Zentral ist nun, wie dadurch eine erzählte Welt als Hintergrund für den Auftritt der Frauen und ihr Lied in 18,6–7 ausgeleuchtet wird. Mit dem liebenden Jonatan geht ein Erster aus Sauls Familie eine treue und auch politisch orientierte Bindung mit dem inoffiziellen neuen Monarchen David ein. Mit Michal, die David ebenfalls liebt und dessen Frau wird (18,20–28), wird dies später auf andere Weise eine Zweite aus dem Hause Sauls tun und ebenso wie Jonatan David vor Ärgstem bewahren (vgl. 19,11–18). 51Nicht nur Mitglieder von Sauls Familie wenden sich schrittweise David zu, sondern auch das Volk und Sauls Knechte. Dies deutet indirekt bereits 18,5 an (
). Das Volk und Sauls Knechte begrüßen es, dass der erfolgreiche David von Saul zum hohen Militär gemacht wird. 52
Davids positive, einnehmende Wirkung auf das (Kriegs-)Volk, bei dem er ein Kommando innehatte, wird sich ebenso später in Kap. 18 ausweiten und verstärken. Anteil daran hat wieder der ‚Erfolg’ 53Davids. Solcher Zusammenhang wird zunächst in 18,13–16 herausgestellt. Das Ende von Vers 18,13 konstatiert noch, dass David als Anführer „vor dem (Kriegs-)Volk ausrückte und (wieder) einrückte (
).“ Nach zwei Hinweisen auf Davids Erfolge innerhalb der Verse 18,14–15 stellt dann der Vers 18,16 einen kausalen Zusammenhang heraus: „Und ganz Israel und Juda liebte David, denn er rückte vor ihnen aus und rückte (wieder) ein (
).“ In Bezug auf David wird also eine sich steigernde positive Resonanz aufgezeigt. Nicht nur die Weite der Resonanz ist beachtlich („ganz Israel und Juda“;
), sondern auch ihre Form. David wird von seiner Mitwelt anhaltend geliebt (vgl. das Partizip
) und ihm wird so anscheinend auf breiter Linie Loyalität entgegengebracht. Schließlich hält der letzte Satz im Kapitel 1Sam 18 nach einer erneuten Notiz zu Davids Erfolgen fest: „Und sein Name war hoch geehrt (
18,30).“ Da dieser Schlusssatz niemanden von denen benennt, die Davids Namen ehren, und somit den Bezugsrahmen der Ehrung offen lässt, dürfen die Lesenden hier auch eine erneute Ausweitung der positiven Resonanz auf David und seine Aktivitäten mitdenken.
Der Abschnitt 18,1–5 stellt somit auch ein verhaltenes Vorspiel zu weiteren Inhalten im Kapitel 1Sam 18 dar. Während bei den erzählten Figuren-Konstellationen im Abschnitt David auf recht unterschiedliche Weise Zustimmungen erfährt (einerseits durch den liebenden Jonatan, andererseits durch das ganze Kriegsvolk und Sauls Knechte), deutet sich in Bezug auf Saul an, dass in seiner eigenen Familie einer (Jonatan) seine Regentschaft als bereits im Übergang befindlich ansieht.
Damit ergibt sich für die Fragestellungen dieses Beitrages Folgendes: Das anschließende Singen über Gewaltvermögen ist in eine Situation eingebettet, in der verhalten beim besungenen Saul ein Rückhalt zu schwinden anfing und in der beim besungenen David ein Rückhalt zu wachsen begann. Lesende können in Kap. 18 beobachten, wie die im Gesang thematisierte Gewaltausübung und die gewalttätigen Folgen des Gesanges mit Zustimmung und Ablehnung der besungenen Gewalttäter zusammenhängen.
3. Ruhm und Status (1Sam 18,6–9)
Im Abschnitt 18,6–9 wird nun eingangs der Auftritt der singenden Frauen Israels beschrieben. Die Beschreibung hat Ähnlichkeiten mit anderen Darstellungen im Alten Testament, bei denen Frauen ebenso in festlicher Form agieren: tanzend, mit Handtrommeln (vgl. 1Sam 18,6
) und teilweise singend; 54etwa Mirjam und alle Frauen (Ex 15,20–21), Jiftachs Tochter (Ri 11,34), die Töchter von Schilo (Ri 21), Judit und die Frauen Israels (Jdt 15,12–14 und 16) sowie die metaphorische Frauengestalt „Jungfrau Israel“ (Jer 31,4). Das Motiv erfährt in den jeweiligen Texten und Kontexten unterschiedliche Ausformungen und Einbindungen. Das Motiv hat aber eine gewisse Nähe zum Themenkomplex Gewalt, sei es unter dem Aspekt einer Gewaltüberwindung oder unter dem Aspekt eines Dranges zur Gewaltausübung.
In 18,6 fällt auf, wer sich alles im Szenario bewegt und dabei anscheinend zusammentrifft: In der Temporalangabe kommt eine nicht näher identifizierte Gruppe heim (
), und zudem kehrt David ähnlich wie in 17,57 55vom Schlag gegen den Philister zurück. Treten dann die tanzenden Frauen hinzu, wird zugleich angezeigt, dass durch sie eine breite Öffentlichkeit entsteht: „... aus allen Städten Israels“ ziehen sie aus. 56Mit ihrer Performance steuern die Frauen allerdings nur ein Ziel an: Saul. Saul wird hierbei ausdrücklich als König (
) tituliert. Doch der Chor der Frauen singt dann in 18,7 von Gewalttaten beider soeben erwähnten Männer und nennt sie – wie eingangs erwähnt – auch beim Namen, allerdings ohne einen Titel zu benutzen: Saul und David.
Worauf im Wortlaut des Gesanges der Akzent liegt, wird von der Forschung unterschiedlich gesehen. Insbesondere zwei Positionen stehen sich gegenüber. Kurz lassen sie sich so wiedergeben: In der ersten Position zollen Israels Städterinnen Saul und David gleichermaßen Respekt. Beide hätten ihr beachtliches Vermögen demonstriert. 57In diesem Fall übersetzt man die Kopula zwischen beiden Gesangsteilen in 18,7 mit „und“: Saul schlug und David auch. 58Bei dieser Position würden die folgenden Verse 18,8–9 darlegen, wie Saul den Gesang missversteht.
In der zweiten Position hebt der Gesang der Städterinnen auf Steigerung und Gegenüberstellung ab. Wertend benennen die Frauen Quantitäten, und die Kopula ist mit „aber“ zu übersetzen: 59Saul Tausend, aber David zehnmal mehr. In diesem Fall habe Saul in den beiden folgenden Versen 18,8–9 eingesehen, worauf der Gesang der Frauen abhebt.
Der Text des Gesanges lässt vielleicht ein Changieren zwischen beiden Verstehensweisen zu. Aufschlussreich ist jedenfalls die Fokussierung im Abschnitt. Die Verse 18,6–7 führten noch eine öffentliche und festliche Zusammenkunft vor Augen. Mit 18,8–9 folgt ein Umschwenken allein zu Saul. Seine Emotionen, Einschätzungen und sein Selbstgespräch bekunden alles andere als ein Einstimmen in die fröhliche Tanzaufführung.
In seinem Selbstgespräch (18,8) ist Saul auf den Liedtext konzentriert und darauf, wie der damit verbundene Äußerungsakt gesehen werden kann. Saul setzt die Teile des Gesanges neu zusammen. Die Reihenfolge im Gesang Saul-David dreht er um und nennt nun zuerst David. Das Schlagen erwähnt Saul nicht mehr. Stattdessen macht er die Frauen aus den Städten zu Aktanten. Ihren Sprechakt interpretiert Saul als Zuteilung im Sinne von
: Sie gaben (
) David, sie gaben (
) mir. Auf die Zahlen geht Saul unterschiedlich ein. Bei der niedrigeren erscheint der Artikel. 601.000 und 10.000 sind bekanntlich ein gängiges Staffelpaar. 61So hebt Saul mit dem Artikel auf das aus dem Staffelpaar ihm Eingeräumte ab, was zum adversativen Gepräge der parallelen Sätze beiträgt. Die Kopula ist hier eindeutig als „aber“ zu verstehen: 62David Zehntausende, aber mir nur die Tausende.
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