3 Aufgabenfeld (I): Produktiver Wettkampf, zerstörerischer Streit?
Wettkämpfe als kulturelle Formen zu begreifen, ist schon deshalb verführerisch, weil sie omnipräsent verbreitet sind. Und doch erschließt sich ihre kulturtheoretische Aussagekraft nicht ohne Weiteres. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass ihre basalen Differenzlogiken sich mit vielen Semantiken und Praktiken anreichern, die sie auf spezielle Kontexte abstimmen und dadurch binden. Für ihre Erforschung bedeutete dies nicht nur Differenzierungsgewinne. Denn oftmals prägen Wettkampfformen auch über solche Kontexte hinaus modellhafte Erwartungen; agonale Praktiken der griechischen Antike, des höfischen Mittelalters oder neuzeitlicher Märkte werden dann rasch zu kulturellen Leitmodellen schlechthin überhöht. Um den Blick nicht von vornherein zu verengen, sollen daher im Folgenden zunächst einige Aufgabenfelder genauer sondiert werden, auf die sich die Frage nach Wettkampfkulturen erstreckt. Auf diesem Weg sind drei Herausforderungen abzustecken, denen sich die Untersuchung stellen muss.
3.1 Paradoxe Wettkämpfe: Perspektiven mediävistischer Literaturwissenschaft
Eine erste Herausforderung stellt sich unmittelbar mit den paradoxen Figurationen von Kooperation und Aggression, zu denen höfische Romane zentrale Zweikämpfe verdichten. Ihre Spannung bildet an sich kein Spezifikum der europäischen Adelsliteratur: »gesellig[e]« und »antagonistisch[e]« Dimensionen prägen Wettkampfmuster in verschiedensten Zeiten und Gesellschaften.1 Die mediävistische Forschung hat derartige Paradoxien jedoch bislang eher entschärft, indem sie die Irritationen von Wettkämpfen vorrangig auf Konzepte von Einheit bezog, als Dynamik von Anerkennungsbeziehungen verstand oder gezielt nach ihrer Auflösung suchte. Dies verschärfte nicht nur die Frage, welche Relevanz man paradoxen Formen des Widerstreits zubilligt, sondern auch, wie man diese methodisch erfasst, ohne ihre Irritationspotentiale vorschnell zu harmonisieren.2 Drei Positionen der germanistischen Mediävistik geben dazu wichtige Anhaltspunkte.
Hatten ältere Motivgeschichten die Kämpfe höfischer Epik vor allem als Erkenntnisaufgaben für Figuren und Rezipienten verstanden,3 so lesen sie jüngere sozialgeschichtlich inspirierte Studien als Symbolisierungen adliger Distinktionspraxis nach höfischen Regeln. Für die stratifikatorische Adelsgesellschaft ist die Darstellung von Rang zentral, was im Mittelalter performative Beweise und wechselseitige Bestätigungen von Ehre einschließt, in denen gleichsam symbolisches Kapital angehäuft wird.4 In einem einflussreichen Ansatz hat Harald Haferland für dieses Interaktionsmodell den Begriff des Agon herangezogen.5 Die höfische Literatur spiele in ihren Wettkämpfen ein ›psychosoziales Schema‹6 durch, das die reale »Gewaltfähigkeit des Adels« zugleich auf wechselseitige Kooperation verpflichte:7
Der Wettkampf wird, was die gemeinsame Einhaltung von Regeln betrifft, ein Stück weit als gemeinsame kooperative Praxis behandelt. Dies tilgt etwas von jener Feindseligkeit, die zu jedem Kampf gehört. Sie wird umgefärbt, moduliert. […] Soweit erscheint der Wettkampf als kooperative Praxis.8
Im Interaktionssystem der Ehre stehe somit die »gemeinsame Einhaltung von Regeln« im Vordergrund, die besonders in Zweikämpfen zum Tragen komme und einseitige Gewaltakte zugunsten von Anerkennung zurückdränge.9 Doch bleiben paradoxe Spannungen auch in Haferlands Beschreibung präsent: »Feindseligkeit« gehöre »zu jedem Kampf«, Zweikämpfe folgen schließlich nur »ein Stück weit« der Kooperation. Paradox erscheinen auch die sozialen Strukturierungsgewinne, denen Haferlands systematisches Interesse gilt. So setzen Zweikämpfe als adlige Selbstdarstellungsformen einerseits horizontale Ebenbürtigkeit voraus, wie sie etwa in symmetrischen Wechselreden und ritualisierten Kampfabläufen zum Ausdruck kommt.10 Andererseits zielen sie aber auf vertikale Unterschiede, denn zu kämpfen heißt, den anderen überbieten zu wollen.11 Als Kreis von ununterschieden Gleichrangigen, die sich zu unterscheiden suchen, erweist sich die Wettkampfgesellschaft des Artusromans als zutiefst ambivalent.12 Besonders in höfischen Festszenen
erscheint die Festfreude bereits durch kleinere Störungen von innen her gefährdet: indem Schwierigkeiten dabei auftreten, die sozialen Imperative der Reziprozität und des Agons zugleich zu erfüllen. Das Verhältnis zwischen der virtuellen Gleichheit aller (Tafelrunde) und dem Gebot, dennoch festliche Ordnung auch agonal durch Hierarchisierung herzustellen, ist per se prekär, wenn nicht paradox.13
So allgemein dieser Forschungskonsens zur höfischen Epik geteilt wird, so häufig wird jedoch diese Spannung von Wettkämpfen in Analyse und Theoriebildung aufgelöst. Betonte Haferland vor allem die fairen Regeln, die »Störungen« und Gefährdungen zu zähmen vermögen, so rückt nur eine Seite dieses Verhältnisses in den Blick. Unterscheidet man außerdem den gewaltsamen »Ernstkampf« vom kooperativen »Wettkampf«,14 so bricht jenes Kontinuum in kategorische Teile auseinander, das viele Wettkämpfe der höfischen Epik spannungsvoll zusammenhalten und verdichten.15
Solche Verlagerungen und Unterscheidungen prägen nicht erst die kulturwissenschaftliche Wettkampfforschung, sondern sind, wie noch näher zu beleuchten ist, tief in der Streitsoziologie verwurzelt. Noch auf der Ebene theoretischer Reflexion kann man darin Reaktionen auf Paradoxien sehen, die verschoben, verdeckt oder unterscheidungstechnisch auseinandergelegt werden. Sie zielen darauf, die schwierigen Formen von Wettkämpfen in schlechte Konflikte (»Feindseligkeit«) und gute Wettstreite (»kooperative Praxis«) zu schlichten. Gawein und Gasozein, Iwein und Gawein und viele andere seltsame Wettkämpfer höfischer Romane verstricken sich jedoch in Zuneigung und Aggression zugleich, die oft in keinerlei Auflösungs- oder Erkennensszene harmonisiert werden.
Das hat auch seinen theoretischen Preis. Denn obwohl im agonalen Schema weitreichende Möglichkeiten zu kultureller Reflexion angelegt sind,16 wird fraglich, wem oder was solche Spannungen in höfischen Texten zugerechnet werden. Haferland schlägt dazu vier Bezugsmöglichkeiten vor, die stets Probleme von agonalen Formen offenlegen. So ließen sich ritterliche Zweikämpfe erstens als Praktiken psychosozialer »Involution« lesen, die Manifestationen von sozialer Konkurrenz »in das Verhalten und Handeln einer Person hinein[nehmen]«.17 Erhellend weist Haferland damit auf, dass das alternierende Schema des Wettkampfs nicht bloß als Abfolge sondern genauer als Einlagerungsstruktur zu analysieren ist, das Bezugnahme, Reaktion und Vertiefung miteinander verkettet. Aber binden Wettkämpfe diese Form stets an psychische Strukturen oder an personalen Habitus? Dies mag für Fälle gelten, die etwa agonale Selbstreflexion als Seelenkämpfe gestalten.18 In andere Richtung führen hingegen Zweikämpfe wie das Einleitungsbeispiel der Krone , die ihre komplexen Strukturen ganz an der Oberfläche der erzählten Handlung halten oder als Erzählschleifen gestalten, statt diese in Psychen einzulagern. Mit anderen Worten: Selbstbewusstsein und Selbstreflexion von Figuren bilden oft nicht die entscheidenden Größen, an denen sich Einfachheit oder Komplexität des Erzählens ab- und einzeichnen.19 Mit Haferland selbst wäre daher einzuwenden: Wenn das agonale Schema einer grammatischen »Tiefenstruktur« folgt,20 dann stellen psychosoziale Verdichtungen zwar eine mögliche Konkretisierung dar, doch gibt es andere (und womöglich häufigere) Formen, auf die mittelalterliche Literatur ihre Wettkämpfe bringt, ohne dazu auf die Psyche oder den Habitus von Figuren zuzugreifen.21
Zweitens rechnet Haferland die Komplexitätseffekte von Wettkämpfen tendenziell auf Einzelpositionen zurück. Ihre Spannungsmuster wandern so von der Ebene der Kultur zur Person, wenn der Agon zunächst »als Schema kultureller Identitätsbildung«, dann aber als Frage der Ehre fokussiert wird, die »Grenzen einer Person« markiere und »zur Bestätigung einer persönlichen Identität genutzt wird«.22 In Gestalt von Aventiuren stelle der Roman dieses Prinzip erzählstrukturell auf Dauer: »Personen erfahren sich selbst.«23 Spannungsvoll wächst dadurch die Differenz von Kultur und Einzelperson, wie Haferland einräumt: »Die höfische Öffentlichkeit läßt Ich-Ideale aufleben in einer Repräsentation, die nur schwer vom Ich, von der Person selbst eingeholt wird.«24 Scheinen höfische Wettkämpfe als personale Formung also zunächst griffig beschrieben, so werden damit Spannungen theorietechnisch nur verschoben. Denn im gespaltenen Begriff der Repräsentation kehrt Selbstdifferenz wieder (Ich-Ideale vs. Person selbst), die Identität entgegenläuft. Haferland zufolge beginnt das ›agonale Schema‹ somit zwischen »soziale[n] Situationen« und gesteigerter ›Selbsterfahrung‹ zu oszillieren, ohne dass der Beschreibungsrahmen höfischer Interaktion dafür besondere Erklärungsmöglichkeiten anböte.25
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