Ackermann (2014) zeigt in ihrer Studie, wie Lehrpersonen durch Positionierungen auf die Gesprächsorganisation einwirken und für sich und die Beteiligten verschiedene Handlungsspielräume schaffen und mitgestalten. Sie fokussiert dabei u.a. auch Positionierungshandlungen, welche inkludierend auf die Gesprächsbeteiligung wirken und kommt zum Schluss, dass ein Ungleichgewicht zwischen der geglückten Inklusion der Eltern und derjenigen der anwesenden Kinder besteht. So kommt es in ihren Daten im Zusammenhang mit an Kinder gerichteten Inklusionshandlungen nur selten zu einem Sprecherwechsel, sondern eher nur zu kürzeren Ratifikationen (vgl. Ackermann 2014: 63ff.).
Gemäss Kotthoff (2012a: 294) sind Bewertungsaktivitäten in Beurteilungsgesprächen allgegenwärtig und werden gemeinsam ausgeführt, sodass die „Ko-Konstruktion von Bewertung“ gewissermassen „als Leitmotiv“ für diese Gespräche verstanden werden kann. Allerdings zeigen ihre Daten von Sonderschulen auch, dass sich Eltern mit Migrationshintergrund weniger an den Bewertungen und Einschätzungen beteiligen können und diese fast ausschliesslich von den Lehrpersonen ausgeführt werden (vgl. Kotthoff 2012a: 315, 317f.).
Pillet-Shore (2003) untersucht am Beispiel von der Äusserung okay die unterschiedlichen Bewertungsimplikationen, die je nach sequenzieller Einbettung von okay positiver oder negativer verstanden werden können. Einerseits funktioniert okay als bessere Variante von zwei möglichen Beurteilungen ( binary metric ), nämlich okay versus not okay , wobei letztere Beurteilung weitere Interventionen und Unterstützungsmassnahmen ins Spiel bringen würde. Diese Funktion taucht meist im Kontext von abschliessenden Beurteilungen auf (vgl. Pillet-Shore 2003: 287ff.). Andererseits kann okay auch als eine von vielen Beurteilungen funktionieren ( gradated metric ) und wird im Kontext weiterer Beurteilungsaktivitäten jeweils als upgrading oder auch als downgrading verstanden. Dadurch erhält okay zusätzlich die Funktion einer negativen Beurteilung (vgl. Pillet-Shore 2003: 300ff.). Diese Studie zeigt, dass der lokale Kontext einer Äusserung und die Orientierung der Teilnehmenden auf das Gesagte eine Beurteilung in ihrer Bedeutung mitgestalten können.
In späteren Studien untersucht Pillet-Shore (2012; 2015) den Umgang mit Lob und Kritik in Gesprächen zwischen Lehrpersonen und Eltern. Aufgrund der zurückhaltenden Reaktionen von Eltern auf Äusserungen, in denen Lehrpersonen die abwesenden SchülerInnen loben, rekonstruiert Pillet-Shore (2012), dass die Eltern in ihrer Rolle als Verantwortliche über ihr Kind das Lob als Kompliment für sich selbst auffassen und dementsprechend höflich und zurückhaltend bearbeiten. Weiter zeigen ihre Daten, dass die Eltern zwar teilweise lobend über ihr Kind berichten, jedoch ähnliche Dispräferenzmarker verwenden, wie wenn es sich um Selbstlob handelte (vgl. Kap. 2.1.2 zur (Dis-)Präferiertheit). So kommt Pillet-Shore zum Schluss, dass sich Eltern in der problematischen Situation wiederfinden, auf Komplimente eingehen zu müssen:
Although the action of praising students would seem to, a priori, afford a mutually enjoyable moment of celebration transparently supportive of social solidarity, this research has revealed that conference participants treat this action as interactionally problematic precisely because utterances that praise students implicate praise of parents. (Pillet-Shore 2012: 200, Hervorhebung im Original)
Während also die Mitteilung von positiven Bewertungen und Lob aus Sicht der Lehrpersonen in der Regel als unproblematisch bearbeitet wird (vgl. Pillet-Shore 2012: 183), scheint aus Sicht der Eltern die Rezeption wie auch Produktion von Lob problematisch zu sein, da das zu stark selbstlobende Auftreten vermieden werden möchte.
In ihrer jüngsten Studie konzentriert sich Pillet-Shore (2015) schliesslich primär auf die elternseitige Bearbeitung von Kritik und die damit einhergehenden Positionierungsaktivitäten. Ähnlich wie auch Kotthoff (2014) zeigt sie, wie Eltern sich als gute und kompetente Personen vorführen, indem sie einerseits kritische Beurteilungen über das Kind äussern und sich dadurch als wissend positionieren. Und andererseits präsentieren sich Eltern als involviert in Lernaktivitäten, die eine Verbesserung der Schwächen zum Ziel haben.
Cheatham und Ostrosky (2011) untersuchen Beurteilungsgespräche auf der Vorschulstufe (‚Early Childhood Education’) und zeigen, wie Lehrpersonen als Ratgebende und dadurch als ExpertInnen konstruiert werden, während Eltern durchgehend die Rolle der Ratsuchenden übernehmen. Allerdings wird nur selten direkt nach Rat gefragt oder direkt Rat gegeben, sondern es lässt sich vielmehr beobachten, dass Lehrpersonen häufig im Anschluss an kritische Darstellungen zu SchülerInnen (selbst geäusserte oder solche vonseiten der Eltern) indirekt Ratschläge erteilen, indem sie beispielsweise über erfolgreiche Schulpraktiken berichten (vgl. Cheatham & Ostrosky 2011: 31). Dadurch wird eine Asymmetrie interaktiv gefestigt, die Lehrpersonen als diejenigen mit Zugang zum Expertenwissen über das Kind konstruiert, während Eltern mehrheitlich als Ratsuchende auftreten (vgl. Cheatham & Ostrosky 2011: 40).
Silverman, Baker und Keogh (1998) untersuchen Beratungssequenzen in schulischen Beurteilungsgesprächen und pädiatrischen Sprechstunden, gehen dabei aber insbesondere auf die Rolle des häufig schweigenden Kindes ein. In ihren Daten zeigt sich einerseits, dass die fehlenden Reaktionen auf Ratschläge von Lehrpersonen mit einer Unklarheit in der Adressierung zu tun haben (vgl. Silverman, Baker & Keogh 1998: 228ff.). Vor dem Hintergrund, dass Lehrpersonen und Eltern in diesen Gesprächen sich selbst als kompetente und moralische Instanzen vorführen, muss das Schweigen von Kindern in diesen Gesprächen kein Anzeichen von Inkompetenz sein, sondern kann auch als „form of interactive work in relation to the design of the talk between parent and professional“ (Silverman, Baker & Keogh 1998: 239) verstanden werden. Denn „silence (or at least lack of verbal response) allows children to avoid implication in the collaboratively accomplished adult moral universe“ (Silverman, Baker & Keogh 1998: 220). So betrachtet, handelt es sich beim Schweigen von Kindern in derartigen Mehrparteieninteraktionen nicht um ein kommunikatives Defizit, sondern um eine interaktive Entscheidung, sich nicht aktiv positionieren zu müssen. Walker (2002: 468) versteht hingegen das Schweigen von SchülerInnen eher als Machtlosigkeit und damit als Ausdruck institutioneller Asymmetrie. Der Frage nach der Positionierung von Kindern und Jugendlichen wird insbesondere ab Kapitel 6 weiter nachgegangen.
Mehrsprachigkeit und Interkulturalität in Beurteilungsgesprächen
Bei der Mehrsprachigkeit und Interkulturalität handelt es sich um einen Themenkomplex, der für die vorliegende Arbeit aufgrund der Datenlage nicht bearbeitet wird, jedoch gesellschaftlich höchst relevant ist. Einige Studien befassen sich mit Fragen der interkulturellen Kommunikation und untersuchen Interaktionen mit Eltern, die keine oder limitierte Kenntnisse der Schulsprache haben. Kotthoff (2012a: 298) spricht von einer „Verschränkung von spezifischem Kultur- und Sprachwissen“ und führt den Begriff der kulturellen Mitspielkompetenz ein, um zu beschreiben, wie sich Eltern mit Migrationshintergrund nicht in demselben Mass positionieren können wie Eltern mit Deutsch als Muttersprache. Dies zeigt sich in ihren Daten beispielsweise darin, dass sich Eltern mit Deutsch als Fremdsprache weniger bei den Bewertungsaktivitäten einbringen (vgl. Kotthoff 2012a: 317f.). Korn (2014: 92f.) stellt in ihrem Korpus zudem fest, dass sich die mangelhafte Mitspielkompetenz von Eltern mit Deutsch als Fremdsprache vor allem im Bereich des institutionell-fachlichen Wissens manifestiert.
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