2 Aufgrund des Zusammenhangs, der zwischen der globalen und lokalen Ebene der Textplanung hergestellt wird, stellt der Quaestio-Ansatz somit ein Instrument dar, um informationsstrukturelle Organisationsmuster nicht nur auf Satzebene, sondern auch auf Textebene herausarbeiten zu können (was in Bezug auf informationsstrukturelle Studien noch kaum durchgeführt wird, Lambrecht 1994).
3 Als Ansatz, der sich an der Schnittstelle zwischen psycho- und textlinguistischen Fragestellungen platziert, wird die Komplexität des Textplanungsprozesses ausgehend vom Sprecher betrachtet, bei dem die syntaktischen, semantischen und pragmatischen »Fäden« für die Planung von Texten zusammenlaufen. Der Text wird in diesem Sinne als Ergebnis eines dynamischen Prozesses und nicht als statisches Produkt angesehen (Klein & von Stutterheim 1992). Der Sprecher trifft dabei Entscheidungen, die Einblicke in makrostrukturelle Planungsprinzipien ermöglichen.
Der zentrale Ausgangspunkt für die Erfassung des Quaestio-Ansatzes beruht auf der strukturierenden Kraft, die einer redeeinleitenden Frage innewohnt. Durch eine Frage, sei sie explizit wie »Wie sieht eigentlich Euer neues Haus aus?« oder nur gedacht bzw. implizit, werden Beschränkungen für die Antwort auferlegt.
Die Quaestio wirkt sich auf die folgenden textkonstituierenden Prozesse aus (von Stutterheim & Carroll 2018):
1 Selektion von Informationen, die in der Antwort verbalisiert werden.
2 Die Muster für die Kohärenzbildung und die Ereignisverknüpfung bzw. Linkage (von Klein und von Stutterheim als referentielle Bewegung bezeichnet).
3 Die Informationsstruktur (Topik-Fokus-Organisation, vgl. Kapitel 3.3. für eine Diskussion der Begrifflichkeiten Topik und Fokus ).
Die Wahl der sprachlichen Mittel seitens des Sprechers, um innerhalb des gegebenen makrostrukturellen Rahmens seine Antwort zu spezifizieren, wird von Vorgaben beeinflusst, die als inhaltlicheund strukturelle Vorgabenbezeichnet werden (von Stutterheim 1997, Klein und von Stutterheim 1992, 2002).
3.1. Vorgaben der Quaestio für die Textplanung
In den folgenden Abschnitten wird aufgezeigt, wie sich die Quaestio gliedernd auf die Textplanung auswirkt. Dieses strukturierende Moment der Quaestio zeigt sich anhand von Vorgaben, die die Quaestio sowohl inhaltlich als auch strukturell für einen Text macht.
Die Quaestio wirkt sich auf die inhaltliche Planungsseite eines Textes aus, indem sie die Auswahlund die Organisationvon Informationen beeinflusst, die in einem Text spezifiziert werden. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang drei Geltungsbereiche, in denen die Quaestio als strukturierende Kraft wirksam wird. Es handelt sich dabei um:
die Schaffung eines referentiellen Rahmens innerhalb dessen die zu spezifizierenden Informationen organsiert werden
die Auswirkung der Quaestio auf die Wissensorganisation
die Erzeugung einer Perspektive für die Darstellung
Die Wahl der sprachlichen Mittel, die der Sprecher unternimmt, um innerhalb des gegebenen makrostrukturellen Rahmens seine Antwort zu spezifizieren, wird von Vorgaben beeinflusst, die als inhaltlicheund strukturelle Vorgabenbezeichnet werden (von Stutterheim 1997, Klein und von Stutterheim 1992, 2002).
3.1.1. Der referentielle Rahmen
Es ist zunächst festzustellen, dass durch die Quaestio ein bestimmter Sachverhaltfür die Diskursrepräsentation eingeführt wird. Bei der Beantwortung einer Frage, sei sie explizit gestellt oder im Sinne eines impliziten Redeanlasses gemeint, geht es immer um die Spezifizierung von Eigenschaften des eingeführten Sachverhalts (im Sinne einer referentiellen Spezifizierung, vgl. von Stutterheim und Carroll 2018). Durch die Quaestio wird die Bezugnahme auf den Sachverhalt gleichzeitig durch einen sogenannten referentiellen Rahmen(Klein und von Stutterheim 1987) eingeschränkt, da mit ihm Referenzbereiche festgelegt werden.
Verdeutlichen wir diesen Rahmen anhand eines Beispiels. Eine explizite Frage wie »Wann seid Ihr eigentlich das letzte Mal nach Mailand gefahren?« setzt eine Antwort voraus, in der eine spezifische Zeitreferenzzum Ausdruck gebracht wird, wie in der Antwort »Wir sind vor zwei Wochen zuletzt nach Mailand gefahren«. Neben dieser explizit erfragten Zeitreferenz, findet sich in der Antwort der Bezug zu weiteren Referenzbereichen. Alle Referenzbereiche sind als konzeptuelle Domänenzu verstehen, die vom Sprecher in seiner zu spezifizierenden Antwort besetzt werden und für den gesamten Text erhalten bleiben (von Stutterheim 1997).
Klein und von Stutterheim listen folgende konzeptuellen Domänen auf, auf die in Abhängigkeit der Quaestio, Bezug genommen werden kann (Klein und von Stutterheim 2002):
Der Bezug zu den Teilnehmenden am dargestellten Ereignis, nämlich jene Personen, die nach Mailand gereist sind.
Der Bezug zu einer spezifischen Aktivität, nämlich des Reisens.
Der Bezug zu einem Ort (Mailand).
Der Bezug zur bereits genannten Zeitreferenz.
Der Bezug zu einer gegeben Modalität (faktisch und nicht etwa fiktiv).
Nicht in jeder Frage werden alle Referenzbereiche aufgerufen. So ist offensichtlich, dass mit der Frage »Ist siebzehn eine Primzahl?« kein Bezug zu den Referenzbereichen Zeit oder Ort hergestellt wird. Festzuhalten bleibt jedoch, dass bei der Beantwortung von redeeinleitenden Fragen der Sprecher je nach Frage Referenten aus den oben genannten Domänen auswählt und sie in eine Äusserung eingliedert. Der Sprecher verfügt dabei immer über einen gewissen Spielraum für die referentielle Besetzung (beispielsweise in Bezug auf strukturelle oder lexikalische Wahlmöglichkeiten). Jedoch wirkt sich die Quaestio gliederndund beschränkendauf diese Wahlmöglichkeiten aus, da sie Vorgaben für die referentielle Besetzung macht (Klein und von Stutterheim 2002).
Der durch die Quaestio eingeleitete Referenzrahmen kann folgende referentielle Domänen bzw. Referenzbereicheumfassen, die konzeptuell sind und sich auf folgende Bereiche beziehen:
Entitäten (im Sinne der Beteiligten Personen und Objekten an einer Situation)
Prädikat (im Sinne von Zuständen, Ereignissen und Eigenschaften, die eine Situation charakterisieren)
Zeitspannen (im Sinne eines Zeitraumes oder Zeitpunktes)
Ort
Modalität (faktisch oder fiktiv)
Bei der Einbettung der Referenten in die Äusserung, geht der Sprecher nicht willkürlich vor. Es wird zunächst der Zusammenhang zwischen Entitäten und Prädikaten hergestellt, der das Kernstück der Äusserung darstellt. Die Kombination zwischen Entität und Prädikat wird anschliessend in Bezug auf Zeit und Ort lokalisiert. Abschliessend wird die Äusserung im Hinblick auf ihre Realitätsstatus markiert (Klein und von Stutterheim 2002).
Neben dem referentiellen Rahmen, der die inhaltlichen Komponenten des Antworttextes beeinflusst, ruft die Quaestio ein bestimmtes Wissen auf, das für die Beantwortung der Frage relevant ist. Dabei erzeugt der Sprecher eine konzeptuelle Struktur, die vom eigenen aber auch vom Wissenstand des Hörers geprägt wird. Unter Wissen ist dabei nicht ein »neutrales Abbild der Realität« zu verstehen, sondern ein Wissen, das »seinerseits perspektivisch gebunden im Gedächtnis gespeichert« ist (von Stutterheim & Klein 2008: 228).
Im Hinblick auf die Wissensbasis, die mit dem zu spezifizierenden Sachverhalt verbunden ist, unterscheidet von Stutterheim (1997) zwischen einem spezifischenund einem standardisierten Wissen. Erläutern wir diese beiden Typen von Wissen anhand eines Beispiels. Nehmen wir die Frage »Wie sieht Deine Lieblingshose aus?« . Für die Beantwortung dieser Frage wird ein spezifisches Wissen aufgerufen, das »akzidentelle, individuelle Eigenschaften« (lang und nicht kurz, Farbe, Material etc.) der Lieblingshose desjenigen enthält, an den die Frage gerichtet wurde. Gleichzeitig hat Wissen auch mit standardisiertem Wissen zu tun. Der Sprecher verfügt über eine standardisierte Vorstellung von einer Hose, die von den charakteristischen Eigenschaften einer Hose geprägt ist (Kleidungsstück, das die Beine teilweise oder ganz von der Taille abwärts bedeckt etc.) (von Stutterheim & Klein 2008: 228).
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