Warum die Reederei dies dann aber wissen wollte, war mir ein Rätsel. Befürchteten sie, wir seien zu schwer und könnten sinken, dann sollten sie wohl eher bei den Koffern der Frauen Gewichts- und Mengenbeschränkungen verhängen.
Kurz vor Reiseantritt erhielt ich per Mail die Auskunft der Reederei, dass das Formular nur eine Fleißarbeit war.
Wütend trat ich nach einem Polster, unter welchem sich unfairerweise die Bauklötze versteckten und brach mir prompt zwei Zehen. Na großartig, dachte ich mir, ade Glitzerpumps!
Mein Mann nahm sich das tadelnde Gespräch meiner Mütter-Freundinnen zu Herzen und nervte mich mehr, statt dass er mir half, mit lästigen Kommentaren. »Wenn ich jede Boxershorts wende, kann ich sie zweimal tragen, und wenn das Wetter mitspielt, kann ich sie sogar ganz weglassen.«
Böse starrte ich ihn an und versuchte, ihm zu verstehen zu geben, dass es besser war, doch keinen Beitrag zu leisten.
»Schon gut, ich wollte dir nur beim Platzsparen helfen, damit mehr High Heels und Glitzershirts in den Koffer passen.«
Leider war nur das Polster in Reichweite. Wütend schleuderte ich ihm dieses an den Kopf und wünschte, es wären die Bauklötze.
Belustigt beobachtete er mich beim Kofferpacken, murmelte unnötige Bemerkungen wie »Ich weiß schon jetzt, dass die Hälfte davon nicht getragen wird« und öffnete sich geräuschvoll ein Bier.
»Man muss auf alles vorbereitet sein. Stell dir vor, den Kindern wird schlecht, und wir haben zu wenig Klamotten mit.«
Was für eine Katastrophe, dachte ich mir und erntete sogleich einen spöttischen Blick meines Mannes.
»Dann kann ich das Reise-Taschengeld ja beruhigt kürzen. Shopping wird also nicht notwendig sein, wenn wir genug Klamotten mithaben«. Entsetzt starrte ich ihn an.
Ehe ich entrüstet etwas entgegnen konnte, wandte er sich lachend ab und provozierte mich damit noch mehr. »Ich geh schlafen.«
»Wenn ich zehn Milchflaschen pro Tag einpacke, müssten wir doch durchkommen«, entriss ich ihn unsanft aus dem Land der Träume.
»Weißt du, wie spät es ist?«, antwortete er schlaftrunken.
»Halb vier morgens«, kam meine Antwort, und die ursprüngliche Frage wiederholte ich im selben Atemzug.
»Ja, sicher, du machst das schon«, war seine Reaktion darauf, und er rollte sich dabei auf die Seite, um weiterzuschlafen.
Wütend schnaufend schleuderte ich ihm entgegen: »Immer schiebst du die ganze Verantwortung auf mich ab, aber beschwere dich dann nicht, wenn etwas fehlt!« Damit war diese Unterhaltung beendet, und im selben Augenblick schlief mein Mann wieder ein.
Am nächsten Morgen, dem Tag der Abreise, sah mein Mann ungläubig auf die Anzahl der Koffer und Taschen. »Was ist da alles drin?« Schockiert musterte er mich.
Achselzuckend erwiderte ich: »240 Windeln, 130 Flaschen trinkfertige Milch, Abendkleider, Freizeithosen, Kindershirts, Blusen, High Heels.«
»Und ist auch irgendwas für mich dabei zum Anziehen?«, fragte er irritiert.
Belustigt antwortete ich: »Ja, stell dir vor, diesmal gilt das Motto Family Matching !«
Niedergeschlagen gab sich mein Mann geschlagen. Dies war mein kleiner Sieg, weil er zu faul gewesen war, sich einzubringen und mir zu helfen. Ich wusste genau, woran er in diesem Moment dachte, und musste laut lachen.
Unweigerlich musste ich auch an das Babybauchshooting unserer Tochter denken. Ich hatte ein pinkes Umstandskleidchen getragen und mein Mann, Family-Matching-like, ein pinkfarbiges Poloshirt. Vom Bauchumfang her war nur schwer erkennbar, wer denn nun das Baby bekommen würde. Das war schon ein besonderer Augenblick gewesen. Die Fotos danach in Händen zu halten hatte diesen magischen Moment zerstört. Von unten zu fotografieren, war ein absolutes No-Go, das wusste doch jeder. Und so lächelten uns auf den Bildern zwei pinke Walrosse an, mit Doppelkinn und voluminösen Bäuchen.
Hamburger essen mit Möwen
Das ist also groß, dachte sich unsere Tochter, wandte sich mir zu und meinte: »Groß trifft es nicht einmal annähernd. Papa ist groß, aber dieses Schiff, das ist doch um so vieles größer als Papa. Es muss also riesig sein!«
»Ganz schön respekteinflößend«, stimmte ich zu.
Mit großen Augen blickte sie mich an.
Etwas verwirrt rätselte sie um die Bedeutung des Wortes und erwiderte dann: »Ich habe keine Ahnung, was dieses Wort bedeuten soll, aber du sprichst es so geheimnisvoll aus, dass es wohl stimmen muss!«
Gemeinsam gingen wir zum Bug. Vorsichtig tastete meine Kleine nach meiner Hand und drückte sich verschreckt an mich. Ängstlich schaute sie zum Schornstein hoch und sagte mit tiefer Stimme: »Es ist so unglaublich respekteinflößend.«
Schnell ein paar Erinnerungsfotos, und schon drängte Papa zum Weitergehen: »Kommt, wir sehen uns das Heck an, und ich zeige euch die Rattenbleche.«
Unweigerlich zuckte ich bei dem Wort »Ratten« zusammen. Wie ich diese Tiere verabscheute, übrigens alles, was kleine spitze Nagezähne hatte und piepsende Geräusche machte.
Verschmitzt lächelte mich meine Tochter an, wusste sie doch über meine Abscheu gegenüber diesen Tieren Bescheid. Auch machte sie sich immer lustig darüber, wenn ich kreischend auf die nächsthöhere Anhöhe kletterte, sobald mir eines dieser Viecher begegnete.
»Siehst du hier dieses kreisförmige Blech?« Mein Mann zeigte auf eine runde Blechscheibe mit circa einem Meter Durchmesser und einem Schlitz vom Rand zur Mitte, welche auf der Festmacherleine steckte. »Das ist ein Rattenblech.« Dann zeigte er auf den Schlitz und erklärte: »Nach dem Aufstecken zeigt der Schlitz nach unten. Wäre es andersrum, könnten die Ratten einfach über die Festmacherleine hinauf ins Schiff klettern. So aber können sie nicht weiter und müssen wieder umkehren.«
Erleichtert nickte ich, als ich registrierte, dass mein Mann diese beschwichtigenden Worte gleichermaßen an mich wie an unsere Tochter Viktoria gerichtet hatte, welche seinen Ausführungen mit glänzenden Augen und offenem Mund interessiert gelauscht hatte.
»Du musst keine Angst haben«, sagte sie schließlich zu mir. »Ich beschütze dich vor Ratten und Mäusen, sollten doch welche auf das Schiff hinaufklettern.« Nun strahlte sie mich an und schickte mir einen Kuss.
Aufgeregt ging mein Mann im Stechschritt weiter. Kichernd beobachteten wir ihn dabei, wie er immer ein ausgetrecktes Bein hoch anhob, es vor das andere setzte und dabei vor sich hinmurmelte. »270, 271, 272, 273, 274, hm … Also nicht ganz 275 Meter ist unser Kreuzfahrtschiff lang«, verkündete er strahlend.
Ein freundlicher Mann in einer blau-weißen Uniform kam auf uns zu. An seiner Hand hielt er ein Mädchen mit langen braunen Zöpfen, die bei jedem Schritt lustig wippten. Wichtigtuerisch verwickelte mein Mann diesen in ein Gespräch. Fachsimpelnd plusterte er sich auf und bekundete seine Liebe zu Schiffen und dem Meer. »Und wie viele Passagiere können auf das Schiff?«, fragte mein Mann eifrig, wohlwissend, wie viele Platz hatten.
»Es sind ganz genau 2679 Passagiere, und dann kommen noch 721 Besatzungsmitglieder hinzu, nicht eingerechnet die blinden Passagiere wie etwa Ratten.« Der Fremde lachte ein tiefes freundliches Lachen, das ansteckend wirkte.
Bleich vor Ekel verzog ich angewidert das Gesicht.
Das bemerkte auch der freundliche Mann, welcher sich als Reyner vorstellte, ein gebürtiger Philippine, dessen echten Namen niemand aussprechen konnte, weshalb er ihn eingedeutscht hatte. Schnell beeilte er sich, mich zu beschwichtigen.
»Deine Mama braucht keine Angst zu haben, mein Papa macht nur einen Spaß«, erklärte Reyners Tochter Sophie an Viktoria gewandt. Ihre Mutter war Deutsche und arbeitete ebenso auf dem Schiff. Ich schätzte das Mädchen etwa ein Jahr älter als unsere Viktoria. Zu meiner Überraschung erfuhr ich im weiteren Gespräch, dass dies bereits Sophies vierte Kreuzfahrt war. Die restliche Zeit wuchs sie bei ihrer Oma auf. Traurig stellte ich mir vor, wie es sich anfühlen musste, monatelang von meiner Tochter getrennt zu sein, spürte aufkeimende Schwermut und schob den Gedanken sofort wieder weg.
Читать дальше