Rodrigo war ihr Verehrer gewesen, das hatte sie gespürt, und das hatte ihr mächtig geschmeichelt. Wenngleich sie nie, niemals auch nur das kleinste Signal gegeben hätte, den Burschen zu ermuntern. Aber schön waren sie doch gewesen, seine offensichtlichen Bemühungen, einen Blick auf sie zu werfen oder ihre Stimme zu hören.
Und auch ihr zweiter Verehrer war verschwunden, der schöne Pablo. Von dem wusste sie immerhin, wo er geblieben war. Er hatte lange genug damit geprahlt, dass er als Schiffsjunge die Fahrt nach den indischen Ländern mitmachen würde. Die ganze Stadt wusste es. Beim Gedanken an Pablo pochte Isabellas Herz etwas schneller. Das war ein Junge! Aber auch Pablo Christóbal Perez, wie er mit vollem Namen hieß, war nur ein unbedeutender Dorfjunge, ein Habenichts, ein namenloser Tischlersohn, aus der Familie Perez, unten in der Stadt.
Es ziemte sich nicht für ein Mädchen von der Herkunft Isabellas, an einen solchen Jungen auch nur einen Gedanken zu verschwenden, mochte er noch so aufregend sein. Eines Tages würde sie als beste Partie von ganz Palos standesgemäß verheiratet werden. Einen jungen Hidalgo und Edelmann, einen Caballero, würde man für sie auswählen, vielleicht sogar einen Granden von den bedeutenden Familien, die am Hofe verkehrten. Das war die vorhersehbare Zukunft. Pablo war nur ein verbotener Traum.
Real hingegen war ein dritter Verehrer: der widerliche Alonso Medel aus Moguer, ihr Vetter, der schon früh an diesem Morgen auf seinem Pferd über die Hügel geprescht kam und in den Hof der Casa Pinzon stürmte, als gelte es, maurische Rebellen zu vertreiben.
„He, ho“, brüllte er, noch während er sich aus dem Sattel schwang. „Hier bin ich, euer treuer Diener.“ Er sah sich suchend um. Wollte ihn niemand in Empfang nehmen? Donna Maria Alvarez lag noch schlafend in ihrem Bett, ebenso ihre ältesten Töchter, seine Braut Catalina und die etwas jüngere Leonora. Die beiden hatten sich ja erst vor knapp einer Stunde hingelegt. Der Stallmeister war unterwegs, der Verwalter ebenso; die Knechte und Diener des Hauses galten nichts, sie waren Luft für den Besucher.
Es blieb also nur die kleine Isabella, ihn zu begrüßen und in Empfang zu nehmen. Begleitet von ihrer treuen Amme trat sie in den Hof. Gemäß ihrer Erziehung und entsprechend der Etikette, die man ihr mühsam beigebracht hatte, knickste sie artig vor dem Freund des Hauses, hieß ihn willkommen und bat ihn in die kühle Empfangshalle.
Die Amme übernahm es, das Warten der vergangenen Nacht zu schildern. „Und so war die Hoffnung der Señora, hochlöblicher Herr Alonso Medel, Ihr möget vielleicht in die Stadt hinuntergehen und nach dem Verbleib der beiden jungen Herren Pinzon sehen. Seid Ihr doch der einzige Edelmann, dem meine Herrinnen vertrauen können, und sehen sie Euch doch als baldiges Mitglied der Familie an, dem man als sich ängstigende Mutter und Schwester seine Sorgen und Nöte anvertrauen kann.“ Die Amme verstand es ausgezeichnet, dem blasierten Alonso so viel Honig einzuträufeln, dass dieser sich wie ein Held aus einem Ritterroman fühlte. Das beflügelte ihn derart, dass er sich ermutigt sah, Isabella sogleich zu umarmen und ihr die Stirn zu küssen. Steif stand sie im Raum, unfähig zu reagieren. Er aber machte eine theatralische Verbeugung und salbaderte drauflos: „Ich finde sie. Ich eile sofort. Seid unbesorgt, mein Herzchen. Bis Eure hochverehrten Schwestern und die Mama aufwachen, habe ich Eure Brüder gefunden. Das ist ein Ehrendienst.“ Er fügte noch allerlei verbale Verbeugungen und Beflissenheitsbezeugungen hinzu, aber Isabella blieb nur ein verstörendes Wort im Sinn: „Mein Herzchen!“ Diesen Kosenamen hatte er benutzt. Was für eine Unverschämtheit. Dieser ungezogene Wicht! Was nahm der sich heraus? Hoffentlich verschwand er bald.
Die Damen Pinzon hatten sich umsonst gesorgt. Alonso Medel wusste sofort, wo er seine künftigen Schwager finden würde. Die Kaufmannsfamilie Pinzon besaß neben den Ländereien zwischen Palos und Moguer, auf denen die Casa Pinzon stand, auch noch eine Reihe von Hütten und Lager am Hafen und dazwischen auch eine Faktoria, eine Handelsniederlassung, von wo aus die meisten der Fernhandelsgeschäfte abgewickelt wurden. Dort gab es genug Kammern, um die Nacht zu verbringen. Und tatsächlich traf Alonso dort auf die beiden Brüder, die bereits auf den Beinen waren und sich heißhungrig einem Frühstück widmeten, welches ihnen einer der dort beschäftigten Kanzleigehilfen vorgesetzt hatte.
Die Sympathien zwischen den Brüdern Pinzon und Alonso Medel hielten sich in Grenzen. Man mochte sich nicht wirklich. Martin Arias konnte mit dem eitlen Gecken wenig anfangen, vor allem weil Alonso Medels Heldentaten nur aus Worten bestanden. Er hatte bisher nicht einmal den Mut aufgebracht, an einer Schiffsreise seiner Familie teilzunehmen. Und Juan Pinzon, an Einbildung und Eitelkeit dem anderen in nichts nachstehend, sah in Alonso eher einen Rivalen als einen Partner oder Verwandten. Als der künftige Schwager und Vetter eintraf, warfen Martin und Juan sich jedenfalls einen kurzen Blick zu, mit dem sie sofortige Einigkeit darüber herstellten, vorerst still zu schweigen. Was in der vergangenen Nacht geschehen war, durfte niemand wissen. Es ging um die Ehre der Familie.
Zwar galt ein Menschenleben nicht viel in diesen Zeiten, und so mancher Mord blieb unverfolgt, wurde vertuscht, verdrängt oder gar allgemein begrüßt. Aber bei Pedro Vasquez hatte es sich um einen geachteten und stadtbekannten Seemann gehandelt, um einen Mann, der an ruhmreichen Fahrten teilgenommen hatte und dessen Wort unter Seeleuten etwas galt. Wenn dieser stadtbekannte Seemann in der Nacht ermordet worden war, das würde Palos empören und zu Nachforschungen führen. Die Stadt würde davon früh genug erfahren, sobald der Fischer, dem das entsprechende Boot gehörte, die Leiche darin fand.
Statt auf die Fragen Alonso Medels zu antworten, zeigte Martin Arias auf einen freien Stuhl und sagte zwischen zwei Bissen: „Setzt Euch zu uns und lasst Euch etwas zu essen bringen, verehrter Freund.“ Er nickte aufmunternd: „Dann erzählen wir Euch, was wir über die Flotte in Gran Canaria erfahren haben.“ Er verdrehte den Blick seiner Augen Richtung Zimmerdecke, als wolle er damit nächtliche Mühen andeuten, und ergänzte: „Und weil wir den zwei Matrosen, von denen wir das alles erfahren haben, erst die Kehle ölen mussten, war es eine sehr lange und anstrengende Nacht. Das ist auch der Grund, warum wir nicht mehr hinausgeritten sind, sondern hier übernachtet haben.“
Vorsichtig schielte Martin bei diesen letzten Worten erst zu Alonso, ob dieser die Erklärung schlucken würde, und dann zu seinem Bruder, ob dieser verstanden und die in die Welt gesetzte Version verinnerlicht hatte.
Beide Reaktionen stellten ihn zufrieden. Sein Bruder Juan grinste selbstgefällig, der Vetter nickte abwesend und zustimmend. Das Frühstück, das der Kanzleisekretär soeben auftrug, schien ihm wichtiger zu sein.
VIII. Der fremde Ozean
Dass irgendetwas mit dem Kompass nicht stimmte, fiel den Steuerleuten auf der Santa Maria etwa eine Woche nach der Ausfahrt zum ersten Mal auf. „Der Kompass ist verhext“, fürchtete der Leichtmatrose Jacomo Rico. Das Instrument bestand aus einer simplen Scheibe aus Pergament, auf der die Windrose eingezeichnet war – mit zweiunddreißig Fächern, den zweiunddreißig Kompassstrichen, unterschieden in Dreiecke, Rauten und Pfeile. Der Kompass lag in einer runden Schale, die an einem Zapfen so befestigt war, dass er sich mit den Bewegungen des Schiffs drehen konnte. Die Nadel, die Nord suchte, war mit einem Stück Magnetit magnetisiert worden.
Bitacora, so hieß das Kompasshäuschen, das darüber eine Schutzhaube bildete, um den Kompass vor den Unbilden des Wetters zu schützen. In der Bitacora stand ein Öllämpchen, um ihn nachts anzuleuchten.
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