Wenn die Zeiten verzweifelt sind, begehen Menschen Taten der Verzweiflung, von denen sie ihrem Priester, der auch ihr Nachbar ist, lieber nichts sagen. Vielleicht ist es ja das Brot des Priesters, das sie stehlen. Vielleicht ist es die Frau eines Freundes des Priesters, mit der sie ins Bett gehen. Vielleicht ist es sogar die Schwester des Priesters. Damals kam nur das halbe Dorf in den Tagen vor der Fastenzeit zur Beichte. Ich sagte es ihnen täglich in der Messe: Ihr müsst beichten, ihr könnt die Hostie nicht ohne Beichte nehmen. Sie kamen trotzdem nicht. Dann bemerkte ich ein großes Kommen und Gehen bei Four Ways, wo die Straße sich in vier Richtungen gabelt – nach Oak Hill, Bourne, Bruton und Fox Hole –, und als ich jemandem folgte (ganz beiläufig, als ob ich einen Spaziergang machen würde), bestätigte sich mein Verdacht: dass meine Pfarrbewohner sich eine Meile vor dem Dorf mit einem Wandermönch trafen, der ihnen am Straßenrand, mit tief über den Kopf gezogener Kapuze, die Beichte abnahm. Er konnte sie sehen, aber er kannte sie nicht, und sie mussten ihm nicht in die Augen schauen, nicht einmal wenn sie die Münzen in seinen Geldbeutel steckten.
Ich berichtete davon dem Dekan: dass das Geld, das für Zehntabgaben und Spenden im Dorf verbleiben sollte, in den Geldbeutel eines Mönchs wanderte, damit die Beichte unerkannt abgelegt werden konnte. Wir sind ein kleines Dorf mit einem Fluss, der genauso gut eine Mauer sein könnte, denn er hält die Außenwelt von uns fern. Wir wären ruiniert, wenn dieses Bezahlen von Wandermönchen zur Gewohnheit würde – das sagte ich ihm, und es war die Wahrheit. Geld ist ein Konzept, das der Dekan versteht, nicht weil er durchtrieben oder besonders opportunistisch wäre, sondern weil er, je mehr Zeit vergeht, desto verzweifelter wird. Die Gemeinden, die ihm unterstellt sind, litten in jenem Winter, und wem waren diese Leiden zuzuschreiben, wenn nicht – wenigstens zum Teil – ihm? Wenn sich nicht genug Menschen um Land und Vieh kümmern, wenn die Hälfte der Tiere stirbt, dann hungert das Dorf, und wenn das Dorf hungert, dann richten die Leute den Blick auf mich, und ich richte den Blick auf den Dekan, und er richtet den Blick auf den Erzdiakon und dieser auf den Bischof, nur um festzustellen, dass da keiner ist. Und die Menschen verlieren ihren Glauben, weil ihre Beschützer sie nicht beschützt haben, und Gott verliert seinen Glauben an die Beschützer, die er berufen hat, damit sie den Glauben an ihn in den Herzen der Menschen wachhalten. Und sobald der Herr dir nicht mehr vertraut, bist du wie ein einbeiniger Schwimmer, der gegen die Strömung schwimmt.
Da waren wir also – zwei Männer, die wenig füreinander übrighatten und von denen einer das Glück hatte, zufällig auf den absonderlichsten Hass des anderen gestoßen zu sein: Für den Dekan waren Wandermönche allenfalls Händler oder Trödler, mit genauso wenig geistlicher Befugnis. Oder sie waren Diebe und Strolche. Es habe da einen gegeben, sagte er, der halb Mensch, halb Tier gewesen sei und den Körper eines Bären gehabt habe. Wir setzten uns ans Feuer, ich tischte dem Dekan ein Ale und Lammbraten auf – es war kurz nach Ostern – und hörte mir seine Ansichten an. Als ich seiner seltsam leidenschaftslosen Hasstirade lauschte, fühlte es sich an, als ob mir kaltes Wasser auf die Füße tropfen würde. Danach schüttelten wir uns halbherzig die Hände und machten unsere Zugeständnisse – er stimmte zu, dass wir eine Zeit lang einen Beichtstuhl erprobten, und ich, dass ich diesen ohne zusätzliche Kosten beschaffen würde.
Im letzten Winter wurde die breite Eichentür am Nordeingang gegen eine neue ausgetauscht; wir lehnten die alte Tür an die Südwestecke der Kirche und bildeten damit einen dreieckigen Raum, in dem ich sitzen konnte. Philip, der drüben in Old Cross lebt, sägte ein Loch hinein, und seine Frau Avvy flocht ein ganz ordentliches Gitter aus Haselholz, durch das man seine Sünden beichten kann. Ein Vorhang auf der anderen Seite schirmt das Beichtkind ab, das zwischen Vorhang und Tür kniet. Die ganze Vorrichtung ist unausgereift und eigentlich kindisch. Ich weiß nicht, was ein Italiener davon halten würde. Für ihn würde es wohl eher wie der Bau eines Tieres aussehen oder wie ein Ort, an dem Darm und Blase ihr Werk tun – nicht wie ein Ort, an dem Gott sein Werk tut.
Oakham, das kleine und unbedeutende Oakham, das eingezwängt zwischen Fluss und Bergkamm liegt, verfügt über den einzigen Beichtstuhl Englands – zumindest soweit wir wissen. Vielleicht existieren andere Oakhams. Wir haben nie von ihnen gehört. Jeder Bischof in diesem Land würde anordnen, das Ding herauszureißen – jeder Bischof außer dem einen, der im Gefängnis sitzt und seit Jahren nicht mehr an etwas anderes als sich selbst gedacht hat und daran, wie er seine Haut retten kann.
Es kann von Vorteil sein, wenn einen die Welt vergessen hat. Der Beichtstuhl führte dazu, dass wir uns als Gemeinde nach innen gewandt haben, zu uns selbst – wie Primeln, die in dichten Büscheln beieinanderstehen. Die Kirche platzt vor Spenden aus allen Nähten: zwei neue Abendmahlkelche zusätzlich zu den beiden, die wir vorher schon hatten; drei neue Garnituren Messgewänder und Soutanen; ein neues Vortragekreuz; ein dunkelpurpurner Fastenschleier; ein Weihwassertopf; vier große vielarmige Kerzenleuchter und ungezählte der schlichteren Sorte, Weihrauch, eine schöne geschnitzte Holzabdeckung für den Taufstein; bestickte Banner; ein zusätzlicher Rosenkranz für das Kirchenportal; ein Kissen zum Niederknien im Beichtstuhl; eine Laterne; Gemälde von der heiligen Katharina, dem heiligen Erasmus und der heiligen Barbara (um den Tod abzuwehren); ein ungelenk bebilderter Psalter und jedes erdenkliche Marienbild oder Gebet an die Heilige Jungfrau: eine Kopie des Obsecro te, des schönsten Mariengebets, das es gibt, und von dem Lied »Ich künde von einer Magd«; außerdem ein Kupferstich der Mutter der Barmherzigkeit, ein Holzstich der Mutter der Barmherzigkeit, ein laienhaftes Wandbild der Mutter der Barmherzigkeit, ein Elfenbeinfigürchen der Mutter der Barmherzigkeit; wir haben ein Vesperbild, auf dem die Augen der Gottesmutter verschleiert sind und tieftraurig dreinschauen und der Christus auf ihrem Schoß bereits totenstarr ist. Dann haben wir noch das seltsame und fragwürdige Vesperbild über Newmans Altar, bei dem die Augen der Jungfrau fragend auf uns gerichtet sind und der verwundete Christus mit schockierend gespreizten Beinen daliegt, zart wie frisches Fleisch. Das Gemälde glüht förmlich von Farben, wie sie nur die Italiener herzustellen wissen. Und dort am Triumphbogen hängt eine Schnitzerei der Mater Dolorosa, die sie in erschütternder Trauer am Fuß des Kreuzes zeigt. Und für jedes gestiftete Bild oder Gebet besitzen wir genug Kerzen, um die Muttergottes für Monate oder sogar Jahre zu beleuchten.
Der Dekan war immer skeptisch; er meint, dass ein Beichtstuhl die Leute nicht davon abhalten werde, zu einem schurkenhaften reisenden Ordensbruder zurückzukehren. Denn ich wisse ja bei den meisten Pfarrbewohnern trotz der Trennwand, wer sie sind, und die meisten wüssten das, und ich wiederum wisse, dass sie das wüssten. Was für eine Art von Diskretion solle das sein? Ich finde, dass der Dekan mit dieser Einschätzung eigentlich nur zeigt, wie fremd ihm Feinheiten sind. Es geht nicht darum, dass ich sie nicht sehe, sondern dass sie mich nicht sehen – versteht er das nicht? Ich habe meine schrecklichsten Bürden zu Füßen Gottes abgelegt, weil ich ihn nicht sehen kann. Warum sonst würde jemand, der so groß ist, unsichtbar bleiben? Wenn ich dem Herrn in die Augen hätte sehen können, hätte ich vielleicht ein oder zwei gebeichtet und die schlimmsten für mich behalten. Mein Herz hätte sich verschlossen, um sich selbst zu schützen. Anders gesagt: Selbst ein friedlicher Hund knurrt und stellt das Fell auf, wenn man ihm direkt in die Augen schaut. Nein, unsere Seelen offenbaren wir am besten blind, und wenn man den Dekan davon überzeugen muss, dann soll er doch selbst zur Beichte kommen und mir, dem Unsichtbaren, seine dunkelsten und schlimmsten Sünden bekennen.
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