Ein heftiges Nicken folgte. »Und kannst du dich noch an die Geschichte mit den Zauberbohnen erinnern, die dann in den Himmel wachsen, und in den Wolken befindet sich die Welt der Riesen?«
Auch jetzt bejahte sie strahlend. »Das ist aber hoch.« Sie lächelte, denn der Vergleich gefiel ihr anscheinend.
Ein zufriedener Seitenblick auf meinen Mann wurde sofort mit einer hochgezogenen Augenbraue seinerseits und einem verachtenden Kopfschütteln abgetan. Mit einem Räuspern wollte er zu einer Richtigstellung ansetzen, dass selbst tiefe Wolken bis zu zwei Kilometer von der Erde entfernt seien, gar nicht erst zu sprechen von hohen Wolken, die eine Entfernung von bis zu dreizehn Kilometern aufweisen können. Mit einem bösen Blick brachte ich ihn sofort zum Schweigen und griff meine Urlaubsvorbereitung wieder auf.
Vollbepackt reisten wir mit dem Auto bis Genua, welches zugleich auch unser Einschiffungshafen war. 987 Kilometer würden wir zurücklegen, und dafür würden wir rund zehn Stunden brauchen, nicht eingerechnet die ständigen Pausen, um quengelnde Kinder zu beruhigen, oder Besuche in diversen Raststätten zum Befriedigen der Grundbedürfnisse.
»Aber ein Flugzeug ist doch viel schneller«, kam der Einwand von Viktoria, womit sie natürlich recht hatte.
»Bevor ich fliege, springe ich noch eher in ein Becken voller Haie, das ist bei Weitem ungefährlicher!«, murrte mein Mann und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich brach in schallendes Gelächter aus und lachte solange, bis mir der Bauch wehtat und mir Tränen über die Wangen liefen. Atemlos erklärte ich ihr, dass Papa, der Techniker, wusste, wie man Schiffe und Flugzeuge baute, so eine Angst hatte, dass er niemals in seinem Leben freiwillig in ein Flugzeug steigen würde.
»So ein Schisser«, sagte Viktoria daraufhin, drehte sich um und verließ das Zimmer.
»Das hat sie eindeutig von dir«, kicherte mein Mann gespielt bestürzt.
Und jetzt brachen wir beide in Gelächter aus. Dieses Wort aus dem Mund unserer kleinen Tochter zu hören, erheiterte dann auch meinen Mann, und für kurze Zeit vergaß er seine Flugangst.
Ist es wirklich so?«, fragte ich mich, »kann man eindeutig sagen, wem die Kinder mehr ähneln?«
Nach der allgemeinen Aussage der 60+-Gesellschaft zu beurteilen, scheinbar ja.
»Wie süß, ganz der Papa!« Wie ich diese Aussage hasste.
»Nein«, wollte ich dann jedes Mal den in den Kinderwagen guckenden Omas ins Gesicht schleudern. »Seid ihr denn alle blind?«, brüllte es tief in mir drinnen, während die Wut hochkochte und mein Gesicht dunkelrot einfärbte.
»Ach, meine Liebe, Sie müssen doch nicht rot werden«, lächelten sie mich an und tätschelten mir dabei den Arm.
»Ich hätte mir diesen feschen Kerl auch geschnappt und Kinder mit ihm gemacht. So süß die zwei Kleinen, ganz der Papa!«
Es war sinnlos, die Fakten auf den Tisch zu legen und sie vom Gegenteil zu überzeugen. Ganz abgesehen von ihren schlechten Augen hatten sie auch keinen Funken Empathie.
Ich errötete nicht vor Scham, sondern aus Wut und Verzweiflung, weil sie einfach nicht verstanden, dass es keine Mutter gerne hörte, dass die Schöpfung scheinbar ihre DNA vergessen hatte.
Zumindest war es wissenschaftlich bewiesen, dass die Intelligenz der Mutter auf das Kind überging, beruhigte ich mich selbst. In unserem Fall würde mein Mann sagen: »Die ›überkreativen-vor-Allgemeinwissen-strotzende-Genies‹ werden es später einmal als ›belehrungsresistente Mathematik-Antigenies‹ schwer haben.«
Das rieb er mir schon seit Jahren unter die Nase, weil ich selbst für die simpelsten Kalkulationen einen Taschenrechner brauchte, aber aus den einfachsten Dingen wahre Kunstwerke schaffen konnte.
Ich wiederum fand, dass es einen im Leben weiterbrachte, wenn man solche wichtigen Informationen wusste, wie etwa, dass Jakutsk die kälteste Großstadt der Welt war. Aber einem Small Talk-Verweigerer mit ausgeprägter Vorliebe für Social Distancing dies näherzubringen, war sinnlos, da es ihm schlichtweg egal war.
Ich betrachtete meine zwei Blondschöpfe, die eine perfekte Miniatur-Abbildung von mir selbst waren. Meine eigene Persönlichkeit spiegelte sich in jedem ihrer Atemzüge wider: stur oder anders gesagt beratungsresistent, ständig am zurückreden oder mit anderen Worten: kommunikativ, chaotisch oder besser sehr kreativ. Mit gutem Gewissen konnte ich also sagen, dass meine Genetik dominierte.
Ich betrachtete die kleinen Versionen meines Ichs, streichelte Viktoria und Bruno über den Kopf, während ich triumphierend lächelte und ihnen zuflüsterte: »Ich habe euch lieb, Mini-Me.«
Koffer packen für Perfektionisten
Der Vorteil einer überperfektionistischen und durchorganisierten Ehefrau ist: »Mann« muss sich um nichts kümmern«, prahlte mein Mann bei einem Abendessen mit Freunden und lehnte sich dabei entspannt zurück. »Meine einzige Aufgabe besteht darin, das Geld für die Reise zu erwirtschaften, ein nicht zu knappes Reise-Taschengeld zur Verfügung zu stellen und die wochenlangen Selbstgespräche meiner Frau zu ertragen«, fuhr er fort und aalte sich in Selbstmitleid.
Während sich die Männer, allesamt Väter und in ihren Augen hart arbeitende Alphatierchen, zu kurzen Bestätigungslauten zwischen Bierschlucken hinreißen ließen, war meine Freundin Julia ein lebendig gewordenes Modell der nonverbalen Gesprächstheorie. Weit über den Tisch gebeugt verfolgte sie mit schräg gelegtem Kopf seine Ausführungen. »Wochenlange Selbstgespräche«, echote sie, dabei war ihre Anspannung deutlich sichtbar.
»Du meinst also, du leistest genug bei den Reisevorbereitungen?«, paraphrasierte auch Marie, Mutter von drei Mädchen, und strafte meinen Mann sowie ihren mit einem vernichtenden Blick.
Leidensgenossinnen unter sich, dachte ich mir, und warf beiden einen aufmunternden Blick zu.
»Natürlich«, konterte mein Mann, völlig ahnungslos und frei von jeglicher Schuld, »ich lehne mich einfach zurück und warte auf den Startschuss, dass ich das Auto packen kann.«
»Und während deine Frau bügelt, packt und organisiert, bespaßt du die Kinder, damit sie an diesem Punkt entlastet ist?«, platzte Marie wild gestikulierend heraus.
Julia pflichtete ihr unter starkem Kopfnicken bei. Dabei fixierte sie die Männer mit ihren durchdringenden grünen Augen, während sie angriffslustig die Unterlippe vorschob.
Darauf wusste dann keines der Alphatierchen etwas zu erwidern. Stattdessen stießen sie mit ihrem Bier an und diskutierten die Sportergebnisse der letzten Woche.
Frustriert blickten wir Frauen uns an. Wie schön, dass es in jeder Familie so ablief, dachte ich mir und lehnte mich zurück.
Abends fragte ich dann zum gefühlt hundertsten Mal: »Meinst du, es war richtig, die Reise zu buchen?«
»Ja, Schatz, das haben wir doch schon besprochen.«
Die nachfolgende Erklärung, welche zur Beruhigung meiner Nerven dienen sollte, mich aber nie wirklich zufriedenstellte, endete immer mit derselben Frage meinerseits. »Du weißt doch, er ist ein Schreibaby. Glaubst du, sie können uns des Schiffes verweisen, wenn er zu viel weint?« Bei dem Gedanken daran zitterte meine Unterlippe. Die Augen wurden wieder einmal glasig, doch mein Mann hatte sofort ein gutes Argument dagegen: »Kreuzfahrtschiffe sind deshalb ideal, da sie über das weiße Rauschen verfügen, und jedes Baby findet sofort in den Schlaf.« Dabei senkte er seine Stimme, raunte mir diesen Geheimtipp zu und betrachtete mich mit einem selbstgefälligen, allwissenden Blick.
Diese Antwort brachte er jedes Mal. Ich nahm sie hin, hoffte darauf, dass er recht hatte, und langsam versiegten meine innere Unruhe und Anspannung.
Gewissenhaft las ich mich in das Formular für besondere Bedürfnisse ein, welches verpflichtend auszufüllen war, reiste man mit Babys oder Kleinkindern, wie mir die nette Dame vom Kundenservice mitgeteilt hatte. Ich saß über der Liste und arbeitete sie akribisch ab, während mir mein Mann kopfschüttelnd zusah. Jede einzelne Milchflasche, jedes Päckchen mit Grießbrei, jedes Gläschen mit Mittagsbrei und sonstige Lebensmittel wie Babykekse oder Maisstangen mussten genau abgezählt, verwogen und im Formular eingetragen werden, da dies auf dem Schiff weder in Restaurants angeboten wurde noch käuflich erworben werden konnte.
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