Zum einen werden schulische Aspekte von der Unterrichtskommunikation bis zu zweitsprachspezifischen Problemen mit schulischen Texten und Unterrichtsmaterialien beleuchtet, zum anderen wird untersucht, wie sich sprachliche und im engeren Sinne grammatikalische Kompetenzen entwickeln und ob es dabei besondere Problembereiche gibt. (Ebd., 6)
Für Seiteneinsteiger*innen können somit aufgrund der altersgemäßen Zuordnung zur entsprechenden Schulform, kombiniert mit dem beginnenden Spracherwerb in der Zweitsprache Deutsch, einem massiven sprachlichen und fachlichen Input sowie angesichts einer hohen Normorientierung besondere Förderbedarfe entstehen, „was aber durchaus zu erfolgreichen Bildungswegen führen kann […]“ (ebd., 8). Was bedeutet dies für den gesellschaftswissenschaftlichen Fachunterricht der Sekundarstufen? Es bedeutet, dass Schüler*innen mit ihrer individuellen (Zuwanderungs)Geschichte und ihrem bis zum Besuch des geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachunterrichts bereits vollzogenen Spracherwerb im Deutschen ohne weiteres auf dieselbe Weise dieselben Anforderungen an fachliches Lernen erfüllen können wie ihre Mitschüler*innen ohne Migrationserfahrung, ohne diese Art Sprachlernerfahrung, ohne ggf. auch Traumatisierung aufgrund von Fluchterlebnissen (mehr dazu in Cornely Harboe/Mainzer-Murrenhoff/Heine 2016).
Es bedeutet zudem, dass die Herausforderung fachintegrierter DaZ-Förderung und sprachlich-fachlicher Bildung nicht allein in der Grundschule besteht, sondern auch in den Sekundarstufen. Innerhalb dieser unterscheiden sich jedoch die auszubauenden Kompetenzen der Schüler*innen und die schulischen Anforderungen voneinander, wie auch in den Beiträgen in Teil II des Studienbuches deutlich wird. Vor allem in Bezug auf die zunehmende fachliche Ausdifferenzierung, den wissenschaftspropädeutischen Anspruch der Sekundarstufe II, aber auch mit Bezug auf Teilhabe durch den Zugang zu wissenschaftlichen Diskursen ist die Rolle der Sekundarstufe II in Bezug auf sprachliche Bildung mit ihren ganz eigenen Anforderungen nicht zu unterschätzen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der unterstützten Entwicklung sprachlicher Kompetenzen in allen Fächern der Sekundarstufen eine hohe Bedeutung zukommt. Die Sekundarstufen führen zu Schulabschlüssen, die bis auf wenige Ausnahmen in der Schul- und Bildungssprache Deutsch abgelegt werden, zu deren zentralen Überprüfungsmechanismen Klausuren und mündliche Präsentationen gehören, für deren Erarbeitung Texte gelesen und verarbeitet werden, an Unterrichtsgesprächen und Gruppendiskussionen teilzunehmen ist und Lehrervorträge gehört werden. Die Sekundarstufen übernehmen, je nach Schulart und vorgelagerter Selektion, Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen sprachlichen Ressourcen und führen die nunmehr fachlich stärker ausdifferenzierte Kompetenzentwicklung weiter.
1.3 Sprachliche Heterogenität als Normalfall
Die bis hier dargestellten schulischen Rahmenbedingungen für eine fachintegrierte sprachliche Förderung und Bildung in den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern sollen noch einmal im Spannungsverhältnis von sprachlicher Heterogenität als gesellschaftlichem Normalfall und sprachlichen Herausforderungen im System Schule vertieft werden. Grundlegend für die diversifizierte Wahrnehmung des Themenfeldes Sprache(n) in Schule und Unterricht ist es, (sprachliche) Heterogenität im Klassenzimmer als Normalfall anzuerkennen. Dafür ist es förderlich, individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit gegenüber positiv eingestellt zu sein, um darauf aufbauend inklusive Konzepte und Methoden der sprachlich-fachlichen Bildung im System Schule zu diskutieren und zu reflektieren. Schule bringt durch ihre bereits angedeuteten homogenisierenden Tendenzen Heterogenität mit hervor. Denn Heterogenität kann
nur relational im Verhältnis zu Homogenität existieren. Heterogenitätskonstruktionen sind nicht isoliert ohne Konstruktionen von Homogenität zu erfassen: beide entstehen im Prozess des Wahrnehmens und Vergleichens, denen implizite oder explizite Maßstäbe oder Bezüge zugrunde gelegt sind. (Budde 2017, 20)
Sprache gilt als eine von zahlreichen Differenzlinien von Heterogenitätskonstruktionen, über die Individuen sozial markiert und positioniert sind (Leiprecht/Lutz 2015, 287). Mit ‚Sprache‘ ist hier der individuelle, persönliche Sprachgebrauch eines Menschen benannt, der sich im dynamischen Verhältnis zum Umfeld und den dort üblichen Sprachgebräuchen zeigt. Dabei stehen individuell legitime Sprachengebräuche auch im Widerspruch zu gesellschaftlich normierten Praktiken und Perspektiven, wie der von habitueller Monolingualität in der schulischen Bildung. Schule spiegelt in diesem Zusammenhang als System und Ort des Lernens in vielfacher Form das wechselseitige Verhältnis von individuellem Sprach(en)gebrauch und gesellschaftlich anerkannten Formen des Sprechens wider – jedoch nicht immer mit positiven Auswirkungen auf das Individuum oder gar auf die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Sprachen.
Wenn sprachliche Heterogenität als Normalfall postuliert wird, können verschiedene Arten individuellen Sprachgebrauchs darunter fallen und es kann davon ausgegangen werden, dass alle Schüler*innen in einer bestimmten Weise im Verhältnis zu den schulischen Normen sprachlich heterogen sind. Allerdings sind nicht alle Schüler*innen gleichzeitig auch mehrsprachig. Mehrsprachigkeit und insbesondere die als defizitär markierten Deutsch als Zweitsprache-Kompetenzen einzelner Schüler*innen werden jedoch häufig als das entscheidende Merkmal sprachlicher Heterogenität im Klassenzimmer wahrgenommen. Auf der Grundlage einer etwas weiteren Sicht auf sprachliche Heterogenität in Schule und Unterricht können so unterschiedliche Aspekte wie Deutsch als Zweitsprache, Bilingualität, Mehrsprachigkeit, aber auch Lese-Rechtschreib-Schwäche, spezifische Sprachentwicklungsstörungen oder dialektaler Sprachgebrauch zusammenfallen: Sie stellen eine Abweichung von einer homogenisierenden Vorstellung einer (schulischen) Sprachnorm dar. Alle Schülergruppen können demnach als sprachlich heterogen gelten, nicht alle jedoch sind mehrsprachig und nur einige wenige Schüler*innen befinden sich mitten im Erwerb des Deutschen als Zweitsprache. Das folgende ausführliche Zitat verdeutlicht noch einmal eine sehr weite Perspektive auf sprachliche Heterogenität, mit der Unterricht in sprachlich heterogenen Klassen als Normalfall erscheint:
Alle Kinder lernen mit sprachlicher Heterogenität umzugehen, unabhängig davon, ob sie ein-, zwei- oder mehrsprachig aufwachsen. Jedes Kind lernt in der Kommunikation mit verschiedenen Gesprächspartnern unterschiedliche Register einer Sprache bzw. verschiedener Sprachen zu verstehen und zu gebrauchen, z.B. merken Kinder, dass der Großvater anders spricht als die Mutter, dass die Nachbarn anders sprechen als die eigenen Eltern, dass die Eltern mit der Händlerin, bei der sie einkaufen, anders sprechen als mit einem Lehrer, auch wenn sie nicht benennen können, ob dieses jeweils ‚andere Sprechen‘ ‚Dialekt‘ genannt wird oder ‚Soziolekt‘ oder gar ‚Sprache‘, und nicht erschöpfend artikulieren können, was diese ‚Andersheit‘ jeweils konkret ausmacht. […] Kennzeichnend für den Sprachgebrauch von migrationsbedingt mehrsprachig aufwachsenden Kindern und Jugendlichen im familiären und außerfamiliären Bereich ist das Mischen der Sprachen. Normative Vorstellungen von ‚gutem‘ und ‚schlechtem‘ Sprechen sowie normgeleitete Beurteilungen von Sprachprodukten beeinflussen zwar die Aneignung von Sprache(n), können aber migrationsbedingte Neuformationen von Sprachen nicht verhindern. So wie es gang und gäbe ist, zwischen dem Standard und dem Dialekt hin- und herzuwechseln, so ist es gang und gäbe, dass zwei- und mehrsprachig Aufwachsende sich von der einen Sprache anregen lassen, um die andere zu verändern oder während des Sprechens zwischen den Sprachen alternieren. (Dirim 2015a, 27f.)
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