Der Magier verstummte. „Ich muss ihm damals meinen Namen genannt haben, jenen Namen, den ich heute so schmerzlich vermisse. Ich erklärte ihm, dass mein Name ursprünglich kein Name, sondern ein Ruf gewesen war. Jemand rief, und ein anderer hob den Kopf. So hatte alles einmal angefangen. Ich sagte ihm, dass ich ein Gottespriester sei und der letzte der alten Magier, der dem Volk der Menschen noch verblieben war. Es sei schwierig geworden mit der Magie, denn sie entfloh seit einiger Zeit dieser Welt, und ob und wann sie zurückkommen würde, stand mit unsichtbarer Tinte auf der Rückseite der Wolken geschrieben. Und dann sagte ich zu ihm: ‚Wer weiß, vielleicht bin ich in der Lage, Euch Euren Wunsch nach Göttlichkeit zu erfüllen, denn ich bin ein Kundiger und verfüge über viele Talente. Nur wenigen ist bekannt, dass alles damit begann, dass die Menschen die alten Götter bewunderten und anriefen. Da sie die alten Götter aber nicht verstanden, erschufen sie sich neue, und aus ihren Anrufungen wurden Gebete, und ihre Gebete wandelten sich zu Beschwörungen. Mögen Drachen und Elfenmagier das Geheimnis der Langlebigkeit kennen, eine wirkliche Unsterblichkeit ist einzig und allein die Angelegenheit der Menschen und ihrer Götter. Aber denkt daran, die Unsterblichkeit muss täglich neu erarbeitet werden.‘
Ja, so sprach ich damals. Vorsichtig und mit einem lockenden Klang in meiner Stimme. Diese magische Kreatur voller Kraft, aber ohne Witz und Geistesblitz, musste ein Geschenk der alten Götter sein. Eine fleischgewordene Möglichkeit, mich von einer Magie zu befreien, die mich zwischen zwei Welten festhielt, anstatt mir zu erlauben, frei umherzuziehen. Mir jene Kraft zu schenken, die ich brauchte, um mich loszureißen. Die Ankunft dieses Kriegers war mehr als ein Geschenk. Es war eine Verheißung, wie sie schöner nicht sein konnte.
In den groben Gesichtszügen des Kriegers konnte ich sehen, wie widerstrebende Gefühle miteinander rangen. Misstrauen, vorsichtige Freude, Verachtung und Erleichterung waren nur einige der Gefühle, die ich lesen konnte, und sie wechselten sich ab wie Sonne, Wolken und Regen unter einem nervösen Himmel. Hatte ich es mit meinem Spott zu weit getrieben?
Dann endlich: ‚Ich kenne die Magie der Drachen und weiß von der der Elfen. Aber von einer Magie der Menschen habe ich noch nie gehört. Erzähl mir von ihr.‘
Ich jubelte mit eingefrorenem Gesicht. Jetzt nur nicht den Fang im letzten Augenblick noch verlieren, dachte ich. Er zappelte doch bereits an meiner Angel. Ihn jetzt an Land zu bringen benötigte eine ruhige Hand, viel Geduld und die Gabe der aufmerksamen Beobachtung, denn meine Angel bestand nicht aus Rute, Leine, Haken. Sie war aus einem Material erschaffen, leichter als ein Spinnennetz. Das Versprechen, einen Wunsch zu erfüllen, war mein Haken, die Behauptung, vertraut mit einer Magie zu sein, zu der er keinen Zugang fand, war meine Rute. Und was verband den Haken mit der Rute? Die Geschichte der Magie der Menschen. Sie brauchte nicht in allen Dingen wahr oder gar wahrhaftig zu sein. Nur bedeutsam musste sie klingen und rätselhaft zugleich, mächtig und doch nicht bedrohlich, besonders, aber doch überall gültig. Und so sprach ich:
‚Die Magie der Menschen ist in der Tat ein rares Gut. Und ich bin noch nicht einmal sicher, ob sie vom ersten Menschen an all seine Nachkommen weitergegeben wurde. Für mich fühlte sie sich immer so an, als wäre sie nur geborgt oder auf Zeit geliehen. Aber da Ihr mir ebenfalls ein Kundiger zu sein scheint, könnt Ihr mir vielleicht mehr über meine Magie erzählen, als ich Euch. Einen Teil bekam ich von meinem Vater, der sie der Natur entnahm. So gehört mein Geschlecht zu einer langen Linie von Naturmagiern. Ich würde gern behaupten, dass diese Magie die meine sei, aber mein Vater war der letzte, der diese Kunst beherrschte, und sie verging mit seinem Tod. Und doch konnte ich noch Reste für mich retten, die allein betrachtet, zwar wenig bedeuten. In Verbindung mit anderen magischen Quellen hingegen …‘ An dieser Stelle machte ich ein wissendes Gesicht, als müsste dem Krieger vertraut sein, wovon ich sprach. ‚Den anderen Teil erhielt ich von meiner Großmutter, die sie durch meine Mutter bei der Empfängnis auf mich übertrug. Auf mich und auf meinen Zwillingsbruder, der leider viel zu früh verstarb, aber immer noch mit mir spricht und mich berät. Er gab mir im Todeskampf seine gesamte Essenz.‘
‚Wie hast du sie getötet? Deinen Vater, deine Mutter und deinen Bruder?‘
Bei diesen Worten erschrak ich. Vermochte dieser Kerl in mir zu lesen? Hastig sprach ich deshalb weiter, um solche Überlegungen gar nicht erst aufkommen zu lassen: ‚Meine Mutter war so gnädig, von allein zu sterben, nachdem sie bei der Geburt alles, was sie besaß, mir und meinem Bruder gegeben hatte. Vater und Bruder tötete ich mit Gift und Dolch. So wie es vorgeschrieben war.‘
Mir war bewusst, dass, während wir sprachen, die kleine Schar meiner Gläubigen auf uns schaute. Es wäre schön gewesen, wenn mein rätselhafter Besuch nicht gerade in der Gestalt eines Muskelbergs ohne Verstand erschienen wäre. Wie gern hätte ich meine Leute mit unserem Gespräch beeindruckt. Aber manchmal ist es, wie es ist. Nun mussten die Dinge leise ablaufen und geheim. Ich war mir immer noch nicht ganz sicher, mit wem ich es zu tun hatte. Mit einem Drachen. Das war mir klar. Aber ein gewöhnlicher Drache war er nicht. Sicher war ich mir nur, vor einer ungeheuren Quelle der Magie zu stehen. Magie bedeutete Macht. Und Macht war ein anderes Wort für Freiheit. Meine Freiheit.
‚Wenn Ihr wirklich ein Gott werden wollt, dann kann ich Euch dabei helfen, weil ich den Weg dazu kenne. Nicht alle Pfade in die Vergangenheit sind verschüttet. Dem Kundigen, dem, der weiß, stehen immer noch viele Türen offen.‘
‚Was hindert dich denn daran, selbst ein Gott zu werden, wenn zutrifft, was du behauptest?‘
‚Das wisst Ihr nicht? Bei den alten Göttern. Liegt das nicht offen ausgebreitet vor allen, die Augen haben zu sehen? Es ist meine Menschlichkeit, meine Sterblichkeit, meine Schwäche. Etwas zu wissen, heißt nicht, es zu beherrschen. Den Weg zu kennen, nicht, ihn auch gehen zu können. Aber für Euch könnte ich ihn suchen und finden. Jemand wie Ihr wäre es wert. Mit Eurer Unterstützung und für Euch würde ich die Türen zu diesem Weg öffnen und ihn begehbar machen. Das wäre mir eine Ehre. Allein für die Ehre und für einen kleinen Obolus noch dazu als Ausgleich für meine Bemühungen.‘
Ich konnte sehen, dass der Krieger zufrieden war. Ihm schien zu gefallen, dass ein anderer für ihn die Arbeit tat, sodass er endlich fragte: ‚Was muss ich tun und was verlangst du von mir? Wisse, ich kann durchaus Wünsche erfüllen und Wunder tun, wenn mir der Sinn danach steht.‘
Ich rieb mir innerlich die Hände: ‚Zwischen Euch und Eurem Wunsch, ein Gott zu werden, stehen nur drei Hindernisse, die sich allerdings alle leicht überwinden lassen. Das größte ist unzweifelhaft, die Unsterblichkeit zu erlangen, denn nur, wenn Ihr unsterblich seid, könnt Ihr Euch als Gott betrachten. Das zu erreichen mag in Euren Ohren unmöglich klingen, ist es aber nicht. Ihr müsst lediglich eine Großtat vollbringen, die kein normaler Sterblicher jemals vollbringen könnte. Sie zu finden, ist das zweite Hindernis, das dem ersten vorangeht, denn nicht alles, was Ihr vielleicht als Großtat betrachten könntet, genügt den Ansprüchen der Magie. Was Ihr dazu braucht, sind Magie, Kraft und Größe, Eigenschaften über die Ihr allesamt in überreichem Maße verfügt. Und dann fehlt Euch als Drittes nur noch ein göttlicher Name. Er entsteht aus der Bewunderung Eurer Anbeter und aus den Erinnerungen an die Götter vor Eurer Zeit, die es zu verschmelzen gilt. Macht etwas Großes und holt Euch die Bewunderung von den Menschen. Ich weiß, wovon ich spreche, denn einige der alten Götter waren nur den Menschen bekannt. Aus Bewunderung und Anrufungen wurden Gebete und alle Erinnerungen galten den Toten. Das kommt uns entgegen, denn die Toten vollbringen keine neuen Taten mehr. Allerdings müssen wir uns an ihnen messen lassen.
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