Unser Denken kann alle möglichen Dinge mit Frieden assoziieren – was er nicht ist, was Unruhe bedeutet und wie es wäre, friedvoll zu sein. All das ist gewöhnliches Wissen, aber das direkte Erfassen und die Erkenntnis der Stille ist das, was genau in diesem Moment geschieht und daher unabhängig davon ist, was unser Verstand dazu sagt. Im Grunde könnte es sogar sein, daß wir es nicht einmal Stille nennen. Wenn wir kein Deutsch sprechen, werden wir es nicht Stille nennen, aber es ist doch dieselbe Erfahrung.
Was ist in diesem Fall Stille? Wissen, Grundwissen. Wenn man sie Präsenz nennt, dann ist es Wissen von Präsenz, aber das Wissen von Präsenz ist nicht von der Präsenz getrennt. Es gibt keine Präsenz, die von der Bewußtheit der Präsenz getrennt ist. Sie sind dasselbe. Es ist genauso wie mit der Erfahrung der Sonne und ihres Lichts. Man kann keine Erfahrung von der Sonne haben außer durch ihr Licht. Sie kann nicht anders wahrgenommen werden. Wie kann man also beide voneinander trennen? Sie sind dasselbe, und das bedeutet, daß die Präsenz der Stille und das direkte Wissen der Stille dasselbe sind.
Wir sehen hier, daß wir, wenn wir essentieller Erfahrung begegnen, anfangen, eine neue Art Wissen zu haben, das wir uns nicht vorgestellt hatten, als wir uns innerhalb der einschränkenden Grenzen gewöhnlichen Wissens befanden. Wenn wir in unserer Inquiry weiter denken würden, gewöhnliches Wissen sei das einzige Wissen, das es gibt, würden wir diese neue Art Wissen nicht entdecken, das ich Grundwissen nenne. Und sogar jetzt möchte unser Verstand vielleicht einfach eine Kategorie herstellen wollen, Grundwissen genannt, um in ihr bestimmte Erfahrungen, wie essentielle Erfahrungen, abzulegen. Das bedeutet wieder, Grundwissen so zu behandeln, als wäre es eine neue Art gewöhnlichen Wissens. Wie wir sehen werden, hat die Tatsache, daß dies eine andere Art Wissen ist, eine, die nicht vom Verstand gespeichert und manipuliert werden kann, sehr tiefreichende Implikationen für Inquiry.
Grundwissen ist nicht nur „live“ in dem Sinn, daß es nur in der Gegenwart existiert und daher wie die Daten des Arbeitsspeichers (RAM) eines Computers nicht speicherbar ist, sondern es ist auch, anders als jedes Computerwissen, „live“ in dem Sinn, daß es seiner selbst bewußt ist und sich selbst weiß. Eines der wichtigsten Dinge, die wir lernen, wenn wir anfangen, Essenz zu erfahren, ist, daß die Präsenz sich selbst weiß, aber die Präsenz und das Wissen der Präsenz sind vollkommen ununterscheidbar. Es sind nicht zwei Dinge. Das ist so ähnlich wie beim Wasser: Es ist naß, aber die Nässe ist vom Wasser untrennbar.
Unsere Essenz besitzt die Fähigkeit, sich selbst vollständig und direkt zu wissen, unabhängig davon, was wir in der Vergangenheit gewußt haben. Das Wissen gehört zu der Essenz an sich, und zwar in der Weise, daß sie sich nicht nur ihrer selbst, sondern auch der Qualität und der Charakteristika dieser Existenz als existierend bewußt ist. Das ist ein Ausdruck der unterscheidenden Bewußtheit, einem der fünf Hauptcharakteristika wahrer Natur.
Erfahrung als Grundwissen
Wenn wir von relativer zu essentieller Wahrheit gehen, reisen wir zu einer anderen Dimension und erkennen eine neue Art, zu wissen. Wenn wir uns weiter in dieser Dimension (der zweiten Reise) bewegen, entdecken wir, daß diese neue Art, zu wissen, gar nicht so neu ist. Grundwissen liegt unserer laufenden Erfahrung immer zugrunde, aber aufgrund der gewohnten Dualität zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten in unserem Denken konnten wir es bisher nicht sehen. Wir denken normalerweise: „Das Wissen ist in mir, wenn ich meinen Körper betrachte“, statt zu erkennen, daß es Wissen gibt, das selbst der Körper ist. In dem Moment, in dem man Essenz erkennt, ist es möglich, diese Dualität zu transzendieren. Wenn wir Essenz wissen oder kennen, beginnen wir, Grundwissen zu erkennen, und wir begeben uns auf eine Reise in eine neue Weise des Wissens, direkt und unmittelbar zu wissen.
Wenn wir uns unserer Präsenz dadurch bewußt sind, daß wir präsent sind, ist es ein neues Wissen, und wir nennen dieses Wissen Essenz. An diesem Punkt haben wir die Gelegenheit anzufangen, unsere Inquiry in das Wesen all unserer Erfahrung hinein zu erweitern. Wir erkennen, daß Selbst-Wissen nicht nur essentieller Präsenz eigen ist, sondern daß diese Art zu wissen für unsere Seele grundlegend ist, für das Bewußtsein, das der Grund unserer ganzen Erfahrung ist. Wir erkennen, daß die Seele selbst Präsenz besitzt. Und wie weiß und kennt die Seele sich selbst? Wie hat sie Erfahrung ihrer selbst? Sie erfährt sich selbst auf dieselbe Weise, wie Essenz sich selbst erfährt – durch die unmittelbare Bewußtheit und den direkten Kontakt gerade mit ihrer Präsenz. In dieser Präsenz kann sich Verschiedenes manifestieren. Manchmal manifestiert sich eine essentielle Qualität, manchmal ein Gefühl oder eine Sinneswahrnehmung, ein Bild oder ein Gedanke.
Wir denken gewöhnlich: „Da bin ich, und ich bin mir eines Gedankens bewußt.“ Wenn wir ein wenig tiefer forschen, erkennen wir, daß diese Aussage auf gewöhnlichem Wissen beruht, auf dem Glauben, daß es einen von dem Gedanken getrennten Beobachter gibt. Wenn wir diese Selbstreflexion weiter fortsetzen, besonders wenn wir unseren Glauben an den Beobachter hinter uns lassen, erkennen wir, daß der Gedanke selbst Bewußtheit besitzt. Wir sind uns des Gedankens bewußt, weil der Gedanke selbst ein Leuchten mit einem bestimmten Aroma und einer bestimmten Information ist. Der Gedanke selbst ist nicht von Bewußtheit getrennt, und Bewußtheit ist Wissen. Daher ist der Gedanke selbst Wissen. Es ist nicht so, daß der Gedanke Wissen transportierte, wie bei gewöhnlichem Wissen, der Gedanke ist Wissen. Er ist Bewußtsein mit einer bestimmten Form, und wir nennen diese Form Information. Das Wissen durchdringt den Gedanken selbst, als wäre er eine Art Flüssigkeit, die sich umherbewegt und eine Form annimmt. Die Form, die sie annimmt, ist ein Begriff oder ein Wort, das wir von unserem gewöhnlichen Wissen her kennen. Aber das Ganze #– das Bewußtsein, das als Gedankenflüssigkeit in Erscheinung tritt, die in Begriffsformen gebracht wird – ist Wissen, denn es ist Bewußtsein mit Inhalt.
In jedem Moment präsentiert sich in unserer Erfahrung eine gewaltige Menge an Information – Dinge, die wir sehen, hören, spüren oder fühlen. Wir sind uns dieser wahrgenommenen Dinge als dem Grund unserer Erfahrung bewußt, als Grundwissen, und wir benennen die Teile, über die wir nachdenken oder kommunizieren wollen. Wenn wir aber die globale Bewußtheit besitzen, die durch die Entwicklung von Achtsamkeit (mindfulness) entsteht, ist es möglich zu erkennen, daß der wahre Grund unserer Erfahrung eigentlich ein Medium von Bewusstheit, und nicht eine Sammlung wahrgenommener Objekte ist. In diesem Medium von Bewußtheit, das wir Seele nennen, sprudeln Dinge. Die Blasen sind nicht von dem Medium getrennt, und das Medium selbst ist seiner selbst bewußt. Die Blasen haben verschiedene Farben und Formen: Diese Blase fühlt sich wie Traurigkeit an und jene wie Schmerz, diese fühlt sich wie die Idee eines Vogels an und jene wie der Gedanke eines Menschen, und diese Blase ist ein Bild unseres Hauses. Alle diese Blasen steigen in demselben Medium auf.
Wenn unsere Erfahrung von gewöhnlichem Wissen freier ist – freier von dem prägenden Einfluß all der Standpunkte, Annahmen und Vorstellungen, die es impliziert –, können wir Grundwissen reiner erkennen. Wir werden uns dessen bewußt, was unsere Erfahrung eigentlich ist, weil wir sie unmittelbar, ohne den Filter gewöhnlichen Wissens wissen oder kennen. Eigentlich können wir jetzt sehen, daß es nichts als Wissen gibt. Wir können sagen, daß es nichts als Erfahrung gibt, aber das impliziert, daß Bedeutung oder Interpretation hinzugefügt werden müssen, um Wissen zu haben oder Erfahrung tiefer zu verstehen. Wenn man sagt, daß es nichts als Wissen gibt, bedeutet das, daß der Erfahrung nichts hinzugefügt zu werden braucht, um Wissen zu bekommen, daß jeder Teil unserer Erfahrung das Auftauchen von Wissen und ein Öffnen in tieferes Wissen hinein bedeutet. Bei Erfahrung fragen wir: „Was kommt als Nächstes?“ Aber bei Wissen fragen wir: „Was ist das?“, und alle Arten von Möglichkeiten öffnen sich. Wenn das Wesen von Erfahrung nichts als Wissen ist, erkennen wir, daß Wissen (knowingness) eine inhärente Dimension davon ist, daß man ein erfahrendes Bewußtsein oder eine erfahrende Seele ist. Man kann nicht Mensch sein, ohne in jedem Augenblick eine Erfahrung von Wissen (knowing) zu sein.
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