Schließlich mussten sie selbst grobstoffliche Nahrung, wie Getreide anbauen und zu sich nehmen, um leben zu können, und ihre Wünsche wurden mehr. Die Lebenszeit sinkt im eisernen Zeitalter auf hundert Jahre. Die Menschen erfinden Waffen, töten sich damit gegenseitig, und sie töten Tiere, um von ihrem Fleisch zu leben. Selbstsucht und gehirnliche Denkfähigkeit entwickeln sich, und der Anspruch, etwas allein zu besitzen, wird mit der Waffe und als das »Recht des Stärkeren« verteidigt.
Akzelerierend dominiert schließlich ein ständiges Denken, Wünschen und Handeln, ein fortwährendes Erfinden, Erwerben und Wegwerfen, Bauen und Wiederzerstören im »Menschheitstraum« dieser ehernen Zeit; und immer unruhig, strebend und arbeitend, müht sich der listenreiche Mensch, sich die Welt untertan zu machen und die äußere Natur zu unterwerfen und zu »verbessern«.
Die Lehre von den vier Zeitaltern erzählt vom Urzustand des Menschen als Zustand der Vollendung und Zufriedenheit und von seiner »Evolution« als Degeneration, als stufenweiser Verfall und Verlust seiner höheren Fähigkeiten und Tugenden. Das heißt, sie stellt dar, wie der Mensch im Außen suchend und immer weiter fortschreitend zwar vieles findet und sich aneignet, sich selbst und seine Einheit mit der Natur dabei aber immer mehr vergisst und, von selbstgeschaffenen Ketten und Zwängen gebunden, in heilloser, destruktiver Tätigkeit am Ende sogar die Welt und damit die Grundlage seiner physischen Existenz und die seiner Kinder zerstört.
Die Hybris des menschlichen Strebens, angetrieben von Begehrlichkeit und gestützt von einem listigen, aber kurzsichtigen Verstand, war den lebensweisen Menschen der Antike so sehr bewusst, dass sie deren unheilsame Folgen in Parabeln wie in der des Ikaros, des Prometheus, des Sisyphos und des Tantalos darstellten und als ein Caveat in ihre volkstümlichen Erzählungen flochten. So konnte man sich ihrer, als eines abschreckenden Beispiels, immer wieder erinnern und eine gute Lehre daraus ziehen. Über die Dummheit des Königs Midas machte man sich gern lustig, welcher einen Wunsch frei hatte und sich in seiner Besitzgier wünschte, dass alles, was er berühre, zu Gold werden möge – und dann erst erkannte, dass man Gold nicht essen kann.
Vergeblich und eitel, Vanitas ist das Sichmühen des Menschen, der Glück und Erfüllung in vergänglichen Dingen sucht und der wie Sisyphos, gleichzeitig die Vergänglichkeit, das göttliche Gesetz der Natur nicht wahrhaben will, dagegen ankämpft und ihm zuwiderhandelt. Er kämpft mit seiner Schläue gegen die Natur und gegen den Tod, doch erkennt er nicht, dass gerade, weil er sein Leben festhält, er dieses immer wieder schmerzlich verlieren muss. Obwohl er sich so sehr müht, etwas zu erwerben, und das Erworbene festhält mit aller Kraft, wird ihm das so schwer Erreichte und Erworbene doch immer wieder entgleiten wie dem Sisyphos sein Fels.
Er leidet daran, und doch kann er seine Last und unruhig gespannte Tätigkeit von Körper, Rede und Geist nicht lassen. Alles ist Mühe an ihm, aber sein Mühen ist vergeblich und endet seine Schmerzen nicht, denn an etwas anhaften, das seiner Natur nach vergänglich ist, erzeugt notwendigerweise Angst vor Verlust und viele andere Leiden.
Sisyphos ist nicht durch die Götter verdammt, sondern durch sich selbst. Er selbst kann nicht loslassen, will noch nicht loslassen und leidet an seinem Widerstand gegen die Natur und an seiner selbstauferlegten Last. Niemand wird sie ihm nehmen, wenn er sie selbst noch behalten will – so ist es eingerichtet, dass ein jeder für sich selbst erkennen soll, was sein Tun für Folgen hat, und selbst spüren, ob er genug getan und nun bereit zur Ruhe ist.
Wenn der Mensch aber bereit ist, lässt er los; und wenn er sich nicht mehr selbst bindet, ist er frei. Frei und unsterblich sind wir dann, denn nur wegen unseres Festhaltens ist es, dass wir einen materiellen Körper haben, der dem Tod unterworfen ist.
Sei es durch Enttäuschungen oder eine direkte Begegnung mit dem Tod in der Verwandtschaft oder im Kreis der Freunde und Bekannten oder ohne ersichtlichen Anlass von innen her, von der Stimme im eigenen Herzen erweckt – ich glaube, jeder Mensch beginnt sich irgendwann im Laufe seiner persönlichen Entwicklung zu fragen, ob seine Bemühungen um vergängliche Objekte und weltliche Ziele über das nötige Maß hinaus überhaupt sinnvoll sind. Er beginnt mit Recht zu zweifeln, ob sie das Glück, die Erfüllung und Zufriedenheit, die er in ihnen sucht und sich wünscht, wirklich geben können; und vom ständigen Wiederholen derselben Erwartungen und Handlungen frustriert, versucht er, deren Sinn und Wirkung zu verstehen. Vielleicht wird auch er dann ein Suchender nach Wahrheit, einer, der sein Leben und Tun infrage stellt und beginnt, das Treiben und Denken, das Wünschen und Fürchten in sich selbst zu beobachten.
Im Menschen denkt ja der Geist über sich selbst nach und versucht, sich selbst zu verstehen und zu erkennen. Das ist das eine, und wir suchen mit unserem Denken im Außen und in vielerlei Schriften nach Antwort.
Das andere ist, dass wir um der Wahrheit willen schließlich über Denken und Philosophie hinausgehen und in unseren stillen Meditationssitzungen lernen, das Kommen und Gehen unserer Gedanken zu beobachten, ohne auf diese zu reagieren. Dadurch erkennen wir nach und nach deren Qualität und Natur und entdecken den Zustand reiner Präsenz, frei von allen Gedanken. In der Stille reinen Erkennens ruhend, erfahren wir Sinn und Sein als eins. Wir ruhen dann im unaussprechlichen Sinn, wie es im Dzogchen genannt wird.
Es ist nicht einfach, sich aus der Bezauberung durch die Vielfalt der eigenen Wahrnehmungen und die sie begleitende Trance des begrifflichen Denkens zu befreien. Es ist, wie der erste Patriarch des Zen in China Bodhidharma sagte, das schwerste und gleichzeitig sinnvollste Werk, das ein Mensch vollbringen kann.
Die Träume des Mikrokosmos Mensch steigen aus den Tiefen seines Unterbewussten auf, in dem die Spuren all seiner früheren Erfahrungen und Handlungen mit ihrem Wohl und Wehe gespeichert sind; und er hat schöpferisch und leidend Anteil am Traum des Makrokosmos, am Traum der gesamten sichtbaren und unsichtbaren Universen, die ihrerseits aus dem kollektiven Speicherbewusstsein aller Wesen entstehen und von ihrem Denken aufrechterhalten werden.
Dem Buddhismus nach erscheint ein jeder Traum, der ja nur aus dem Lebenslicht des eigenen Geistes gebildet ist, als Ausdruck eines bestimmten Denkens und Wollens und einer Sehweise, welche normalerweise selektiv und völlig von früheren Gewohnheiten konditioniert ist. Einstein formulierte eine Erkenntnis aus seinen Forschungen mit den Worten: »Die sogenannte Realität ist eine Illusion, wenn auch eine hartnäckige.«
Wir sind in der Begegnung mit unserer eigenen Vision genauso eingeschränkt und verblendet wie in unserer Begegnung mit der Welt da draußen, die wir fälschlich für wirklicher halten als unsere Vision im Traum.
Zum besseren Verständnis will ich einen Traum erzählen, den ich vor vielen Jahren hatte und der mir manchmal einfällt, weil er sehr signifikant war. Ich träumte, in einem weiten, leeren Raum zu schweben, als plötzlich eine große Kugel neben mir auftauchte. Sie war etwas kleiner als einer dieser Heißluftballons, aber offensichtlich aus Eisen oder Stahl und sehr massiv.
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