1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Poesie sind diese Ergüsse einer entzückten Seele und entbehren desswegen aller jener Formen der Wissenschaft, welche so oft nur zu sehr von dem Schönen sich entfernen. Es finden sich daher auch keine Citate, nicht einmal solche aus der heiligen Schrift, denn da ist Alles nur unmittelbare Schilderung innerer Seelenzustände.10
Gleichwohl darf man die Tatsache nicht ignorieren, dass Mechthilds systematischer Einsatz nicht nur nicht im Widerspruch zum dichterischen Charakter ihres Werks steht, sondern ihn erst recht ermöglicht. Man nehme als Beispiel das achtzehnte Kapitel des siebten Buches von den „sieben Tageszeiten, die der Marter unseres Herrn gedenken“, in dem die Ordnung der Zeiten ein Anlass für ausgedehnte Metaphorisierungsmaßnahmen, Bilderreichtum und fortgeschrittene Literarisierung der Sprache ist.
Die Liebe beschreibt Mechthild, indem sie sich generell der Metapher eines Weges bedient, der allerdings alles andere als einheitlich oder strikt auf einen Punkt ausgerichtet ist. Seine Heterogenität setzt nicht nur verschiedene Stufen und Etappen, sondern auch eine Vielfalt der Ziele voraus. Dass es sich am Ende dennoch um den einen Weg handelt, gibt den universellen Zusammenhang allen Streben, Dinge und Erscheinungen in Gott wieder.
Paradigmatisch für die Ekstatik der liebevollen Vereinigung der Seele mit Gott steht der Verlauf ihrer Reise an den Hof des Herrn:
So wiset er ir mit grosser gerunge sin goͤtlich herze. Das ist gelich dem roten golde, das da brinnet in einem grossen kolefúre. So tuͦt er si in sin gluͤgendes herze. Alse sich der hohe fúrste und die kleine dirne alsust behalsent und vereinet sint als wasser und win, so wirt si ze nihte und kumet von ir selben. Alse si nút mere moͤgi, so ist er minnesiech nach ir, als er ie was, wan im gar zuͦ noch abe. So sprichet si: »Herre, du bist min trut, min gerunge, min vliessender brunne, min sunne und ich bin din spiegel.« (I, 4, 26, 28)
Das spielerisch-erotische Fundament der Szene bildet die für Mechthilds Ansatz wesentliche Komponente der Gegenseitigkeit.11 Die Liebe stellt für die Seele nicht nur den Anlass dar, sich auf den Weg zu ihrem Geliebten zu machen, sondern lässt auch den himmlischen Bräutigam schmachtend nach ihr glühen.12 Auf dem Höhepunkt des Liebesaktes wird die Seele durch Gott berührt, wodurch sie aus allen weltlichen Bindungen gerissen und ins Himmlische und Zeitlose (Vorzeitliche?) entrückt wird. Die betörende, sowohl die Sinne als auch das Bewusstsein raubende Wonne des Einswerdens darf jedoch nicht von Dauer sein. Der abrupte Abbruch der Liebesvereinigung ist unumgänglich13, zum einen, weil es der Natur der Liebe entspreche, sich im Feuer des Trennungsschmerzes zu bewähren und durch das Streben nach der Wiederherstellung der verlorenen Glückseligkeit immer höhere Stufen zu ersteigen („Wiltu liep haben, so muͦstu liep lassen“ [II, 23, 118]); zum anderen, weil das freie Schweben der Seele auf ihrem minneweg zu Gott wegen ihrer Körperverhaftung und Weltverfallenheit14 nur auf tagtraumgleiche Momente der Entrückung beschränkt bleiben müsse:
wenne der endelose got die grundelosen selen bringet in die hoͤhin, so verlúret sú das ertrich von dem wunder und bevindet nút, das si ie in ertrich kam. Wenne das spil aller best ist, so muͦs man es lassen. So sprichet det bluͤjende got: »Juncfroͮ, ir muͤssent úch neigen.« So erschrikket si: »Herre, nu hast du mi ch hie so sere verzogen, das ich dich in minem lichamen mit keinem orden mag geloben, sunder das ich ellende lide und gegen dem lichamen strite.« (I, 2, 22)
Die hier geschilderte Erfahrung ist für die Seele prägend. Sie stellt den Ansporn für ihre groß angelegte Weltflucht als Ergebnis der Verwirklichung eines lebenspraktischen Programms, dessen Eckpunkte bereits im ersten Buch festgelegt sind, dar: „Swelch moͤnsch die welt úbersiget und sime lichamen allen unnútzen willen benimet und den túvel úberwindet, das ist die sele, die got minnet.“ (I, 1, 32)
Das schwierige Unterfangen bekommt im mystischen Idiom Mechthilds die Form eines erbitterten Kampfes gegen den die Liebe vergiftenden „hündischen Leib“ („huntlichen lichamen“ [II, 23, 116]), „der tote hunt, min lichamen“ [III, 5,170]). Er ist ein gefährlicher, bewaffneter „Feind“, der von Natur aus am Diesseits klebt, d.i. mit seinen Bedürfnissen die Kommunikation zwischen der Seele und der geistigen Welt beeinträchtigt oder gar vereitelt und mit seinen kleinen Freuden vom Wesentlichen ablenkt. Um seine störende Vitalität zu brechen, wird er permanenten Qualen unterzogen:
do sach ich minen lichamen an; do was er gewaffent sere uf mine arme sele mit grosser vollede der starken maht und mit vollekomner naturen kraft. De sach ich wol, das er min viant was (IV, 2, 236).
Einsichten in die beklemmende Grausamkeit der Praktiken jener übrigens bei Mechthild sehr reale Gestalt annehmenden Mortifikation vermittelt die Begine im vierten Buch:
Do sach ich oͮch miner sele wafen an; was dú here matter únsers herren Jhesu Christi. Da mitte werte ich mich. Do muͦste ich steteklich in grossen vorhten stan und muͦste alle mine jug ent grosse schimeschlege uf minen lichamen schlan, das was: súfzen, weinen, bihten, vasten, wachen, bes em enschlege und betten steteklichen an. Dis waren dú waffen miner sele, da ich den lip mit úberwant also sere, das bi zwenzig jaren nie die zit wart, ich were muͤde, siech und krank allererst von rúwen und von leide, da nach von guͦter gerunge und vom geistlicher arbeit und dar zuͦ manig swere siechtag von nature. Hie zuͦ kam dú gewaltige minne und beschaste mich se sere mit disen wundern, das ich es nit getorste verswigen (IV, 2, 236).
Der unerbittliche lebenslange Kampf gegen den eigenen Leib charakterisiert nur die edlen kühnen Seelen, während die „abgestumpften“ („stumpfen selen“ [II, 23]) selbstzufrieden in der Welt ihrer Körperlichkeit ruhen („Ich ruͦwen in der welte mines lichamen“ [II, 23, 116]), ohne jemals den Mut aufzubringen, sich in die Gewalt der „nackten Liebe“ zu begeben („das er sich ihr getoͤrre legen in die gewalt der nakkenden minne“ [II. 23, 116]), um Gott Treue zu erweisen, indem sie in Liebe seinem Geist folgen („Wiltu got rehte trúwe leisten, so soltu in siner liebin volgen sinem geiste“ [II, 23, 116]). Die Ausdauer im Kampf gegen die durch den Leib auferlegten Fesseln und die Unerschrockenheit im Sich-hinaus-Wagen auf das unbegrenzte Meer der göttlichen Liebe stellen die einzigen Wege dar, die wahre Freiheit, die kein Trugbild ist, zu erlangen. Sie setzen die Ablehnung der institutionalisierten, ritualisierten, an sich steifen und auf die Dauer jeglichen persönlichen Erlebnisses beraubten Formen der Gläubigkeit („Wiltu mit im wonen in edeler vriheit, so muͦstu e rumen diese wonunge der boͤsen gewonheit.“ [II, 23, 116]) voraus. Der von Zuhause in die relative Ungebundenheit des Beginenlebens geflüchteten Mechthild durfte gerade dieser Aspekt nicht nur besonders wertvoll, sondern vor allem einleuchtend vorgekommen sein. Letzten Endes, „[d]ie Welt wählen bedeutet Gott verlieren, Gott wählen die Welt verlieren“.15
Ein Umbruch in der Liebesauffassung Mechthilds tritt im zwölften Kapitel des vierten Buches ein.16 Die ihrem Charakter nach beinahe bacchantische Liebesverzückung (zum Beispiel: „Du hast mich gejagt, gevangen, gebunden und so tief gewundet, das ich niemer wirde gesunt“ [I, 3, 24]) der frühen Phase macht einer reiferen – was nicht bedeutet, ruhigeren17 –, dafür dunkleren Konzeption der Liebe mit der Integration des Leids als deren auffälligem Charakteristikum Platz. Schon etwas früher hatte sich die Seele dazu hinreißen lassen, aus Liebe zu Gott im Fegefeuer die Qualen länger zu ertragen: „Nu, lieber herre, swenne ich stirbe, ich wil durch dine liebi gerne noch dar inne qweln. Dis spriche ich nit von sinne, es heisset mich die minne.“ [IV, 2, 234]
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