Was jedoch von Verkündigenden anderer Muttersprache verlangt wird, ist eine doppelte Übersetzungsarbeit: Zum einen, die Botschaft des Evangeliums in die heutige Zeit, in die Situationen der Menschen zu übersetzen – und dann auch noch in die Sprachwelt der jeweiligen anderssprachigen Gemeinden. Das ist ein mühevoller Prozess, gerade zu Beginn, aber er kann auch zu wechselseitigen Entdeckungen führen. Sprachdifferenzen, andere Übersetzungsweisen und fremdklingende Wortformatierungen verlangen Auslegungsprozesse und Deutungen. Damit diesen ein Befreiungscharakter zukommt, ist in erster Linie Respekt erforderlich – Achtung vor der jeweiligen Kultur, Sprache und Biografie.
2.3.Neue pastorale Räume / Pfarrverbände
Die gegenwärtigen Umbrüche in der pastoralen Organisationslandschaft haben auch Auswirkungen auf die Verkündigung. Neue Strukturen führen dazu, dass die Priester immer weniger in einer einzelnen Pfarre bzw. Gemeinde verwurzelt und beheimatet sein können. Das Mitleben mit diesen Gemeinden nimmt ab, wodurch es schwieriger wird, in der Predigt auf konkrete Ereignisse Bezug zu nehmen. Verkündigung und pastorale Präsenz im Alltagsleben der Menschen klaffen damit immer weiter auseinander.
Priester mit mehreren Pfarrkirchen stehen dann an jedem Sonntag vor der Herausforderung, nicht nur für eine, sondern für mehrere oft sehr unterschiedliche Gemeinden eine Predigt vorzubereiten. Das aber bedeutet, dass sie entweder eine eher allgemein gehaltene Predigt halten – oder mehrere unterschiedliche Predigten vorbereiten müssen, was nicht nur zeitlich schwierig ist. Nicht selten kommt es vor, dass in einer Pfarre der normale Sonntagsgottesdienst zu feiern ist, in der anderen z.B. ein Kinder- oder Familiengottesdienst.
Eine Chance in diesen neuen Strukturen liegt darin, dass nicht mehr nur die Priester den Verkündigungsdienst in den Gottesdiensten wahrnehmen. Verkündigung geschieht vermehrt auch in Wortgottesfeiern bzw. Wortgottesdiensten, in Andachten und Segensfeiern, die von Diakonen, von Wortgottesdienst-LeiterInnen, von KatechetInnen und ReligionslehrerInnen vorbereitet und geleitet werden, verbunden mit der Verkündigung innerhalb dieses Gottesdienstes.
2.4.Unterschiedliche Predigtsituationen
Nicht nur der Wandel der gesellschaftlichen Umstände hat einen großen Einfluss auf die Predigt, sondern auch die unterschiedlichen Situationen, in denen gepredigt wird. Das gilt nicht nur für die Kasualpredigten, sondern auch für die Predigten an Sonntagen, überhaupt für jene Orte von Verkündigung, die an den kirchlichen Randzonen stattfinden.
PredigerInnen benötigen ganz unterschiedliche Kompetenzen und Begabungen. Neben einer sehr guten Kenntnis der auszulegenden Bibelstellen brauchen sie auch eine sehr gute Kenntnis der Menschen und der Gottesdienst-Kontexte. Erforderlich sind somit theologisches Fachwissen, eine achtsame Wahrnehmungssensibilität in Bezug auf menschliche Lebensrealität und ein bestimmtes ästhetisches Empfinden hinsichtlich Raum und Liturgie. Die Schriftpredigt erfordert exegetisches und systematisches Know-how. Das alleine genügt jedoch nicht. Die Archive der Tradition müssen aufgesprengt werden und sich in das Heute hinein verflüssigen. Es braucht die Berührung mit den Fragen und Sehnsüchten, Hoffnungen, Zweifeln und Ängsten der Menschen. Wer keine Ahnung hat davon, was Frauen, Männer und Kinder heute umtreibt, welchen Phänomenen sie ausgesetzt sind und was sie erwünschen und ersehnen, kann das Evangelium nicht so verkünden, dass es befreiende Kraft hat. Eine Predigt ist immer auch in den liturgischen Kontext eingebettet, manifestiert sich nicht jenseits von Raum und Atmosphäre– weshalb ein Gespräch zwischen HomiletikerInnen und LiturgikerInnen zur Predigt ein (meist noch unerfülltes) Desiderat darstellt.
Auf der anderen Seite gehört zur Situation der Predigten auch das geänderte Hörverhalten der Gottesdienst-TeilnehmerInnen, dem die Predigt Rechnung zu tragen hat. Die HörerInnen sind nicht passive RezipientInnen, die auf die Worte der Verkündigung angewiesen sind. Sie haben bereits selbst eine Geschichte mit Gott, sie sind mündig, kritisch, herausfordernd und sehnsüchtig. Die HörerInnen haben echte Fragen, wollen keine Mittelmäßigkeit, sie haben ein Recht auf Klarheit, Präzision und Authentizität.
3.Neue Ansätze in der Predigtausbildung
Frauen und Männer für den Dienst der Verkündigung vorzubereiten, erfordert angesichts der veränderten Predigtsituationen auch neue Formen der Ausbildung. In den letzten Jahren haben sich in den diversen Predigtwerkstätten spezifische Ansätze herausgebildet, von denen exemplarisch zwei im Folgenden kurz dargestellt werden.
3.1.„Werkstatt Wortverkündigung“
Die über viele Jahre unter der Federführung von Rolf Zerfaß äußerst erfolgreich konzipierten und durchgeführten „Predigtseminare“ 5sind seit etlichen Jahren in unseren eigenen Lehrstätten unter dem Titel „Werkstatt Wortverkündigung“ adaptiert und zum Teil neu entwickelt worden. 6Das Konzept von Zerfaß verfolgte eine kreative und interaktive Methode, welche die Arbeit in Kleingruppen unter der Begleitung von Tutores, sowie konkrete Praxisauftritte (Predigt in Gottesdiensten) forcierte.
Die „Werkstatt Wortverkündigung“ stellt den ersten Teil eines Gesamtkonzeptes von verkündigungsorientierter Redeausbildung bzw. -weiterbildung dar und erfährt nach dem Studium eine Fortsetzung in der Predigtausbildung im Rahmen des „Pastoralpraktikums“ sowie im Rahmen eines fünfjährigen Weiterbildungsprogramms der Diözese Graz-Seckau für kirchliche MitarbeiterInnen.
Somit hat diese Werkstatt nicht mehr nur bzw. primär die Predigt im Gottesdienst als Ziel, sondern will einen Raum kreativen Übens schaffen, in dem Studierende ihre personalen Rede- und Verkündigungskompetenzen erfahren und selbstständig praktizieren können. Im Wechselspiel von Theorie- und Praxissequenzen erproben sie das Konzipieren und Praktizieren einer Rede und lernen kontextbezogenes und situationsgemäßes Sprechen zu analysieren.
Diese Form des Lernens erfordert sowohl die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen theologischen Fächern (z.B. Bibelwissenschaften, Liturgiewissenschaft, Pastoralpsychologie etc.) als auch den überfakultären Austausch mit anderen pädagogischen bzw. kommunikationswissenschaftlichen Fächern.
Gemäß ihres „Werkstattcharakters“ gibt es unterschiedliche Formen, wie diese Lehrveranstaltung durchgeführt wird. Von der Form sind Teamteachings (beispielsweise zwei Lehrende, oder Studierende als Tutores), aber auch Kleingruppen, Übungen zu zweit oder Einzelwahrnehmungsübungen möglich. Theorieeinheiten schließen sich an konkrete Praxiserfahrungen an (kleine Redeeinheiten, wie zum Beispiel das Erzählen einer Geschichte, Spiralgespräche, Spontanrede aufgrund eines gezogenen Begriffes etc., freies Sprechen in der Gruppe, Rede / Predigt im öffentlichen Raum bzw. in einem Gottesdienst). Um die biblischen Texte existentiell zu erschließen, können unterschiedliche kreative Zugänge zum Tragen kommen, wie beispielsweise Bibliodrama, Bibliolog, unterschiedliche Formen von Raumwahrnehmungsübungen, Impulse aus den Bereichen der Theaterpädagogik etc. Die Arbeit an der Präsenz (öffentliches Auftreten, Stimme, Haltung, Gestik und Mimik) wird ein zunehmend wichtiger Teil in der Predigtausbildung. Stimmtrainings, Arbeit mit TheaterpädagogInnen, Arbeit an der Bühnenpräsenz u.v.a.m. kann ein wichtiger Bestandteil im Rahmen eines Lehrveranstaltungsprozesses werden. Auch die Arbeit mit Videoaufnahmen ist eine gute Möglichkeit, die Selbst- und Fremdwahrnehmung zu schulen.
Zentral ist für diese Form des Lernens tatsächlich der „Werkstattcharakter“. „Werkstatt“ heißt, dass nichts fertig ist, dass Ungewisses geprobt, Neues ausprobiert, Altes verworfen werden kann. Ein solcher Zugang erfordert ein hohes Maß an Empathie und Wertschätzung, insofern stellt das Einüben einer respektvollen Feedbackkultur das Zentrum dieser Art und Weise des gemeinsamen Lernens und Übens dar. Durch konsequentes wertschätzendes Feedback und Sharing lernen die TeilnehmerInnen voneinander. Sie entdecken ihre ungeahnten Stärken und lernen mit ihren Schwächen umzugehen; sie erfahren, dass ihr theologisches Wissen auf dem Prüfstand steht und sie sind mit der Frage konfrontiert, wovon sie eigentlich selber leben. Die Werkstatt steht im Spannungsfeld von Theorie und Praxis und ist am Ende des Studiums bzw. am Übergang zur beruflichen Tätigkeit angesiedelt. Sie erfährt eine Weiterführung im „Pastoralpraktikum“ (in Form von Begleitung und Supervision der rhetorischen Aufgaben im pastoralen Alltag); ebenso stellt der Bereich der Predigt bzw. der öffentlichen Verkündigungs-Rede einen wichtigen Teil im fünfjährigen Weiterbildungskonzept der Diözese für ihre kirchlichen MitarbeiterInnen dar. Der Praxisbezug innerhalb der Werkstatt selbst ergibt sich durch das Einüben in die eigene Redepraxis, die Analyse exemplarischer Predigten bzw. anderer öffentlicher Reden, den Besuch von relevanten Orten öffentlicher Rede sowie das Hospitieren der Predigten/Reden von Teilnehmenden der Werkstatt.
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