1Sam 16,16.23: ... 16 Und wenn der böse Gottesgeist auf dir ist, wird er in die Saiten greifen (
) ... 23 Und wenn Gottesgeist auf Saul war, nahm David die Leier und griff in die Saiten (
) ...
Man darf also annehmen, dass David in 18,10 unabhängig von Sauls Zustand spielt. Schließlich hatte in Kap. 16 ein Knecht am Hofe Sauls auf David aufmerksam gemacht und dabei sechs seiner Eigenschaften benannt. Die erste lautet: „er versteht es, Saiten zu spielen“ (16,18
). 80So liegt es nahe, dass David in 18,10 einfach nur seiner Leidenschaft frönt.
Neu gegenüber Kap. 16 ist in 18,10, wie die erste Wirkung des Geistes auf Saul ausfällt. Sie versetzt ihn in prophetische Erregung (
). Solche Erregung hatte Saul erstmals bereits in 1Sam 10 ereilt. 81Kap. 10 wird nicht zuletzt dadurch zum weiteren und zugleich sehr bedeutsamen Lesehintergrund für Kap. 18. In diesem Kapitel 10 hatte Samuel Saul zum Fürsten (10,1
) gesalbt und dabei dargelegt, dass Saul gleich drei Begegnungen haben werde. Die dritte Begegnung steht dabei im Mittelpunkt. 82Saul werde auf eine Schar Propheten treffen, die prophetisch erregt sind. Dabei werde JHWHs Geist über Saul kommen, er in prophetische Erregung geraten und in einen anderen Mann verwandelt werden:
1Sam 10,6: Und der Geist JHWHs dringt auf dich ein (
), und du gerätst mit ihnen in prophetische Erregung (
) und verwandelst dich in einen anderen Mann.
Samuels Worte in 10,5–6 eröffnen damit das, was dann im weiteren Erzählgang Saul u.a. auch kennzeichnen wird. Etwa Sauls Gelenktwerden durch eine Geistmacht, die Frage nach seinem Anteil am Prophetentum (10,11.12; 19,24) und seine prophetischen Erregungen.
Die spezielle Geschichte des Geist-Einflusses auf Saul kennt eine Wende. Bei der Bedrohung durch die Ammoniter drang in 11,6 noch der Geist Gottes auf Saul ein; 83darauf sammelte Saul Israel und führte es zum Sieg. Kap. 16 schildert dann die ausschlaggebende Veränderung. Nachdem der Geist JHWHs den gerade gesalbten David für immer durchdrungen hatte (16,13), wich derselbe Geist von Saul (16,14). Sogleich geriet Saul unter den Einfluss eines bösen Geistes (16,14). Nach Kap. 16 durchdringt ein explizit „böser“ Geist Saul noch zweimal: Beide Male versucht er dabei David mit einem Speer zu töten (18,10; 19,9; in 19,23 nur „Geist Gottes“). 84
Sauls prophetische Erregungen bleiben im Erzählgang mit einer Geistmacht verknüpft (10,6.10; vgl. 10,11.13; 19,23.24) 85und sie unterliegen vermutlich einer ähnlichen Wende. So schildert Kap. 19 einen erregten Saul, der sich seiner Kleider entblößt und nackt vor Samuel liegt. Aber schon zuvor und allein in 18,10 ist Sauls prophetische Erregung mit dem explizit „bösen“ Gottesgeist verknüpft. 86
Für das lesende Verfolgen dieser Fäden, des Geisteinflusses auf Saul und seiner prophetischen Erregung, hält ihr Ausgangspunkt, Samuels Rede in Kap. 10, ein erhellendes Signal bereit. Das Signal hat die Forschung m.E. nicht gebührend gewürdigt. In Samuels Worten befindet sich vor der Schar der Propheten, auf die Saul treffen wird, ein Orchester von Musikinstrumenten:
1Sam 10,5: ... und du stößt auf eine Schar Propheten ... vor ihnen her Harfe, Handtrommel (
), Flöte und Zither (
) ...
Damit fängt in Kap. 10 eine weitere Erzähllinie an, zu der Musikinstrumente und Sauls Empfänglichkeit für solche Musik gehören. U.a. die Zither geht der Prophetenschar voraus, in der Saul erstmals ein göttlicher Geist durchdrang. Nach der Wende bei Saul zum bösen Geist kann nur der geübte Spieler David (16,16
) mit der Zither in der Hand diesen Ungeist in Saul beherrschen (16,23
).
Auf ein Orchester aber trifft Saul erst erneut bei den Frauen aus allen Städten Israels in 18,6–7. Die Handtrommel ist ein Markenzeichen ihres Frauentanzes (18,6 Plural
), 87und die Trommel schritt ebenso der Prophetenschar voraus. Die Schar der Propheten bewegte sich in 10,10 auf Saul so ähnlich zu (
), wie es dann nach der Wende die Frauen in 18,6 tun werden (
). Und Saul ergriff nach der Begegnung mit den Frauen erneut ein Gottesgeist (18,10).
Entscheidend ist nun, dass diese Linien 88im Hintergrund die Lesenden dazu anleiten dürften, Sauls Veränderungen in 18,10 mit der Performance der Frauen in 18,6–7 eng zusammen zu sehen. Die Ereignis- und Satzfolge ‚Eindringen (
) eines Geistes 89und prophetische Erregung (
)’ gibt es im MT nur dreimal und geht stets auf Saul ein: Zweimal nach seiner Zusammenkunft mit der Prophetenschar (10,10), denen in Samuels Ankündigung Instrumente vorausgehen (10,5–6 und 10,10); einmal am Tag 90(18,10) nach seiner Begegnung mit den Frauen, die Instrumente benutzen. 91
Sauls geistiger Zustand und seine Erregung in 18,10 sind also konkret zurückbezogen auf den Auftritt der Frauen und dessen Widerhall bei Saul wahrzunehmen. Das weist der Einordnung von Abschnitt 18,10–13 eine klare Richtung zu.
In 18,11 fällt die Reihenfolge auf, dass Saul den Speer wirft und erst danach seine Absicht dabei im Selbstgespräch (
) eingeblendet wird: „Ich will David an die Wand schlagen (
).“ Solch zitierter Gedanke Sauls kommt beim späteren zweiten Speerwurf Sauls gegen David nicht vor (19,8–10; vgl. 20,33 92). In 18,11 macht das Selbstgespräch Sauls aber insofern einen literarischen Sinn, als sich Saul in der Szene kurz zuvor ebenso in einem Selbstgespräch (
) mit dem Lied der Frauen intensiv auseinandergesetzt hat (18,8–9). In 18,11 dürfte Sauls Rede so die Diktion der Frauen im Liedtext aufgreifen: schlagen jemand,
mit
(18,7). 93Für Shimon Bar-Efrat hebt das Leitwort von Kap. 18 „schlagen (
)“ hier auf ein folgenreiches Ineinander der Begebenheiten ab, wenn er kurzbündig festhält: Es „singen die Frauen: ‚Saul hat seine Tausend erschlagen (
), David seine Zehntausend’ (V.7). Das bringt Saul dazu, dass er seine Lanze ergreift und denkt: ‚Ich will David an die Wand schlagen (
)’ (V.11).“ 94Beim Speerwurf ist der für Musik empfängliche Saul so innerlich noch mit dem Gesang befasst, und Saul versucht den zu erschlagen, dem das Lied öffentlich angeblich mehr Schlagvermögen zuschrieben hat.
Читать дальше