Rösler (2004: 137) weist darauf hin, dass digitale Grammatikübungen „zumeist überwiegend dem Erwerben und Sichern des Formbestandes“ dienen. Darüber hinaus ermöglichen digitale Medien entdeckendes Lernen der Grammatik und steuern z. B. durch die Veränderung der Farblichkeit die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte grammatischer Phänomene (vgl. ebd. 136-137). Digitalen Medien werden auch weitere Potenziale für die Grammatikvermittlung zugeschrieben, wie z. B. die Erweiterung der Darstellungsformen von grammatischen Strukturen durch interaktive animierte Grammatiken sowie die Implementierung mehrerer Pfade, die unterschiedliche Vorgehensweisen beim Lernen zulassen. Durch den Zugriff auf linguistische Datenmengen kann auch entdeckendes Lernen ermöglicht werden (vgl. Rösler 2012: 182). Laut Freibichler ermöglichen digitale Medien spielerisches und entdeckendes Sprachenlernen, das speziell für Anfänger eine wichtige Rolle spiele (vgl. Freibichler 1997: 41). Scheller schreibt digitalen Medien viel Potenzial bei der Grammatikvermittlung, insbesondere durch animierte Darstellungsformen, zu (vgl. Scheller 2012: 2 ff.), die in Kapitel 3.5 einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
In Anbetracht der relativ einfachen Programmierung von Programmen und Materialien zur Grammatik1 ist die hohe Anzahl digitaler Grammatiklernangebote nicht verwunderlich. Interessanterweise sind jedoch wenige Forschungsbeiträge zu finden, die sich mit der Analyse dieser Materialien beschäftigen. Einen Versuch unternahm Rausch (2017), indem sie den Aufbau, die Merkmale sowie Übungstypen von Online-Übungsgrammatiken analysierte. Auf der Grundlage der Analyse fasst Rausch folgende Vorteile gegenüber gedruckten Grammatiken zusammen: Durch die Hypertextstruktur der Online-Materialien ist der Informationszugriff schneller und auf die jeweiligen Lernbedürfnisse anpassbar. In Online-Grammatiken können multimediale Komponenten eingebettet werden, was in gedruckten Übungsgrammatiken mit einer CD oder DVD allerdings auch möglich sei. Die analysierten Online-Grammatiken beinhalten interaktive Komponenten (wie z. B. Kommentarfunktion, Foren, automatisches Feedback etc.). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zur Vernetzung mit anderen Lernenden sowie mit Experten. Außerdem ermöglichen die Online-Übungsgrammatiken die Auswahl mehrerer Beschreibungssprachen, was insbesondere für Anfänger vorentlastend ist. Als nachteilig wird die Tatsache bezeichnet, dass eine unübersichtliche Navigationsstruktur sowie die Informationsmenge überfordern könnten. Eine starke Abhängigkeit des Lernfortschrittes von Lerngewohnheiten und dem Lerntyp beim Lernen mit Online-Materialien wird ebenfalls als problematisch angesehen (vgl. Rausch 2017: 105-106).
In diesem kurzen Überblick über die Entwicklung digitaler Lernmaterialien und ihrer Vor- und Nachteile für selbstständiges Fremdsprachen- und insbesondere Grammatiklernen wurden ihre Potenziale und Grenzen gezeigt. Die Skizzierung lässt deutlich werden, dass Lernende eine aktive Rolle im Lernprozess übernehmen sollten. Das kann durch die Interaktivität von digitalen Lernmaterialien erfolgen.
2.2. Interaktivität beim Grammatiklernen mit digitalen Medien
Bereits vor 30 Jahren wurde die Interaktivität digitaler Medien als gewinnbringend betrachtet, weil Computer eine Eins-zu-eins-Interaktion ermöglichen (vgl. Hope et al. 1989: 8). Durch die Interaktivität werden die Rollen der Lernenden und der Maschine gleichmäßiger verteilt als im Fall Lernende-Lehrende, da Lernende selbst bestimmen, wann und wie sie mit dem Medium lernen (vgl. ebd.: 8-9). Was hinter dem Begriff Interaktivität digitaler Medien steckt und welche Formen der Interaktivität in Lernprogrammen vorhanden sind, sind Fragen, die im Folgenden erläutert werden. Auch wird in diesem Kapitel der Frage nachgegangen, wie viel Interaktivität für die Förderung eines selbstständigen Lernprozesses nötig ist.
2.2.1. Zum Begriff der Interaktivität
Da es sich beim Thema der vorliegenden Arbeit um Interaktivität in der Form Mensch-Maschine-Kommunikation handelt, findet die Erklärung des Begriffs im Kontext von CALL statt.1 Nach dem konstruktivistischen Paradigma können sich Lernende im Rahmen des Lernprozesses mit einem Lerngegenstand aktiv befassen, neue Informationen explorativ erschließen, über eigene Lösungsstrategien reflektieren und das Gelernte sofort anwenden. Somit ist das Lernen mit vielen Aktivitäten Lernender verbunden (vgl. Strzebkowski und Kleeberg 2002: 229-230). In der Diskussion über mediengestütztes Lernen spielt die Interaktivität digitaler Medien eine zentrale Rolle. Durch diese Eigenschaft digitaler Medien kann ein aktiver Lernprozess bzw. eine Aktivierung der Lernenden beim Lernen ermöglicht werden.
Mitschian grenzt Interaktivität von Interaktion ab und versteht darunter „alle Aktions-Reaktionsfolgen, die sich ausschließlich zwischen Software und Lernenden abspielen“ (Mitschian 2004a: 44). Die Reaktionen des Systems werden auf Grundlage methodischer Überlegungen von Entwicklern konzipiert (vgl. ebd.: 44ff.). Interaktivität ist „das Ausmaß, in dem eine Lernumgebung Interaktionen ermöglicht und fördert“ (Niegemann et al. 2008: 295). Grünewald ist der Ansicht, dass die Interaktivität beim Lernen mit digitalen Medien nur bedingt als solche zu verstehen ist, da es sich um vorprogrammierte Reaktionen eines Programms auf Nutzereingaben handelt. Daher wird sie in seiner Arbeit durch den Begriff Reaktivität ersetzt (vgl. Grünewald 2006: 97). Seine Überlegungen sind nachvollziehbar, jedoch können vorprogrammierte Programmreaktionen unterschiedlich komplex sein, in verschiedenen Lernphasen unterschiedlichen Zwecken dienen und im engen Zusammenhang mit Aktionen der Lernenden stehen. Daher ist für die vorliegende Arbeit der Begriff Interaktivität vorzuziehen. Darunter wird die Eigenschaft eines Programms verstanden, unterschiedliche Aktion-Reaktionsketten zwischen einem Nutzer und einem Programm zu ermöglichen; damit wird eine kontinuierliche aktive Einbeziehung des Lernenden in den Lernprozess bezweckt.
Die wichtigste Funktion der Interaktionen in Lernprozessen sieht Mitschian in der Vermeidung monotoner und eindimensionaler Vermittlung von Wissen bzw. im Angebot vielfältiger Lernwege und Handlungsweisen (vgl. Mitschian 1999: 125). Niegemann et al. zählen zu den Funktionen von Interaktivität folgende: Motivieren, Informieren, Verstehensförderung, Förderung von Behalten, Förderung von Anwenden bzw. Transfer, Organisierung und Regulierung des Lernprozesses (vgl. Niegemann et al. 2008: 295). Damit diese Funktionen realisiert werden können und Lernprogramme lernwirksam sind, sollten Interaktionsketten bzw. Aktionen der Lernenden und des Systems aufeinander abgestimmt werden. Darüber hinaus ist eine Balance anzustreben, dass Lernende durch die Interaktivität der Software in gewisser Maße entlastet, jedoch gleichzeitig auch aktiviert werden. D. h. das Programm darf nicht von den Lernzielen ablenken und den Lernenden die gesamte Arbeit abnehmen (vgl. Mitschian 1999: 126-127). Insbesondere im Kontext selbstständigen Lernens scheint dieser Aspekt von großer Bedeutung zu sein.
Im Kontext des mediengestützten Lernens wird die Interaktivität häufig als Teil der multimedialen Lernumgebung neben Adaptivität, Multimodalität etc. betrachtet (vgl. Kallenbach und Ritter 1998; Niegemann et al. 2008; Betrauncourt 2010; Schulmeister 2007). Eine intensive Analyse dieser Bereiche im Zusammenspiel mit der Interaktivität findet in Jones et al. (2016) statt.2
2.2.2. Formen der Interaktivität
Biechele et al. (2003: 7) unterteilen mögliche Interaktionsformen in zwei Gruppen: in die, „die nicht primär dem Lernen dienen, die Lernende aber bewältigen müssen, um überhaupt zum Lernmaterial zu gelangen“, sowie in die, „denen Lernende bei der Bearbeitung von Lernaufgaben begegnen können“. Diese Unterteilung entspricht den Kategorien von Steuerungsinteraktionen und didaktischen Interaktionen nach Strzebkowski (1995: 278). Bei Steuerungsinteraktionen handelt es sich um die Interaktionsformen, die mit Navigations- und Systemfunktionen, wie Speichern, Abspielen etc. verbunden sind. Didaktische Interaktionen dienen einer direkten Unterstützung des Lernprozesses, z. B. durch Animationen, Texteingaben, Informationstransformationen etc. Dabei ist die Grenze zwischen den Interaktionsformen nicht scharf trennbar (vgl. Strzebkowski und Kleeberg 2002: 232ff.).
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