Ich fand Gefallen an seinem helvetischen Türkisch und sagte meinem Landsmann, ich stamme ursprünglich aus einem Dorf, sei auch deshalb in dieser Techniksprache nicht besonders gut. Diese Begriffe auf Deutsch zu hören sei für mich wie Kreuzworträtsel in einer mir unbekannten Sprache zu lösen. Ob er mir denn erklären könne, was «Frontpage» auf Türkisch heisse. Ich doppelte nach, dass ich wirklich am Kauf interessiert sei, und anstatt von einem anderen würde ich mich lieber bei einem freundlichen Landsmann, wie er einer sei, beraten lassen.
Zuerst bedankte er sich für das entgegengebrachte Vertrauen. Dann stöhnte er laut, kratzte sich einen kurzen Moment an der Schläfe. Moment mal, rief er plötzlich aus, er rufe einen türkischen Arkadas an, der baska Filiale de Geschäftsführer sei. Er holte sein iPhone aus der Hosentasche, wählte die Nummer. Hier gebe ich sein kurzes Telefongespräch eins zu eins wieder:
«Hoi Murat, da isch Burak. Weisch, bizim huära Filialleiter mit den Chunde Muttersprache rede istiyor. Simdi bir Landsmann da, voll nöd integriert! Stell dir das vor, hey Mann! Er verstoht keis Wort Dütsch! Frontpage nedir diyor auf Türkisch. Wie chan ich ihm das erkläre? Säg mir wie?!»
Was der Kollege ihm darauf drei Minuten lang am Telefon erzählt hat, weiss ich nicht. Mir sagte der Verkäufer, dass sein Landsmann gesagt habe, in der ganzen Schweiz könne überhaupt niemand dieses Wort auf Türkisch sagen. Ich könne den Compi kaufen, und er werde mir die türkische Übersetzung des Wortes irgendwann per E-Mail schicken.
DönerBox yiyecegiz
Die Wette am Gymnasium
Ich las an einer Kantonsschule aus meinen Texten. Unter den dreissig Schülern war einer mit türkisch klingendem Namen. Über diesen einzigen Namen war ich so erfreut, als hätte mir jemand an diesem Vormittag einen Goldtaler geschenkt.
Unter meinen Texten war einer über eine Begegnung mit einem jungen Computerverkäufer: Ich war in einem Computergeschäft, und der türkischstämmige Verkäufer wollte mich auf Türkisch beraten, wie es ihm sein Chef empfohlen hatte. Von allen Wörtern in seinem Türkisch waren aber mehr als die Hälfte deutsch.
Der Kantonsschüler mit dem türkischen Namen hörte sehr aufmerksam zu, und bei diesem Text über den Verkäufer lachte er viel, schüttelte den Kopf und rief mehrmals laut: «So eine Hors-Sol-Gurke!» Gemeint war nicht ich, sondern der Computerverkäufer.
Nach der Veranstaltung kam er sofort zu mir, stellte sich als Nazim vor. Ich nahm an, dass seine Eltern Bewunderer des weltbekannten Dichters Nazim Hikmet waren. Seine Mutter sei eine georgisch-stämmige Türkin, berichtete er, sein Vater zu drei Viertel Kurde. Ich fragte den jungen Nazim, was er sei.
«Ich bin … hä? … was bin ich?», sagte er stockend.
Der junge Nazim sagte, er habe alle Gedichte des Dichters Nazim gelesen, und behauptete, dass er besser Türkisch könne als der Verkäufer in meinem Text. Ich erwiderte, dass ich ihm erst glauben würde, wenn wir das überprüft hätten.
Wir sassen in der Mensa, zusammen mit seiner Freundin Jacqueline und zwei weiteren Kollegen, und schlossen eine Wette ab: Wenn Nazim in seinem Türkisch weniger deutsche Worte verwende als der Verkäufer im Text, also weniger als fünfzig Prozent, würde ich ihn und seine drei Begleiter bei Ferhad zu einer DönerBox einladen. Wenn ich die Wette gewinnen würde, müsse Nazim für mich einen zweiseitigen deutschen Text auf die Grammatikfehler prüfen.
Die Aufgabe Nazims war sehr einfach, was auch er so empfand. Er sollte seiner Mutter am Telefon erzählen, was er heute in der Schule erlebt hatte. Als er sein Telefon aus dem Rucksack holte, jubelten seine Freunde Nazim zu wie Fans einer Fussballmanschaft. Jacqueline würde den Bericht von Nazim mit ihrem iPhone aufnehmen, zur Überprüfung.
Nazim trank einen Schluck aus seiner Flasche, hustete zwei Mal, rief die Mutter an, nachdem er die Kollegen ermahnt hatte, sie dürften nicht lachen, sonst gerate er durcheinander, und sie alle würden die Wette verlieren.
«Anne, bugün bizim Schuleye bir Autor geldi. Buchlarindan ve Textlerinden vorlese yapti. Dötte isch öppis u luschtigs debii. Bir Verchäufer, so en depp! O Autor var ya. Compüter kaufe yapacak. De Depp onu berate yapiyor Türkce. Cok cok dütsch Wörter katiyor. Mischlet wie Ayran! (Da lachten er und seine Freunde laut.) Ve FrontPage nedir Türkce bilmiyor. FrontPage isch FrontPage! Egal ob Türkisch oder Chinesisch. Biz bir Wette yapiyoruz. Wenn i gewinne, DönerBox yiyecegiz arkadaslarim ile. Denn chume ii nit znacht.»
Jacqueline transkribierte die Aufzeichnung geschwind auf ein Papier, und wir zählten die Wörter. Tatsächlich waren von den fünfundsiebzig Wörtern siebenunddreissig auf Deutsch und siebenunddreissig auf Türkisch gesagt worden. Der Stichentscheid fiel dem Begriff DönerBox zu. Da die Gymnasiasten sich auch nach langer Diskussion nicht einig waren, welcher Sprache dieses Wort zuzuordnen war, endete unser Duell unentschieden. Ferhads DönerBox aber schmeckte ihnen hervorragend.
Wohnung zu vermieten
Von Schweizer Tugenden
So stand es im Inserat: «Wohnung zu vermieten an Schweizer, Nichtraucher, ruhiger Mensch, arbeitstätig, Einzelperson, keine Haustiere, keine Kinder, der Parkplatz vor dem Zweifamilienhaus kann separat gemietet werden, gedeckter Velostand neben dem Haus, Gartenmitbenutzung nur mittwochs.»
Da das Inserat sehr gut gestaltet war, vermutete ich die Handschrift einer Person mit hervorragenden Grafikkenntnissen dahinter. Beispielsweise war das Wort «Schweizer» fett und in grösserer Schrift gedruckt, Velostand kleiner und kursiv und Gartenmitbenutzung in hellgrüner Farbe.
Dieser Anschlag in einem Einkaufszentrum, den ich im Vorbeigehen zufällig sah, machte mich an jenem Samstagmorgen neugierig, sodass ich mich auf der Stelle entschied, mit dem Inserenten Kontakt aufzunehmen, obwohl ich keine Wohnung suchte. Noch bevor ich meine Einkäufe ausgepackt hatte, schrieb ich zu Hause dem Inserenten eine Mail, dass ich als ein gut verdienender (das war die erste Lüge des Tages, weitere sollten folgen) und alleinstehender Mann eine Wohnung suche. Ich sei ruhig, tagsüber berufshalber unterwegs, abends ginge ich früh zu Bett, da mein Arbeitstag immer früh beginne. Ich gab mich als nichts anderes als ein Herr von Salis aus.
Nach einer Stunde war die Antwort von Frau Huber in meiner Mailbox: Man erwarte mich um 13.00 Uhr, und da meine Eigenbeschreibung viel verspreche, habe man an dem Tag nur mich zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen.
Bis in die Nähe des gelben Hauses mit einem eingezäunten grünen Garten radelte ich. Aus einer Entfernung von zwanzig Metern bemerkte ich an diesem sonnigen Tag ein Paar, je eine Hacke in der Hand, ein Beet jätend. Beide sahen ergraut aus, ich schätzte sie Mitte sechzig.
Vor dem Eingangstor blieb ich stehen und fragte, ob ich hier bei Hubers sei. Die Frau hob den Kopf. Ja, sagte sie mit einer angenehmen Stimme, wie sie mir helfen könne.
Ich sei mit ihnen für die Wohnungsbesichtigung verabredet.
Die Frau schaute mich verdutzt an, als habe sie gerade ein Krokodil vor sich liegen. Mit stotternder Stimme antwortete sie, man habe doch mit einem Herrn von Salis abgemacht.
«Herr von Salis steht höchstpersönlich vor Ihnen!», sagte ich mit einem gezwungenen Lächeln.
Ob ich das Inserat nicht richtig gelesen habe, fragte sie und warf die Hacke auf das Beet. Das schon, was jetzt falsch sei, fragte ich sie.
Sie müsse sich entschuldigen, sie habe im Inserat extra und deutlich schreiben lassen, dass sie die Wohnung nur einem Schweizer vermieten wolle.
Ich sei doch auch Schweizer, sagte ich und streckte ihr meinen Schweizer Identitätsausweis, den ich in der Brusttasche bereithielt, entgegen.
Ohne auf meine ID zu schauen, flüsterte Frau Huber, sie meinten eben einen richtigen Schweizer. Und meinem Aussehen nach zu urteilen, sei ich eben kein richtiger. Sie müsse aber unmissverständlich betonen, dass sie nichts gegen Ausländer habe. Es tue ihr leid, sie wolle mir die Wohnung nicht zeigen.
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