In 18,23 bekundet der zur Ehe mit Michal aufgeforderte David, dass er solcher „Ehre unwürdig“ 117sei. Allein auf sich bezogen bezeichnet er sich dabei als einen „armen Mann (
).“ Für Lesende, die mittlerweile bei beiden Ehe-Sequenzen auf die einstigen Belohnungen gelenkt sind, zeigt diese von David herausgestellte Armut das Gegenteil 118zur ersten Belohnung in 17,25 an. Dort galt: Den Mann (
), der Goliat überwindet, – „ihn wird der König reich machen (
) mit großen Reichtum (
).“
Was David vor dem Kampf gegen Goliat mit Interesse erkundet hat, hallt also bei seinen zwei Äußerungen nach, als er auf Sauls konkrete Pläne zu Verheiratungen reagiert. Das Vorenthalten der einst in Aussicht gestellten Belohnungen hat bei David nachhaltig Spuren hinterlassen. David erscheint auf diese Weise für die Lesenden als jemand, der nachtragend verletzt ist. Als Verletzter denkt er von den nicht gewährten, aber erstrebenswerten Belohnungen her.
Beim verletzten David ist in Kap. 18 eine auffällige Umdeutung der Heiratsthematik zu erleben. David nennt keine der Töchter Sauls mit Namen und redet auch nicht davon, eine Frau (
) 119bekommen zu können, selbst im Falle der Michal nicht, die ihn liebt. David hat hier die Frauen überhaupt nicht im Blick; stattdessen denkt er nur und alleine an seine Position beim König. 120In 18,18 leuchtet erstmals Davids Denkweise auf: „ich würde Schwiegersohn des Königs (
).“ Solche Redeweise kehrt noch fünfmal im Kapitel wieder (18,21.22.23.26.27). 121Hat David somit diese Redeweise aufgebracht, greift sie dann nicht nur der Erzähltext auf, sondern schon zuvor bereitwillig und auch anscheinend hinterhältig Saul (18,21.22).
Saul entnimmt dann dem Gedanken Davids in 18,23, dass ihm durchaus an der Position beim König liege (vgl. 18,24–25). Das Signal dazu gab wohl auch Davids Frage vor den Knechten. Josef Scharbert verstand Davids Frage vor Sauls Knechten etwa so: „Ist es in euren Augen leicht, Schwiegersohn beim König zu werden (18,23
)?“ 122Saul hört bei David anscheinend heraus, dass dieser sich ins Zeug legen würde. Einem einsatzbereiten, armen Kandidaten für die Verschwägerung kann Saul auch eine Vorbedingung diktieren (18,25). Die Bedingung scheint David sofort recht gewesen zu sein (18,26; vgl. 18,20).
Mit seiner ausgeklügelten Idee, „die Vorhäute der Philister (18,25
vgl. 18,27)“ zu verlangen, nutzt Saul offenkundig eine Sichtweise Davids aus. Die Idee Sauls verweist nämlich die Lesenden auf Davids frühere Redeweise in Bezug auf Goliat. Denn im Hebräischen liegen die beiden Begriffe „Vorhaut“
und „unbeschnitten“
dicht beieinander. 123Als sich David in 17,26 erstmals nach der Belohnung erkundigt hatte, nannte er den Philister Goliat herablassend 124„diesen unbeschnittenen Philister“. Noch einmal in 17,36 bezeichnete David Goliat derart vor dem Kampf in Sauls Gegenwart.
1Sam 17,36 (David): Sowohl den Löwen als auch den Bären hat dein Diener erschlagen. Und diesem unbeschnittenen Philister (
) wird es ergehen wie einem von ihnen, denn er hat die Schlachtreihen des lebendigen Gottes verhöhnt.
Danach in Kap. 18 lässt sich dann der einsatzbereite David mittels der von ihm einst bekundeten despektierlichen Sicht auf die Philister – die Unbeschnittenen und ihre Vorhäute – zielgenau lenken. Auf diese Weise erreicht Saul sein geheimes, vor David verborgenes und nur den Lesenden bekanntes Ziel, David der Hand der Philister auszusetzen (18,17.21; vgl. 18,25).
Im Plot kam – wie gezeigt – Sauls Absicht, David zu ermorden, auf, als Saul mit dem Gesang der Städterinnen konfrontiert worden war (18,6–9.10–13). An diese Weichenstellung in der David-Saul-Beziehung werden die Lesenden durch die Darstellungen rund um Davids Zug der Vorhäute wegen erinnert. Das lässt sich durch einige Beispiele verdeutlichen. Nach der Redeweise über das Schlagen im Gesangstext und in Sauls Selbstgespräch beim Speerwurf in 18,7.11 (schlagen jemand,
mit
) taucht eine nicht unähnliche Wendung in 18,27 auf, als David Unbeschnittene erschlug (schlagen,
, unter einer Menge,
, einzelne). 125Auch David war zuvor auf die singenden Städterinnen Israels gestoßen, als er vom „Schlagen des Philisters“ zurückkehrte (18,6
); in 18,27 zieht dann David – samt Mannschaft – gegen die Philister und erschlägt unter diesen Männer (...
). Analog zur Zahlenstaffel im Gesang (18,7; vgl. 18,8) steht nun in 18,25.27 eine Staffel von Hundert und Zweihundert insofern, als sie wieder Davids Schlagvermögen unterstreicht. Saul mit dem Speer „in der Hand“ (
) vermochte David nicht an die Wand zu schlagen (18,10–11), und nun scheitert Saul mit dem Versuch, David „durch die Hand“ der Philister (
) zu Fall zu bringen (18,25). 126Zuvor hatte sich Saul vor dem nicht bezwungenen David gefürchtet (
), und sogleich daneben wurde notiert, dass JHWH mit David ist (18,12
). Nun setzt sich diese Furcht bei Saul fort (18,29
), und Saul erkennt diesmal obendrein selbst, dass JHWH mit David ist (18,28
). 127
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