Wenn man den STERN aber an den andern deutschen Illustrierten misst, ist er natürlich eine hervorragende Erscheinung. (Die andern sind allerdings so fürchterlich, dass man nichts an ihnen messen sollte.) Kuby verschweigt das nicht, er hebt die Leistungen des Blattes immer wieder hervor: die Serie von Koch über den Rüstungswahnsinn (derselbe, jawohl, welcher «Rasierklingen an den Ellbogen hatte», wie DIE ZEIT geschrieben hat), die sehr anständige Berichterstattung über Baader-Meinhof, Rudi Dutschke, die Studentenbewegung – aber «der Riss geht durch die Person», schreibt Kuby, «derselbe Bissinger, der ein persönlicher und selbstverständlich auch ein politischer Freund Rudi Dutschkes wird – was der Millionenleserschaft des STERN durchaus nicht verborgen bleibt –, ist imstande, zu dem Börsen- und Wertpapierabenteurer Bernard Cornfeld zu fliegen» und diesen im Ton des «billigen, unkritischen Illustriertenjournalismus» zu beschreiben. Solche zerrissene Personen habe ich beim STERN nicht wenige getroffen, den grossen Gillhausen zum Beispiel, Foto-Chef und einziger Überlebender (unterdessen, 1985, auch schon nicht mehr) der ehemaligen Führungs-Troika (Schmidt-Koch-Gilhhausen), der letztes Jahr kreative Vorstellungen für den Pariser Korrespondentenjob entwickelte und mich damit angeheuert hat (über das sozialistische Frankreich müsse ausführlich und seriös im STERN berichtet werden, hiess es damals) – und der dann vor kurzem jene Schicki-Micki-Fotoreportage ins Blatt hievte, die mit den billigsten Mitteln der bildlichen Persiflage eine Pseudo-Bilanz des neuen Mitterrand-Regimes präsentierte; als Wurmfortsatz dazu ein kleiner Text von Katharina H., der auch im «Figaro» hätte erscheinen können: insgesamt eine unseriöse Angelegenheit, wie Alfred Grosser dem STERN-Büro Paris telefonisch mitteilte.
Überhaupt dieses Büro … (17, avenue Matignon, Paris 8e, teure Adresse). Eine kontinuierliche Berichterstattung über Frankreich ist dort nicht möglich, trotz, oder wegen, des grossen Apparates: sieben Personen, dazu die schönsten technischen Errungenschaften wie Bildkopierer, Textübermittlungsgerät etc. – an der Technik hat es beim STERN noch nie gefehlt. Die Reportage über einen der grossen verstaatlichten Betriebe – was hat sich in einer solchen Fabrik geändert für Arbeiter; Direktoren, Gewerkschaften? –, die ich schon im letzten November vorgeschlagen hatte, konnte nicht realisiert werden, die Idee provozierte im Auslandressort nur Gähnen. Hingegen musste ich über Neujahr zisch und knack, ruck und zuck nach Marbella jetten, um den grössten Bankraub der Weltgeschichte d.h. die leeren Tresore in einer Bank, zu schildern (STERN-Redakteur Meienberg sprach mit den geraubten Edelsteinen). Nichts gegen ausgeraubte Banken, wirklich nichts – aber die grossen französischen Themen sollten deshalb nicht vernachlässigt werden. Eine Reportage über Rassismus in Marseille musste ich «auf Befehl der Chefredaktion» (wie oft habe ich den Ausdruck gehört?) abbrechen – sofort nach Hamburg fliegen, Barbie war ausgeliefert worden, Koch möchte sofort, am liebsten gestern, eine Serie über «Kollaboration und Widerstand» – Wann können Sie liefern, Herr Meienberg? –, welche Arbeit ich in Angriff nahm und leider nach dem Hitler-Tagebuch-Schlamassel unterbrechen musste, weil man als STERN-Vertreter in Frankreich heute nicht über die Hitler-Zeit recherchieren kann, ohne ausgelacht zu werden. Unterdessen kam zum Vorschein, dass bis vor einigen Jahren der Leiter des Gruner & Jahr-Büros in Paris (welchem Verlag der STERN gehört) ein gewisser Benno Schaeppi gewesen war, Landsmann, jetzt in Ehren pensioniert. Schaeppi … Schaeppi … Der Name tönt so vertraut. Und richtig, es handelte sich um jenen historischen Schaeppi, der zahlreiche Schweizer für die Waffen-SS angeworben hatte, Standartenoberjunker, Lieferant der Gestapo etc. Ein paar Meter von jenem Büro entfernt, wo der Oberkollaborateur Schaeppi jahrelang für den Verlag, welchem der STERN gehört, gewirkt hatte, sollte jetzt die Serie «Kollaboration und Widerstand» für den STERN geschrieben werden … Als ich meine Bestürzung darüber einem Kollegen vom STERN mitteilte, wurde mir erwidert: Schaeppi sei von seinen politischen Gesinnungsfreunden, hoch oben im Verlag, engagiert worden, und ich solle nicht den Puristen spielen.
So reden die dort.
PS I: Anruf von Gillhausen: Er habe sich sehr geärgert nach der Lektüre des Artikels, und zwar über sich selbst und den STERN, weil die Zustände richtig geschildert seien. Und ob ich nicht als freier Mitarbeiter wieder etwas für den STERN produzieren möchte? Etwas mit dem Fotografen René Burri?
PS II: Ex-Chefredakteur Felix Schmidt, der das Tagebuch-Schlamassel mitverschuldet hat, ist wieder Chefredakteur: Bei HÖR ZU (Die Zeitschrift mit der grössten Auflage Deutschlands).
Schwirrigkeiten des Bluck mit der Wirklklichkeit*
Übersack,* Werbeplakat des BLICKs, zum eigenen Geburtstag mit berühmtem Lapsus: «BLICK hat solchen Erfolg, weil Hunderttausende von Schweizerinnen und Schweizern wissen: Über das, was wirklklich interessiert, wird man im BLICK am schnellsten und besten informiert.» der soignierte Nachtportier und Chefredaktor mit dem Seidenblick und der quicken Dompteurpeitsche, mustert abends immer die Worternte des verstrichnen Tages, den Wortzoo seines Blattes. Wörter trietzen, bis das Grosi quietscht. Wörter melken schlitzen litzen. Wie das muht und blökt, stampft und dampft, blüht und glüht, rockt und sockt, wie rhythmisch heute wieder alles galoppiert. Es war wieder ein guter Tag. Zwei Schwárze stáhlen ín der Schweiz/über 1000 wéisse Büstenhálter. Zwei Weísse stáhlen in der Schwárz/über 1000 gélbe Féderhálter. Frau biss im Liebesrausch zu – Übersack im Spital. Kurze Sätze. Ein Gedanke pro Satz. Zwei Gedanken pro BLICK. Keine warme Luft. emd befiehlt: Hosen runter. Übersack befiehlt: Schnäbi an die Luft. Wolfisberg warnt die Wölfe: Offensive kann tödlich sein. Wölfe warnen Wolfisberg. Defensive kann möglich sein. D's Hürate u ds Boue het no mänge groue. BLICK-Leser finden die schönsten Hausinschriften, wie spürt eigentlich der Mann, dass die Frou zum Orgasmus kommt. Die Anti-Schmerz-Kapsel Melabon. Beide wollten ausweichen – Frontalkollision mitten auf der Wiese. Lügt Frau Kopp? Liebe Marta. Orgasmus u ds Boue het no kene groue. 5jähriger Übersack geriet in Kreissäge – tot. Eis im Pool – so kühlt Julio Übersack für besondere Gäste das Wasser. Witwe Sally: Schweres Leben ohne Peter Übersack. Knecht Sämi – ein Schicksal, wie man es von Gotthelf kennt, Gotthelf kennt, Gotthelf kennt. Auch ich nickte auf der Todesstrecke ein, Gottvater soll mein Zeuge sein. Liebe Marta, lieber Peter, Turi Honegger schlackert mit den Eselsohren. Karibik zum Superpreis, ab 1090.– und voller Kuoni-Vorteile. Lausanne holt Milani aus der Wüste zurück. Mikrogenitalis? Sofort starke und bleibende Vergrösserung ihres Penis durch Vakuum-Wundergerät, morgen ist es zu spät. Spiritus-Anlage im Gotteshaus.
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So schwirrt die Lyrik der Schwirr-und-Schlag-Zeilen jeden Tag dem Leser an den Kopf, so stampft ihn die After-Poesie in Grund und Boden, so knockt sie ihn out. Der Leser dankt: er kauft, frisst und vergisst. Dann kauft er wieder. Uebersax und seine Crew sind die einzigen erfolgreichen Lyriker der deutschen Schweiz (Lyrik-Grafiker oder Grafik-Lyriker). Und kann man sich vorstellen, dass Alfred Döblin, wäre der BLICK damals schon greifbar gewesen, in seinem «Berlin Alexanderplatz» BLICK-Schlagzeilen montiert hätte, um den Eindruck des Überprallen, der Sättigung und der zischenden Modernität zu fabrizieren. Der BLICK ist das konsequenteste Gesamtkunstwerk an unsern Kiosken. Alles ist in eins gekehrt. Die Schranken zwischen Sex und Politik, Panzerbeschaffung und Unterhöschen, Kleinkram und Weltereignis, Wirtschaft und Hormonen werden niedergerissen, geografisch und zeitlich weit entfernte und logisch nicht verknüpfte Ereignisse oder Nicht-Ereignisse mit der schnellen Klaue des BLICK-Redaktors von den Philippinen, aber auch von Affoltern am Albis herbeigefetzt, in die gleiche Spalte geknallt, als Continuum aufbereitet und serviert. Alles ist austauschbar wiederholbar umkehrbar. Alles ist mixbar. Die ästhetische Form ist die des anonymen Gesamtkunstwerks, wie bei der BILD-Zeitung:
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