünster und schliesst gleich noch die Wasserkirche mit ein. Die Zürcher Münsterbrücke ist so etwas wie die geistliche Schlagader der Stadt.

1

Zürich um 1500

Mit der Kirchenreform der 1520er-Jahre schlägt Zürichs Bevölkerung das wichtigste Kapitel der neueren Schweizer Geschichte auf. Die Reformation bringt – auf Kosten der nationalen Einheit – neue Impulse für Wissenschaft, Handel und Industrie. Der erbitterte Kampf der Reformatoren gegen den Ablass und gegen die Fremden Dienste hat unerwartete Folgen. Wo Seelenheil und Menschenleben zur handelbaren Ware zu verkommen drohen, drängt sich eine neue Sicht auf die Beziehungen zwischen Geld, Arbeit und Ware auf.

Monza, 5. September 1515. Ein grosser Teil der eidgenössischen Streitkräfte hat sich versammelt in Monza – ein schöne, hüpsche Stadt vor den Toren Mailands. Die Stimmung ist angespannt, Aufwiegler mischen sich unter die Truppen, auch unter den Hauptleuten weiss niemand so recht, wie es weitergehen soll. Zieht man nun dem Feind entgegen, kommt es zur Schlacht gegen die Franzosen? Oder tritt man den Rückmarsch in die Heimat an, so wie ein grosser Teil der Berner Truppen? Vielleicht weiss der Feldprediger der Glarner mehr, der für diesen Samstag eine Rede vor dem Palazzo Arengano angekündigt hat, an offner gass beim koufhus . So findet sich denn viel Kriegsvolk zu dieser Predigt unter freiem Himmel ein, darunter der Zuger Chronist Werner Steiner, unser Augenzeuge. Was genau der Glarner Kilchherr vorbringt, überliefert zwar auch er nicht. Er weiss nur: Hätte man auf die Worte dieses Ulrich Zwingli gehört, wäre der Eidgenossenschaft grosses Unheil erspart geblieben. Leider ist dies nicht der Fall: wer aber nit glaubt, der erfarts mit sinem schaden, als unss geschehen ist . Der muss es auf die harte Tour lernen, so wie es uns widerfahren ist.

Von Glarus nach Monza

Denn einige Tage später, am 13. und 14. September, erleiden die eidgenössischen Streitkräfte eine vernichtende Niederlage. Die Schlacht von Marignano endet mit dem Rückzug eines auf die Hälfte reduzierten eidgenössischen Heers. Um die 10‘000 Gefallene sind zu beklagen – eine verheerende Katastrophe für ein Land, das kaum zwei Millionen Einwohner zählt!

Beim Konflikt in Norditalien stehen sich der Papst, der deutsche Kaiser, der französische König und die Fürsten der umliegenden Kleinstaaten gegenüber. Sie sind die Hauptakteure in einem seit Jahren umkämpften Krisengebiet, das durch die Ansprüche der französischen Krone zum europäischen Brandherd geworden ist. Von der unsicheren Rechtslage, die seit Jahrhundertbeginn besteht, profitieren auch die Eidgenossen. Sie haben grosse Teile des Tessin unter ihre Herrschaft gebracht und erheben Ansprüche auf das Veltlin und das Livinental. Zu jedem Zeitpunkt sind ihrer vier- bis sechstausend irgendwo in der Lombardei oder dem Piemont unterwegs, bald als Söldner im Dienst des Papstes oder des französischen Königs, bald – so wie in Marignano – als eigenständige Partner in einer antifranzösischen Koalition.

Zu diesen Truppen gehört auch ein Teil des Glarner Auszugs, der in diesem Spätsommer 1515 in drei «Fähnchen» zu je etwa 150 Mann aufgebrochen ist. So wie zwei Jahre zuvor, als der Papst um eidgenössische Hilfestellung bat, reist Zwingli mit. Trotz aller Abneigung gegen den Solddienst erachtet es der Kilchherr als Pflicht, seine Schäfchen als Feldprediger zu begleiten. 1513, anlässlich der Schlacht von Novara, erlebt er zum ersten Mal die grauenvolle Wirklichkeit des Schlachtfelds mit und wird vollends zum erbitterten Gegner des Prinzips «Geld gegen Menschenleben». Dass er an diesem Samstag in Monza seinen Landsleuten diesen blutigen Spiegel vorhält und sie zur Rückkehr auffordert – darüber besteht kein Zweifel.

Glücksfall

Ulrich Zwingli spielt in dieser Darstellung eine zentrale Rolle – Grund genug, seinen Lebenslauf bis zur Berufung nach Zürich wenigstens zu skizzieren. Seine Biografie ist Dutzende Male geschrieben worden, in volkstümlich-knapper Form, als vierbändige eingehende Studie, als Ausgangspunkt für eine Chronik der Reformation in der Schweiz. In zwei Dingen sind sich alle Darstellungen einig: Seine Herkunft aus einer bäuerlichen Familie als «Bub aus dem Volk» und seine eminente sprachliche und rhetorische Begabung tragen ganz wesentlich zu einer erstaunlichen Laufbahn bei. Diese macht ihn als Mittdreissiger zum Anführer der wichtigsten geistesgeschichtlichen Strömung seiner Zeit und führt ihn 1531, als Opfer seiner eigenen Politik, mit 48 auf dem Schlachtfeld von Kappel in den Tod.

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