Über dieses Buch
Eigentlich ist es grotesk: Die Mutter von zwei kleinen Kindern sitzt im Büro einer Behörde, hat in ihrem Fünfzigprozentjob kaum etwas zu tun und verdient damit Geld. Vor und nach der «Arbeit» hat sie Stress in einem hoch getakteten Alltag mit den Kindern und dem Haushalt. Mit dieser intensiven Tätigkeit verdient sie nichts.
Warum ist die eine Arbeit bezahlt und die andere nicht? Warum ist die Erwerbsarbeit «richtige» Arbeit und Hausarbeit wie Kindererziehung nicht? Weil sie vor allem von Frauen übernommen wird?
Nach «Müde Mütter – fitte Väter» geht Sibylle Stillhart dem Widerspruch nach, dass von den Müttern heute gefordert wird, möglichst kurz nach einer Geburt möglichst in Vollzeit einer Erwerbsarbeit nachzugehen, Kinder hin oder her. Will die Wirtschaft bloss den Fachkräftemangel ausgleichen oder gar den Lohn drücken? Unter die Räder kommen neben den erschöpften Müttern auch die Bedürfnisse der Kinder.
«Schluss mit gratis!» plädiert dafür, die unbezahlte Arbeit auf die politische Agenda zu setzen – denn es ginge, wenn man nur wollte.
Sibylle Stillhart, geboren 1973, arbeitete als Journalistin und Redaktorin für diverse Zeitungen und Zeitschriften sowie als Pressesprecherin in der Bundesverwaltung. Sie hat drei Kinder und schreibt heute als freischaffende Journalistin und Autorin. Im Limmat Verlag ist lieferbar «Müde Mütter – fitte Väter. Warum Frauen immer mehr arbeiten und es trotzdem nirgendwohin bringen».
Sibylle Stillhart
Schluss mit gratis!
Frauen zwischen Lohn und Arbeit
Limmat Verlag
Zürich
Meinen Söhnen
Ich sitze in meinem Büro vor dem Computer und surfe gelangweilt im Internet. Es ist 10.21 Uhr, die Zeitung habe ich längst gelesen, die E-Mails gecheckt, auch die obligatorische Vormittagspause in der Kantine ist vorbei. Viel gibt es an diesem Morgen nicht zu tun, und – so wie es aussieht – auch die nächsten Tage, die nächsten Wochen, die nächsten Monate nicht. Warum eigentlich bin ich in dieser Behörde als Kommunikationsbeauftragte angestellt, wenn ich doch kaum Arbeit habe? Zwei oder drei Medienmitteilungen im Jahr zu schreiben und einen Tätigkeitsbericht für die mässig interessierte Öffentlichkeit zu präsentieren – das wäre vielleicht ein Arbeitsaufwand von zwei Monaten im Jahr; ich habe dafür ein 50-Prozent-Pensum.
Auch meine Bürokollegen, die als Juristen oder Ökonomen ausgebildet sind, haben nicht wirklich etwas zu tun, obwohl sie in höheren Pensen angestellt sind als ich. Zugeben würde das hier aber niemand. Lieber versteckt man sich hinter der verschlossenen Bürotür und hinter dicken Aktenordnern, die seit Wochen am selben Platz auf dem Pult liegen. Auf dem Flur, wo man sich zufällig kreuzt, sind die Begegnungen kurz, weil entweder die «Arbeit ruft», ein «wichtiger Termin» ansteht oder ein «dringendes Telefonat» gemacht werden muss. Eiligst verdrückt man sich wieder, blickt angestrengt auf den Bildschirm, um davon abzulenken, dass man nichts zu tun hat.
Es ist alles andere als paradiesisch, in einem Büro die Zeit abzusitzen. Als einer meiner Bürokollegen mir einmal erzählte, dass er als Mitglied unserer Behördenleitung einen Stundenlohn von 220 Franken verrechnen könnte, falls «ein Kunde» eine Auskunft einholen möchte (was jedoch niemals passiert), war ich ziemlich perplex. 220 Franken für ein paar Auskünfte? Ich bezahle meiner Putzfrau, die in diesem Moment gerade in meiner Wohnung sauber macht, 30 Franken die Stunde – sie arbeitet aber ausgesprochen hart für dieses Geld.
Was ist «Arbeit»? Wer entscheidet, welche Arbeit wie viel Geld wert ist? Wer entscheidet, welche Arbeit bezahlt wird? Und welche nicht? Weshalb verdienen Menschen, die Knochenarbeit leisten, so viel weniger als Büroangestellte oder Manager in der Komfortzone? Wer macht wirklich sinnvolle Arbeit, die eine Gesellschaft weiterbringt?
Oft, das möchte ich nicht leugnen, kommen mir diese ruhigen Stunden im Büro gelegen. Ich habe ein wenig Ruhe und muss nicht jede Sekunde ein Bedürfnis eines meiner Kinder befriedigen. Tatsächlich bin ich erschöpft von meinem Leben als Mutter von zwei Kleinkindern und einem oft abwesenden Mann. Es ist anstrengend, die Kinder an meinem Job vorbeizujonglieren und nebenher noch einen Haushalt zu schmeissen.
Unser Tag beginnt um halb sechs Uhr früh – nach einer Nacht, die mindestens zwei, eher dreimal unterbrochen worden ist. Zu dieser frühen Morgenstunde verlangt mein dreijähriger Sohn seine Milch – so laut, dass auch sein knapp einjähriger Bruder wach wird. Todmüde haste ich in die Küche, wärme Milch, bringe sie den hungrigen Kindern ins Bett. Dann mache ich Frühstück, setze Kaffee auf, wickle das Baby, ziehe es an, räume das Geschirr weg, die Küche auf, beschäftige den grossen Bub, klaube die Playmobil-Pistole unter dem Bett hervor, verabschiede meinen Mann, der es immer eilig hat, ziehe mich an, kämme mir die Haare, durchwühle den Kasten nach sauberen Strumpfhosen für das Baby, packe die Kinder in die Winteroveralls, binde ihre Stiefel, ihre Mützen und suche nach einem verlorenen Handschuh, damit ich die beiden trotz des Schnees möglichst unversehrt in die Kita bringen kann. Stehen wir draussen vor der Tür, bin ich trotz der Kälte nass geschwitzt. «Wo ist der Nuggi, Mama?», fragt mein dreijähriger Sohn und ich renne nochmals hoch, um den Schnuller zu suchen. In der Kita angekommen, jammert der Grosse, weil er lieber bei mir bleiben möchte. Ich tröste ihn, verabschiede mich dann mit einem klammen Gefühl, eile zum Tram, das mich ins Büro bringt.
Schon wieder bin ich eine halbe Stunde zu spät dran, als ich die Tür zum Büro aufstosse. Meine Kollegen grüssen zwar höflich, blicken aber auf die Uhr. Es wird nicht gern gesehen, wenn jemand nach neun Uhr morgens im Büro auftaucht – obwohl jeder seine Arbeitszeit selbst einteilen kann und ich durch meine Abwesenheit niemandem zusätzliche Arbeit aufbürde. Trotzdem gilt die ungeschriebene Regel: Der Erste im Büro ist der Fleissigste. Und der, der als letzter Feierabend macht, gilt als «gewissenhaft» und «unentbehrlich» – ganz egal, was während der Anwesenheit im Büro tatsächlich gemacht wird. In manchen grossen Unternehmen sehe man Leute, die bis zum Gehtnichtmehr in ihrem Büro bleiben, um dort persönliche Telefongespräche zu führen, im Internet zu surfen, gratis Fotokopien zu machen und Zeitung zu lesen, schreibt die französische Schriftstellerin Corinne Maier in ihrem Buch «Die Entdeckung der Faulheit». «Es macht in Frankreich und in vielen anderen Ländern einen guten Eindruck, wenn man bis 20 Uhr oder gar 21 Uhr im Büro bleibt, wenn man ‹eingespannt› ist. Das beweise, dass man seine Arbeit liebt.»1
Auch bei uns im Büro ist es so. Als Mutter gehöre ich aber zu den ständigen Verliererinnen in diesem Wettlauf um Präsenzzeit – selbst wenn ich mich seriös um die wenige Arbeit kümmere, die mir bleibt. «Pech gehabt, wenn die berufstätige Mutter ihre Arbeit besser macht als andere und effektiver ist, was meiner Erfahrung nach oft der Fall ist – nicht sie diktiert die Spielregeln, sondern die Männer tun es», schreibt Corinne Maier.2 Das Familienleben sei ein Handicap für die Karriere der Frau, während es sich positiv auf die der Männer auswirke. «Warum? Ganz einfach, weil man sie nach 18 oder 19 Uhr kaum noch sieht … Sie ist also kaum verfügbar in den strategisch bedeutenden Arbeitszeiten, in denen das Unternehmen zusammenrückt und seine blind ergebenen Gefolgsleute zählt.»
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