Micha Brumlik - Bildung und Glück

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Gerechtigkeit, Mut, Klugheit, Besonnenheit sowie Glaube, Liebe, Hoffnung – in welcher Weise hat der überkommene Tugendkatalog immer noch Gültigkeit und wie bewährt er sich innerhalb der heutigen Zeit? Das sind die zentralen Fragen dieses Buches.
Micha Brumlik, Autor zahlreicher erziehungs- und kulturwissenschaftlicher Bücher, analysiert die Bedingungen und Möglichkeiten der Entwicklung sozialen Verhaltens und unternimmt dabei den Versuch, den Zusammenhang von Moral, Glück, Gefühlen und der Bildung des Individuums neu zu formulieren. Dabei versteht er den Begriff »Tugend« im Sinne des lateinischen »virtus«, also als Fähigkeiten und Handlungskompetenzen, über die Individuen verfügen müssen, um sich gesellschaftlichen Zumutungen gegenüber zu behaupten und ein glückliches Leben im Verein mit anderen anstreben zu können.

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Micha Brumliklehrte Erziehungswissenschaft zunächst in Hamburg und Heidelberg. 2000–2013 Professor am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main und bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocausts. Seit 2013 ist Brumlik Senior-Professor am Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg und seit 2017 Senior-Professor der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 2003 erhielt er die Hermann-Cohen-Medaille und 2016 die Buber-Rosenzweig-Medaille.

Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a.: »Aus Katastrophen lernen« (2004), »Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts« (2006), »Schrift, Wort und Ikone. Wege aus dem Bilderverbot« (2006), »Kritik des Zionismus« (2007), »Entstehung des Christentums« (2010) sowie »Messianisches Licht und Menschenwürde. Politische Theorie aus Quellen jüdischer Tradition« (2013), »Vernunft und Offenbarung« (2001/2014), »Wann, wenn nicht jetzt – Versuch über die Gegenwart des Judentums« (2015), »Advokatorische Ethik. Zur Legitimation pädagogischer Eingriffe« (2004/2017), »Luther, Rosenzweig und die Schrift. Ein deutsch-jüdischer Dialog« (2017).

Herausgeber und Autor von Essays und Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften. ( www.michabrumlik.de)

Micha Brumlik

Bildung und Glück

Versuch einer Theorie der Tugenden

Neuausgabe

EBook EPUB CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH Hamburg 2022 Alle Rechte - фото 1

E-Book (EPUB):

© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2022

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Allegorie der Tugend aus Cesare Ripa, Iconologia

Umschlaggestaltung: Susanne Schmidt, Leipzig

EPUB:

ISBN 978-3-86393-613-6

Auch als gedrucktes Buch erhältlich:

© der aktualisierten Neuausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH,

Hamburg 2019

Print: ISBN 978-3-86393-091-2

Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter

www.europaeischeverlagsanstalt.de

Inhalt

Vorwort zur Neuausgabe

Vorbemerkung

Einleitung: Moralische Gefühle und Die Leichtigkeit des Seins

I.Menschliche Natur und Tugendethik

II.Skizze einer Theorie des Lasters

III.Vertrauen und Scham – Grundzüge einer Theorie moralischer Gefühle

IV.Evolution, Altruismus und Moral

V.Die Leidenschaft der Pädagogik

VI.Glück und Lebenslauf

VII.Humanontogenese und der Sinn des Lebens

VIII.Tugend und Charakter

IX.Die Tugenden

Gerechtigkeit

Mut

Mäßigung und Besonnenheit

Hoffnung

Glaube

Liebe

X.Freundschaft

XI.Tugend und demokratischer Charakter

XII.Toleranz – Tugend der Citoyens?

Bibliographische Notiz

Anmerkungen

Micha Brumlik

Vorwort zur Neuausgabe

Die vor mehr als fünfzehn Jahren erschienene erste Ausgabe von „Bildung und Glück“ endete mit Überlegungen zur Frage der Toleranz, der Frage, ob Toleranz eine Tugend von Citoyens sei. Als Antwort wurde damals ein Zitat des US-amerikanischen, pragmatistischen Philosophen John Dewey gegeben, eine Antwort, die in unserer Gegenwart des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts, geprägt vom Aufstieg rechtspopulistischer Parteien aktueller nicht sein könnte: „The only cure for the shortcomings of democracy is more democracy.“ Dies kommentierte ich damals mit der womöglich zu optimistischen Bemerkung, dass die Citoyens einer toleranten Gesellschaft einander freund seien. Das freilich scheint weniger denn je der Fall zu sein – es ist mehr als nur ein Zufall, dass die radikalste Analyse der Krisen westlicher Gesellschaften in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung, im Zeichen des Aufstiegs der zu bequem als „Rechtspopulismus“ bezeichneten autoritärnationalistischen Bewegungen 1den Titel „Die Gesellschaft des Zorns“ 2trägt. Von Freundschaft in irgendeinem Sinne kann hier keine Rede mehr sein.

Ich möchte daher die Gelegenheit zum Vorwort einer Neuausgabe von „Bildung und Glück“ nutzen, um genau dieser Frage, also der Frage, was es heißen kann, einander auch in antagonistisch auseinanderstrebenden Gesellschaften aufgrund von Bildung politisch freund zu werden, mit einer Reflexion auf einschlägige Debatten in der Philosophie des Deutschen Idealismus 3nachzugehen.

„Nur wolle man ja nicht … glauben, daß der Mensch erst jenes lange und mühsame Raisonnement anzustellen habe, welches wir geführt haben, um sich begreiflich zu machen, daß ein gewisser Körper außer ihm einem Wesen seines Gleichen angehöre. Jene Anerkennung geschieht entweder gar nicht, oder sie wird in einem Augenblicke vollbracht, ohne daß man sich der Gründe bewußt wird. Nur dem Philosophen kommt es zu, Rechenschaft über dieselben abzulegen.“ 4

Anders als man vielleicht glauben möchte, stammt diese Bemerkung jedoch nicht von dem inzwischen weltweit als Anerkennungstheoretiker par excellence anerkannten Hegel 5, sondern von einem anderen, freilich in derselben Epoche wirkenden Denker – doch dazu später mehr. Bevor ich darauf zurückkomme, will ich mich zunächst der grundlegenden bildungs-philosophischen, bildungstheoretischen Fragestellung zuwenden, die ich unter dem Titel „Allgemeinbildung“ verhandele (1), um dann einige Annahmen der hegelschen Bildungsphilosophie im engeren Sinne zu skizzieren (2). In einem weiteren Schritt will ich dann skizzieren, was der hegelschen Philosophie für eine aktuelle Theorie der Allgemeinbildung zu entnehmen ist (3), um abschließend eine zwar ebenfalls idealistische, aber evtl. doch einschlägigere Theorie der Anerkennung vorzuschlagen.

1.Was heißt heute „Allgemeinbildung“?

Was „Allgemeinbildung“ heute heißen kann, ist heute nicht nur ob der im engeren Sinne bildungspolitischen Lage schwer zu beantworten, sondern auch einer Theorieentwicklung wegen, die den Begriff bereits Mitte der 1960er Jahre für obsolet hielt. Zwar ging es Theodor W. Adorno in seiner berühmten Studie zu einer „Theorie der Halbbildung“ nicht um das Problem der „Allgemeinbildung“, sondern lediglich um die Frage, ob unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen einer verwalteten Welt, eines monopolistischen Kapitalismus, eines exponentiell wachsenden, nur noch fragmentiert wahrnehmbaren Wissenszuwachses und eines zur Industrie verkommenden Kulturbetriebs der altbürgerliche Begriff der „Bildung“ überhaupt noch einen Halt in der Realität haben könne. Adorno selbst verabschiedete mit dem altbürgerlichen, noch autonomen Subjekt zugleich einen normativ gehaltvollen Begriff von „Bildung“ und setzte an dessen Stelle, wo er selbst wähnte, normativ bleiben zu sollen, einen sozialpsychologisch-politischen Begriff von „Mündigkeit“ als der Fähigkeit, weitgehend autonom und selbstreflexiv den Zumutungen eines totalitär werdenden gesellschaftlichen Zusammenhangs widerstehen zu können. Mit dem auch immer inhaltlich bestimmten Begriff einer „Allgemeinbildung“, also einer „allgemeinen Bildung“, die doch wesentliche Wissensbestände sowie Verständnisformen einer bestehenden Gesellschaft umfasst, hat dies nichts mehr zu tun.

Die Systeme höherer Bildung wie weiterführende Schulen oder Universitäten haben sich derzeit einem Wettbewerbsdruck ökonomischer Art ausgesetzt wie nie zuvor. Mit der politisch-rechtlichen Einebnung von Staatsgrenzen wurde das Angebot höherer Bildung von einem staatlichen Auftrag der Daseinsvorsorge und der Humankapitalproduktion zu einem Markt nachfragbarer Dienstleistungen zum individuellen Erwerb wissenschaftlicher Kompetenzen zum Zweck ökonomischer Wertschöpfung im globalen Raum.

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