Ein guter Anfang ist jetzt die Untersuchung Ihrer bisherigen Erfahrung mit der Inquiry. Nehmen Sie sich fünfzehn Minuten Zeit, und bleiben Sie bei diesen Fragen und bei den Einsichten, die vielleicht auftauchen, und reflektieren Sie über sie. Welche Art der Selbsterforschung haben Sie bisher praktiziert? Hat Ihnen das gefallen? War das aufschlußreich, befriedigend, herausfordernd, beunruhigend oder etwas anderes? Wie sehen Sie Ihre Bedenken, Ihre Fähigkeiten und Ihre Grenzen im Hinblick auf Inquiry? Wie fixiert ist dieses Wissen von Ihnen selbst? Wie beeinflußt dieses Wissen jetzt Ihre Erfahrung der Inquiry und Ihre Offenheit dafür, sie weiter fortzusetzen?
Inquiry und das Mysterium
Wenn die Inquiry offen und unbegrenzt ist, erschließt sie das Wissen, das in der Erfahrung immer zugänglich ist. Unbegrenzte Inquiry bedeutet, daß die starren Muster unserer Erfahrung in fließende Formen eines sich selbst organisierenden Flusses transformiert werden können. Bevor wir in den Prozeß von Fragenstellen und Inquiry eintreten, ist unsere Erfahrung von starren Mustern geprägt; sie entsteht in sich wiederholenden und einem Zwang unterworfenen Mustern. Wenn wir anschauen und in Frage stellen, was diese Muster bestimmt und fixiert, löst sich ihre Starre auf und unsere Erfahrung beginnt, sich auf neue Weisen zu entfalten.
Auch mit dieser Auflösung steht unsere Erfahrung weiter unter dem Einfluß von Mustern, und zwar deshalb, weil Muster Sinn und Bedeutung von Erfahrung sind. Wir erkennen immer noch Muster in unserer Erfahrung, aber die Formung des Flusses der Erfahrung durch Muster ist fließender und frischer. Er hat dann eine Flüssigkeit und eine Glätte, eine Leichtigkeit und eine Spontaneität. Wir fühlen uns frei. Wenn Erfahrung durch feste Muster geprägt ist, ist man im Gefängnis. Wenn sie in fließenden Mustern passiert, empfindet man die Freiheit der Erfahrung.
Diese Freiheit der Erfahrung ist das Abenteuer des Seins. Damit ein Abenteuer wirklich spannend ist, müssen wir an Orte gehen, die völlig anders sind. Diese Art Abenteuer, mit ihrer Heiterkeit und ihrem Staunen, gehört zu unserem Sein. Mit der Zeit reagieren Sie auf Erfahrung nicht nur mit Freude, sondern auch mit reinem Staunen. Sie stoßen auf eine Erfahrung, und Ihr Verstand hat nicht die geringste Vorstellung davon, was sie ist, aber sie ist so schön, daß Sie von Staunen erfüllt sind. Sie können dieses Staunen aber nicht erleben, wenn Sie an einer bestimmten Identität und an einem Bezugsrahmen festhalten, und wenn Erfahrung sich weiter in ihren starren, gewohnten Bahnen vollzieht. Staunen stellt sich ein, wenn Sie für etwas offen sind, das geheimnisvoll, neu und frisch ist, wenn Ihr altes Wissen für den Augenblick vollständig aufgehoben ist.
Mit anderen Worten, Sein enthüllt sein Mysterium dadurch, daß es seine Wahrheit enthüllt. Indem es uns mehr von dem zeigt, was es ist und wie es funktioniert, zeigt uns das Sein, wie wenig wir wissen. Es zeigt uns auch, daß je mehr wir wissen, wir umso mehr wissen, wie wenig wir eigentlich wissen. Die Reise der Inquiry bringt uns vom Wissen zum Mysterium. Unsere innere Führung enthüllt uns die Wahrheit und den Reichtum unseres Seins, aber je mehr sie das tut, um so mehr sind wir mit dem Mysterium in Berührung. Es ist eine seltsame, paradoxe Situation: Inquiry enthüllt uns immer mehr von unserer wahren Natur und von der Realität. Je mehr Wissen und Verstehen wir aber durch diese Enthüllung gewinnen, um so mehr nähern wir uns der Tiefe unseres Seins und seiner Essenz, und die ist Mysterium.
Vom Wissen zum Mysterium zu gehen bedeutet, in das Unbekannte zu springen.
Grundwissen
Wir haben vor allem unseren Powerdrive benutzt, um Inquiry zu erörtern. Mit anderen Worten, wir haben unsere vertraute Erfahrung betrachtet, indem wir bestimmte Muster näher angeschaut haben, die durch den Begriff gewöhnlichen Wissens enthüllt werden. Jetzt werden wir den Hyperdrive einschalten, damit er uns über die Realität, die wir gewohnt sind, hinaus und zu einer viel subtileren Bewußtheit bringt, die unsere gewöhnlichen Annahmen in Frage stellt. Wir brauchen den Hyperdrive, um zu dieser anderen Dimension zu springen und um eine andere Art von Wissen zu verstehen, das wir Grundwissen nennen.
Im letzten Kapitel war Thema, wie unser altes Wissen – unser gewöhnliches Wissen – unsere gegenwärtige Erfahrung prägt, beeinflußt und bestimmt und wie Inquiry unsere gegenwärtige Erfahrung dadurch öffnet, daß sie dieses Muster in Frage stellt. Wir haben auch kurz diskutiert, wie Erfahrung im allgemeinen, sogar im gegenwärtigen Moment, aufgrund der Weise, wie sie durch frühere Erfahrung geprägt ist, von Wissen nicht zu trennen ist.
Erfahrung ist aber auf eine noch viel grundlegendere Weise untrennbar von Wissen als allein durch Prägung durch altes Wissen. Eigentlich ist unsere Erfahrung Wissen. Wie das? Nehmen Sie den einfachen Fall der Erfahrung Ihres Knies. Enthalten in dieser Erfahrung ist das Wissen, was ein Knie ist, was Sehen ist, was Spüren ist, was der Körper und was Druck ist. Sie können also das Knie nicht anders wahrnehmen als eine Sammlung verschiedener Stücke von Wissen.
Aber Erfahrung ist auch auf eine fundamentalere Weise Wissen. Wenn Sie eine Minute nachdenken, ist es nicht schwer zu sehen, daß Ihre Erfahrung des Knies Wissen ist. Aber es besteht nicht nur darin, daß Sie wissen, was ein Knie ist. Sie wissen, was es ist – und dieses Wissen (knowing) ist Wissen – aber wissen, was ein Knie ist, ist gewöhnliches Wissen.
Ihre Erfahrung des Knies ist eine Erfahrung von Form, Empfinden und Druck. Was ist das? Ein Eindruck. Dieser Eindruck enthält Information: die Konturen, die Form und die verschiedenen Empfindungen. Wenn Sie das weiter betrachten, werden Sie sehen, daß die Erfahrung Ihres Knies in diesem Moment nichts als ein Eindruck, als eine innere Wahrnehmung ist.
Wir können sagen, daß dieser Eindruck oder diese Wahrnehmung aus Empfindung oder Form oder Druck besteht. Aber was ist das? Wissen. Genauer gesagt, ist das ein Wissen (knowingness) einer bestimmten Art von Information. Ein Eindruck ist Wissen, aber er ist nicht gewöhnliches Wissen. Er ist Information, die genau in diesem Augenblick existiert, unabhängig davon, was Sie über die Erfahrung denken oder was Sie über Ihr Knie wissen.
Können Sie Ihr Knie unabhängig von den Sinneseindrücken und Eindrücken wahrnehmen? Gibt es in Ihrer Erfahrung unabhängig von den Eindrücken ein Knie? Sie könnten Sinneswahrnehmung und Form in verschiedene Kategorien trennen, aber beide sind Wissen, das nicht gewöhnliches Wissen ist. Sie sind nicht Wissen, das in Ihrem Verstand ist, es ist Wissen, das in diesem Moment, hier, in Ihrer gegenwärtigen Erfahrung ist. Die Erfahrung des Knies ist nichts als ein Wissen eines bestimmten Eindrucks oder einer bestimmten Wahrnehmung. Und die Wahrnehmung ist von dem Wissen der Wahrnehmung nicht zu trennen.
Das ist das, was wir direktes Wissen nennen, oder Wissen, das dadurch erworben wird, daß man etwas unmittelbar im Moment wahrnimmt. Es ist nicht aus zweiter Hand. Sie nennen Ihr Knie vielleicht nicht einmal Knie. Sie könnten alles darüber vergessen, was Knie sind, aber die Empfindung, die Form und die Temperatur wären noch da, und Sie haben einen allgemeinen Eindruck von etwas, und das ist ein Stück direkten Wissens. Sie können es anders bezeichnen als ein Knie, oder Sie benennen es überhaupt nicht, aber da ist eindeutig ein bestimmtes Stück Information, das sich zum Beispiel sehr von der Erfahrung Ihres Magens unterscheidet. Das bringt uns dem näher, was ich mit Grundwissen meine.
Ein anderes Beispiel: Sie haben ein bestimmtes Gefühl, beispielsweise Angst. Es ist wahr, daß das Gefühl der Angst Ihre Erfahrung ist, die in diesem Augenblick von altem Wissen über das geprägt ist, was Ihnen in dieser Situation Angst macht. Aber was ist Angst an sich? Direktes Wissen. Wenn Sie Angst empfinden, kennen Sie Angst, auch wenn Sie dieses Gefühl nicht Angst nennen. Da gibt es ein Wissen von einer gewissen Gefühlsqualität, die sich zum Beispiel sehr von Traurigkeit unterscheidet. Das direkte Wissen der Angst ist dasselbe wie die Erfahrung der Angst. Gibt es irgendeine Angst außerhalb der Erfahrung des Wissens von Angst? Nein. Dieses Wissen von Angst ist das, was ich Grundwissen von Angst nenne; es ist für unsere Erfahrung grundlegend. Unsere eigentliche Erfahrung ist nichts anderes als dieses Grundwissen (basic knowledge).
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