Über dieses Buch
Sie machten Furore, die Reportagen Meienbergs, erregten Aufsehen, wurden viel gelesen und diskutiert. Sie waren genau recherchiert, dramaturgisch sorgfältig gebaut und brillant geschrieben, ihr streitlustiges Engagement fuhr wie ein frischer Wind in den prätentiös-bildungsbürgerlichen Mief der Feuilletons, und bis heute haben sie ihre Frische bewahrt.
Der Inhalt dieses E-Books entspricht dem Kapitel «Im eigenen Land» aus Band 2 der Reportagen, ausgewählt und zusammengestellt von Marianne Fehr, Erwin Künzli und Jürg Zimmerli, Limmat Verlag, Zürich 2000:
Zug, sein Charme und seine Zuzüger
Zurick Zurick horror picture show
Bodenseelandschaft
Perlen ist ein Dorf, das ganz der Fabrik gehört
Vom Ozon und seinen Verwaltern
Vielleicht sind wir morgen schon bleich u. tot
Plädoyer für ein Übergangs-Objekt, d.h. für die Wieder-Einführung der Kavallerie
Die Kapellbrücke: ein rentabler Brand in Luzern
Foto Roland Gretler
Niklaus Meienberg (1940–1993), Historiker, Schriftsteller und Journalist. Er erfand die Reportage neu und dichtete ungeniert mit dem überlieferten Material europäischer Lyrik. Mit seinen Texten zur Zeitgeschichte war er ein grosser Streiter, dessen «Sprachgewalt» auch seine Feinde bewunderten. Wie kein zweiter hat sich Niklaus Meienberg der Öffentlichkeit ausgesetzt, seine ganze Person hat er in seine Texte eingebracht, und mit seiner ganzen Person ist er für sie eingestanden.
Niklaus Meienberg
Im eigenen Land
Ausgewählt und zusammengestellt von Marianne Fehr, Erwin Künzli und Jürg Zimmerli
Limmat Verlag
Zürich
Zug, sein Charme und seine Zuzüger
Man kann sich der Stadt Zug – wie nett liegt sie im Schutz ihrer Türme am Wasser! – auf verschiedene Weise nähern, vom See her zum Beispiel, aber auch auf dem ebenen Landweg von Baar oder Oberwil, oder vom Berg herunter kann man auch kommen und sieht sie dann hübsch konzentriert (Altstadt) in der Tiefe liegen und metastasenartig, krebsgeschwürmässig in Richtung Zürich wuchern (das Neue). Kommt man vom See, so geniesst man dieselbe Perspektive wie Margret Thatcher, die energische, welche sich bekanntlich immer wieder ferienhalber auf dem Landgut der Familie Glover-Hürlimann erholt und bei dieser Gelegenheit der zugerischen Masseuse A. ihren Rücken zur Massage darbietet (kneten, aufstreichen, groblockern, rundstreichen, feinlockern, Rügeligriff, falscher Kammgriff, Heizgriffe).
Unweit des Glover-Hürlimannschen Landgutes liegt die alte Herrschaft Buonas, heute im Besitz der Witwe Bodmer, riesiges Gelände mit bemerkenswerten Bäumen, leerstehendem Schloss, Herrschaftshaus und etlichen Bediensteten. Dort befindet sich ein unabsehbar grosses Stück Natur noch im besten Zustand, der aber leider nur von Frau Bodmer, ihren Gästen und Bediensteten goutiert werden kann, denn der Zutritt ist verboten, das Seeufer bleibt prinzipiell unzugänglich. Der Blick auf Zug jedenfalls ist von dort aus auch sehr lohnend, wie der Reporter bestätigen kann, der an einem Sonntagnachmittag, als er nach einer Woche Zug über die zugerischen Verhältnisse in aller Ruhe meditieren wollte, von einem Bodmerschen Gärtner mit harschen Bemerkungen weggewiesen wurde.
Unweit dieser Latifundien, seeaufwärts, liegt das sehenswerte Grundstück der Witwe Göhner. Dieser ungemein bekannte Bauunternehmer hatte bekanntlich weite Strecken der Schweiz mit Neubauten bedeckt, ihn selbst aber zog es in die Natur, zum stillen Genuss der Naturschönheiten. Die Witwe Göhner hat nun ein Stück Land dem Paraplegikerzentrum in Basel vermacht, und soll jetzt auf ihrem Territorium gebaut werden, damit sich die Paraplegiker am Zugersee erholen können. Die Nachbarschaft von so vielen querschnittgelähmten Leuten scheint aber der Witwe Bodmer nicht ganz zu behagen; und so hat denn zwar nicht sie, sondern ihr Obergärtner, in der Lokalpresse einen Leserbrief veröffentlicht, der auf die Unbekömmlichkeiten des geplanten Paraplegikerzentrums hinweist.
Buonas gegenüber liegt das Herrschaftshaus der Witwe Gyr, die mit dem Firmengründer der bekannten Landis-&-Gyr-Fabrik verheiratet gewesen ist (im Volksmund Landis und Geldgier genannt). Diese Fabrik ist mit viertausendfünfhundert Beschäftigten die grösste von Zug. Witwe Gyr bewohnt, umsorgt von zwei Gärtnern, zwei Dienstmädchen und einem Chauffeur, den bemerkenswerten Herrensitz am See, dessen Realwert (Genusswert) leider durch das steigende Verkehrsaufkommen der allzu nahen Kantonsstrasse eindeutig gelitten hat. Ihr Chauffeur, zugleich Dirigent des Jodlerchores «Maiglöggli», führt sie einmal pro Woche zur Pedicure nach Zürich und sei auch verantwortlich für das reibungslose Funktionieren der Boote, die im Bootshaus liegen. Er trägt einen interessanten Ledermantel.
Frau Gyr gilt in Zug als Sehenswürdigkeit, liess und lässt sich in der Stadt kaum blicken, lebt zurückgezogen; und so kamen sich der Fotograf Gretler und ich denn auch sehr privilegiert vor, als ihr Enkel, der freundliche Ethnologe Daniel Brunner, uns eröffnete: Heute besuchen wir die Grossmutter! Nach kurzer Fahrt betraten wir das Seegrundstück, der Blick ging nach Buonas hinüber, dann zum Gyrschen Herrensitz und zur oberhalb der Kantonsstrasse liegenden Kapelle, in welcher Pater Alberik Zwyssig die Hymne «Trittst im Morgenrot daher» erfunden hat; und dann sahen wir eine Frauensperson, die energischen Schrittes uns entgegenstrebte und mit hellklingender Stimme interpellierte – «was mached Sie do im Garte?» Es konnte sich dabei unmöglich um die hochbetagte Grossmutter handeln und war denn auch wirklich nur eine ihrer Töchter, Mutter des Ethnologen Daniel Brunner und Gattin des Landis-&-Gyr-Verwaltungsrates Andreas Brunner, der seinerseits ein Sohn des bekannten Theologen Emil Brunner ist; und wurden wir von ihr vorerst energisch des Grundstückes verwiesen, und nur auf die besonders eindringlichen Bitten ihres Sohnes Daniel hin wurde uns doch noch ein kurzer Zutritt bei der Witwe Gyr gewährt.
Das Haus ist auch innen von der rühmenswertesten Art, im Foyer konnten wir einen Bassano ausmachen, auch einen frühen Hodler, und die Witwe stand, selbst ein Bild, auf ihren Krückstock gestützt, im Gegenlicht auf der Schwelle des Salons, welche zu überschreiten uns nicht vergönnt war, und sagte: Zum Thema Zug habe sie rein gar nichts zu sagen.
Frau Gyr, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Topographie: Wenn man sich der Stadt Zug vom Berg her nähert (Zugerberg, Menzingen), dann entdeckt der Reisende, wieviel diese Stadt und ihr Inhalt wert sind. Denn oben auf dem Gubel sieht man gut erhaltene Raketen, eine voll ausgebaute Bloodhound-Stellung hinter Maschenzaun, etwa zehn oder fünfzehn schnittige, sehr teure, vom Design her wirklich ansprechende Fliegerabwehr-Raketen, dazu modernste Radarschirme und verbunkerte Feuerleitzentralen. Wenn da ein Flieger käme, die Stadt Zug und ihre komplizierten Handelsverbindungen stören wollte – er hätte sofort eine Rakete im Bauch. Man ist auch in der Abwehr modern, nicht nur im Handel. Die Raketen deuten alle nach Osten. Einige Lafetten sind unbestückt; vielleicht werden die dazugehörigen Flugkörper unterdessen frisch gestrichen.
Gleich unterhalb der Raketenstellung liegt das Kloster Mariahilf. Im Kriegsfall geht es sofort kaputt, die Bloodhound-Stellungen sind gewiss auf den Generalstabskarten des Warschaupakts eingetragen, und die Zielgenauigkeit der russischen Raketen lässt zu wünschen übrig. Die Nonnen aber, denen man auf einem Spaziergang begegnen mag, lachen weiterhin unbeschwert. (Voll Gottvertrauen.) In der Klosterkirche findet man an der Decke die Schlacht am Gubel gemalt, katholische und reformierte Truppen piesacken einander, Pferde stürzen in die Schlucht, Augen brechen, Lanzen stechen, die Katholiken gewinnen, bravo.
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